Wirtschaft
anders denken.

Eine Frage des Antriebs: Das Elektroauto und über 100.000 Jobs hierzulande

06.06.2018
Arne Groh / Free Art License 1.3

Der Trend zur Elektromobilität wird die deutsche Autoindustrie kräftig durchschütteln. Eine Studie zeigt nun, wie sich die Entwicklung auf die Beschäftigten der Antriebstechnik auswirkt. Die Gewerkschaft ruft schon nach staatlicher Begleitung.

Dass die Entwicklung hin zu Elektromobilität die deutsche Autoindustrie kräftig durchschütteln wird, ist eine weithin geteilte Annahme. Wie genau dieser Umbruch sich auf einzelne Produktionsbereiche und die dort Beschäftigten auswirken wird, gerät bei medial getriebenen Erzählungen a la deutsche Industrie versus Tesla aber oft aus dem Blick. Nun zeigt eine Studie, wie »mit dem Umstieg des Verkehrs auf Elektrofahrzeuge« auf über 100.000 Beschäftigte des Teils der Autoindustrie »einiges zukommt«, die Antriebsstränge herstellen: Der Trend könnte dazu führen, dass dort bis etwa im Jahr 2030 rund 76.000 Arbeitsplätze überflüssig werden, zugleich würden rund rund 25.000 neue Stellen benötig. Zu diesem Ergebnis kommt das Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation in Stuttgart in dem Papier »Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland«.

Welche Dimension das Ganze hat, beschreibt die »Frankfurter Allgemeine« am Beispiel Bosch, bei dem Unternehmen arbeiten aktuell rund 20.000 Menschen an Technik für Dieselmotoren. »Der Wandel zur Elektromobilität könnte den größten Teil dieser Arbeitsplätze überflüssig machen«, schreibt das Blatt unter Berufung auf den Gesamtbetriebsratschef Hartwig Geisel. Standorte stünden »vor dramatischen Einschnitten«.

Ausgegangen wurde für die Studie davon, dass der Anteil an Elektroautos auf 25 Prozent und der von Hybridfahrzeugen auf 15 Prozent steigt. »In ihrer Modellrechnung gehen die Wissenschaftler davon aus, dass 2030 genauso viele Antriebsstränge produziert werden wie 2016: 5,75 Millionen«, berichtet die IG Metall über die Studie. »Und sie berücksichtigen die normalen Produktivitätsfortschritte, die dazu führen, dass für dieselbe Menge Güter immer weniger Personal benötigt wird. In diesem Fall könnten rund 76.000 Beschäftigte ihre Arbeitsplätze verlieren. Um die Komponenten für E-Autos, wie Batterien und Leistungselektronik, herstellen zu können, werden andererseits rund 25.000 neue Stellen benötigt. Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten sich für neue Tätigkeiten qualifizieren. Damit wirkt sich die Umwälzung – direkt oder indirekt – auf mehr als jeden zweiten der 210.000 Arbeitnehmer aus, die in der Auto- und Zulieferindustrie Antriebsstränge entwickeln und produzieren. Hinzu kommen künftig die möglichen Folgen der Digitalisierung auf die Arbeitsplätze.«

Ein Problem des Strukturwandels: Die Entwicklung in der Antriebstechnik wird sich auf Betriebe und Regionen sehr unterschiedlich auswirken. Fraunhofer-Forscher Oliver Riedel verweist auf Szenarien, bei denen »kleinere Unternehmen Umsatzeinbußen bei Komponenten für Verbrennungsmotoren nicht ausgleichen können«, dadurch in Insolvenz geraten und dies etwa »in strukturschwachen Gebieten«, »in denen es kaum Beschäftigungsalternativen gibt«. Die Gewerkschaft sieht zwar keinen »Grund, in Angst zu geraten«, nennt die Herausforderung »groß, aber zu bewältigen, wenn jetzt die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden«, so formuliert es der Chef der IG Metall, Jörg Hofmann. Wie das geschehen soll? »Politik und Unternehmen müssen jetzt Strategien entwickeln, um diese Transformation zu gestalten. Die Politik muss den notwendigen Strukturwandel durch zielgerichtete Industrie- und Beschäftigungspolitik flankieren.«

Die Gewerkschaft sieht die Politik auch deshalb in der Pflicht, weil diese etwa mit neuen Grenzwerten für CO2 den Klimaschutz vorantreibt. »Nicht zuletzt, weil Arbeitsplätze betroffen sind und Qualifizierungen in großem Stil zu bewältigen sind. Brüssel muss den Prozess unterstützen.« Und auch Berlin soll liefern: Auf der einen Seite verlangt die IG Metall »endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für die nötige Infrastruktur« für die Elektromobilität mit »Ladestationen, Stromverteilnetze und ausreichendes Strom aus erneuerbarer Energie, aber auch für die Versorgung mit den erforderlichen Rohstoffen für Batteriezellen und  Recyclingkonzepten für Altbatterien«.

Auf der anderen geht es um den Wandel in der Arbeit, der durch die technologische Entwicklung nun beschleunigt wird. »Mindestens genauso wichtig ist, dass die Regierung die Beschäftigten nicht im Regen stehen lässt. Viele Betriebe überfordert das Ausmaß an Qualifizierungen, die mit dem Umstieg auf die Beschäftigten zukommen. Der Staat soll sie begleiten, zum Beispiel mit einem neuen Transformations-Kurzarbeitergeld«, fordert die IG Metall.

»Wir müssen die kommenden Jahre nutzen, um die erforderlichen Anpassungsprozesse in die Wege zu leiten«, so Hofmann, der darauf verweist, dass die Weichen dafür »jetzt gestellt« würden. Es gehe auch darum, dass »Unternehmen Konzepte entwickeln und Geld investieren, um die Standorte und Beschäftigung zu sichern. Das könnten zum Beispiel auch Investitionen in neue Produkte für neue Märkte sein, die nichts mit Autos zu tun haben«.

An dieser Stelle scheint zumindest die Möglichkeit einer anderen Mobilität auf – die oben beschriebene Umwälzung in der Antriebstechnik verbleibt schließlich in einem Szenario der Individualmobilität mit eigenem Auto und so weiter, das lediglich anders angetrieben wird. Womöglich liegt die Herausforderung noch eine Spur weiter, weg von dieser bisher vorherrschenden, die Infrastruktur und auch eine der Leitindustrien hierzulande prägenden Art des Vorankommens. Ob die IG Metall hier allerdings wirklich zum Anschieben wird? Für die Studie tat man sich mit Autoherstellern wie BMW, Volkswagen und Daimler, Zulieferern wie Robert Bosch, ZF Friedrichshafen, Schaeffler und Mahle sowie dem Verband der Automobilindustrie zusammen.

Die FAZ meint, die Studienergebnisse könnten »abermals die Debatte um eine Batteriezellfertigung in Deutschland anheizen«. Aus Sicht der IG Metall eine Option: Jörg Hoffmann wird mit den Worten zitiert, die Batteriezelle sei der »Kolben von morgen«. Allerdings weiß Hoffmann auch, dass bei der Herstellung der Batterien ein hoher Automatisierungsgrad herrscht. Eine Lösung für die gesamte Beschäftigungsherausforderung könne man hier also nicht sehen.

Foto: Arne Groh/ Free Art License 1.3

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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