Wirtschaft
anders denken.

Eine Diskussion mit Hindernissen: Das Grundeinkommen

16.04.2018
Generation Grundeinkommen / FlickrAktion für das Manifest Grundeinkommen

Die Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen ist geprägt durch viele Missverständnisse, vor allem in der Kritik am BGE. Auch Michael Wendl, der von einer »neoklassischen Utopie« spricht, bildet da keine Ausnahme. Eine Replik.

Die öffentliche Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) ist geprägt durch viele Missverständnisse, vor allem in der Kritik am BGE. Auch Michael Wendl, der das BGE als „neoklassische Utopie“ kritisiert, bildet keine Ausnahme. Durch ständige Wiederholung werden diese Missverständnisse zu Stereotypen und erschweren eine sachliche Auseinandersetzung mit dem BGE oder gar eine sachliche Kritik.

BGE-Modell-Vielfalt

Die Schwierigkeiten der BGE-Debatte beginnen bereits mit der mangelnden Würdigung der Vielfalt an BGE-Modellen. Diese unterscheiden sich z. B. im Auszahlungsmodus (Sozialdividende, negative Einkommenssteuer), in der Finanzierung und in Sonderbedarfen (z. B. Blaschke 2012: 118-251|PDF).

Die BGE-Modelle können sich auch danach unterscheiden, ob sie auf die Sicherung der Existenz und sozialen Teilhabe abzielen (wie z.B. das Modell von Götz Werner) oder mit bestimmten Beträgen existenzielle Risiken abfedern sollen. Missverständnisse sind also vorprogrammiert, wenn solche Modelle in einen Topf geworfen werden.

Bisweilen führt die Unkenntnis der BGE-Modellvielfalt auch zu der kruden Situation, dass Ökonomen wie Marcel Fratzscher oder Politikerinnen wie Andrea Nahles das BGE vehement ablehnen, um dann mit der Idee eines individuellen Erwerbskontos aufzuwarten, das sich letztlich aber auch als eine Art BGE darstellt (das jedoch nicht der Existenzsicherung dient).

Alles neoliberale Utopisten?

Vereinzelt scheint die Kritik am BGE auch bewusst fragwürdige Eindrücke vermitteln zu wollen. So kritisiert zwar Wendl zu Recht die durchaus existierenden neoliberalen Konzeptionen eines BGE, übergeht aber großzügig, dass solche neoliberalen Modelle auch in der BGE-Szene kritisiert werden. Zum Breispiel schreiben Rätz und Krampertz (2011: 50):

„Leider gibt es auch manche neoliberale Konzeption, die sich Grundeinkommen nennt und tatsächlich zum Beispiel auf die Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung zielt oder darauf, die Altersrente auf einen Minimalbetrag zu reduzieren und ansonsten dem freien Versicherungsmarkt zu überlassen. Solche Vorschläge weisen wir zurück: Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss Menschen besser stellen und nicht schlechter.“

Tatsächlich speisen sich viele Ideen zum BGE aus der Kritik am Neoliberalismus. Kurioserweise fällt der Neoliberalismus-Vorwurf bisweilen auch selbst auf die Kritik am BGE zurück: Denn die Behauptung, das BGE liefere keine Anreize zur Betätigung am Arbeitsmarkt, folgt der gleichen ‚neoliberalen‘ bzw. ‚marktradikalen‘ Logik, die die Forderung nach höheren Regelsätzen für Hartz IV mit dem Vorwurf der sozialen Hängematte konfrontiert.

Finanzierungsfragen

Natürlich muss ein BGE auch finanziert werden. Jene, die das BGE ablehnen, halten oft bereits den Finanzierungsbedarf für unrealistisch. Allerdings werden häufig jene Berechnungen übersehen, wonach ein BGE grundsätzlich finanzierbar wäre (z. B. von Strengmann-Kuhn oder Straubhaar).

Das eigentliche Problem der Finanzierungsfrage liegt aber in einem eher (wirtschafts-) ethischen Punkt. Um dies zu verdeutlichen sei zunächst darauf hingewiesen, dass natürlich auch ein Sozialstaat finanziert sein will. Soll der Sozialstaat die Garantie der Menschenwürde gewährleisten, stellt sich aber nicht die Frage, ob, sondern wie er zu finanzieren ist. Denn die Menschenwürde gilt absolut, ist nicht verhandelbar und nicht teilbar. Das bedeutet nicht, Finanzfragen pauschal ignorieren zu dürfen. Nur können jene, die humanistisch z. B. von der Menschenwürde her argumentieren wollen, diese nicht von der Kassenlage abhängig machen, weil sie sonst deren absoluten und unteilbaren Charakter verletzen.

Dies gilt auch für die vielen BGE-Modelle, die ein soziokulturelles Existenzminimum garantieren sollen. Faktisch handelt es sich um das gleiche Finanzvolumen, mit dem ein Sozialstaat konfrontiert ist, der die Menschenwürde garantiert. Wer also behauptet, ein solches BGE wäre nicht finanzierbar, wird wohl auch einen menschenwürdigen Sozialstaat für nicht finanzierbar halten müssen.

Dabei ist die damit verbundene Existenzsicherheit zentral für die ethische Legitimität einer Wirtschafts- und Gesellschaftsform und den sozialen Frieden. Zwar lässt sich einwenden, dass es außer dem BGE doch andere sozialstaatliche Mittel gibt. Das wirft jedoch die Frage auf, ob es nicht die ernüchternden Erfahrungen mit genau diesen ‚traditionellen‘ Maßnahmen (wie Mindestlohn, Arbeitslosengeld etc.) sind, die das Interesse am BGE wecken, weil dieses wenigstens das soziokulturelle Existenzminimum gewährleistet.

Ideologischer Dogmatismus

Befremdlich ist es, wenn – wie bei Wendl – den Befürworter(inne)n eines BGEs die Fähigkeit zum Denken „in makroökonomischen oder gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen“ abgesprochen wird. Wer sich mit diesen phantastischen Modellen des BGEs auseinandersetzt und dort sogar positive Punkte findet, der oder die kann nicht seriös sein – so die Botschaft dahinter. Das erinnert stark an den Hamburger Appell (2005), der den Befürworterinnen und Befürwortern eines starken Sozialstaats einen „erschreckenden Mangel an ökonomischem Sachverstand“ attestierte. Viele heterodoxe bzw. plurale Ökonominnen und Ökonomen kennen solche Abwehr- und Ausgrenzungsversuche aus anderen Kontexten.

In der Tat dürfte Wendls Kritik am BGE auf manche heterodoxe/plurale Ökonominnen und Ökonomen wie ein Déjà-vu wirken. Denn Wendls Kritik müsste sich konsequenterweise auch gegen verschiedene heterodoxe Ansätze z. B. aus dem Bereich der feministischen Ökonomik(en) richten, sofern sie sich mit dem BGE beschäftigen. Argumente wie z. B. die Aufwertung von sozial-reproduktiven Tätigkeiten, die emanzipatorische Wirkung des BGEs auf Frauen oder die kapitalistische Ausbeutung der Hausarbeit tauchen dann gar nicht erst in der Diskussion auf. Gleiches gilt für eine Beschäftigung mit dem BGE im Rahmen alt-institutioneller Ansätze oder der Wirtschaftsethik (z.B. der Integrativen Wirtschaftsethik).

Schlussbemerkung

Die verkürzte Kritik am BGE führt dazu, dass die eigentlichen Anliegen des BGEs gar nicht diskutiert werden. Dazu gehört die tatsächliche Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz, aber z. B. ebenso ein anderes Verständnis von Arbeit, das auch nicht marktwirtschaftlich verwertbare Arbeit honoriert, die soziale Reproduktion, Sorgearbeit, faire Löhne und der Freiraum für Wirtschaftsformen abseits ‚des Marktes‘ (Selbstversorgung, Kooperativen etc.).

Zukünftige Diskussionen zum BGE könnten daran anknüpfen statt hingebungsvoll an den hier genannten Missverständnissen kleben zu bleiben. Die Diskussionen wären sicher entspannter und könnten Gemeinsamkeiten ausloten. Es könnte konstruktiv an Mittelwegen wie z. B. einem sanktionsfreien Sozialtransfer oder zu Fragen der angemessenen Regelsatz-Ermittlung und der Zumutbarkeit von Bedürftigkeitsprüfungen gearbeitet werden. Gemessen an der aktuellen Hartz-IV-Situation und -Debatte wäre das für viele Betroffene sicher ein großer Fortschritt.

Sebastian Thieme ist Diplom-Volkswirt und hat zum Thema ‚Das Subsistenzrecht: Begriff, ökonomische Traditionen und Konsequenzen‘ promoviert. Er war in verschiedenen Forschungsprojekten zur Pluralität in der Ökonomik tätig (u.a. Universität Hamburg) und erster Schasching-Fellow der katholischen Sozialakademie Österreichs. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. Subsistenz(ethik), normative Fragen der Ökonomik, Heterodoxie und Mainstream der Ökonomik sowie ökonomische Ideengeschichte.

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