Wirtschaft
anders denken.

»Eingriffe in die Vermögenssubstanz zulässig«

02.04.2020
OXIUmverteilen - aber richtig.

Die Debatte darüber, wer die Kosten der Corona-Krise am Ende trägt, wird lauter. Ökonomen und Politiker*innen bringen eine einmalige Vermögensabgabe ins Spiel. Ein Rechtsgutachten von 2012 unterstützt diese Idee.

Jede neue Prognose von Wirtschaftswissenschaftler*innen lässt die Diskussionen über Tiefe und Dauer der ökonomischen Folgen der Corona-Krise sowie die nach der Frage »Wer wird am Ende dafür bezahlen?« lauter werden. Das Sondergutachten des Sachverständigenrates (aka »die Wirtschaftsweisen«) hat dies noch einmal verstärkt. »Die Krise macht uns alle ärmer«, heißt es hier. »Das Geld, das der Staat jetzt zum Abfedern der wirtschaftlichen Folgen ausgibt, wird später mit großer Wahrscheinlichkeit an anderer Stelle fehlen.« 

Was das als Aussage steht, sind eigentlich zwei Fragen: Macht die Krise »uns alle« gleichermaßen ärmer, und wenn nein, warum ist das so bzw. was kann man dagegen tun? Und die zweite: Was beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, dass Geld später an anderer Stelle fehlt? Dass bei einem Einbruch der Wirtschaftsleistung die öffentlichen Einnahmen zurückgehen, ist absehbar. Veränderbar ist, ob das so sein muss. Im Bundesfinanzministerium geht man laut Medienberichten von etwa 33 Milliarden Euro weniger Einnahmen auf Bundesebene aus als für 2020 ursprünglich erwartet. In einem Schreiben an andere Ministerien heißt es, Maßnahmen zur Überwindung der Auswirkungen der aktuellen Krise hätten »Vorrang«, angesichts der umfangreichen Neuverschuldung (156 Milliarden Euro) hätten die Ressorts bei der Planung des Etats für 2021 aber »sehr sorgfältig die richtigen Prioritäten zu setzen«. 

Was die richtigen sind und was nicht, steht aber nicht fest. Es wird eine harte gesellschaftliche Auseinandersetzung um diese Prioritäten geben. Und damit auch eine harte Diskussion um die Frage: Wer bezahlt die Kosten dieser Krise? Ein verteilungspolitisches Instrument, das nun immer wieder vorgeschlagen wird, ist eine Vermögensabgabe nach dem Vorbild des historischen Lastenausgleichs in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg.

Entsprechend haben sich etwa Sahra Wagenknecht und andere Linkspolitiker geäußert. Fabio De Masi erklärt, »die sogenannten kleinen Leute, die den Laden jetzt am Laufen halten, dürfen nicht die Rechnung für höhere Staatsverschuldung durch die Corona-Krise bezahlen. Eine Vermögensabgabe nach dem Vorbild des deutschen Lastenausgleichs wäre eine einmalige Abgabe, die über einen längeren Zeitraum abgegolten werden kann«. Der Linksfraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, twitterte: »Was passierte nach letzter Krise? Bürger bezahlten die Schulden, die Banken retteten, mit dem Verfall ihrer Infrastruktur. Zahl der Millionäre stieg dabei um 500.000. Lehre für heute? Natürlich brauchen wir eine Vermögensabgabe, wie sie das Grundgesetz aus gutem Grund vorsieht.« 

Gemeint ist hier Artikel 106, in dem von »einmaligen Vermögensabgaben und die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben« die Rede ist, deren Aufkommen dem Bund zusteht. In der »Zeit« hat Mark Schieritz darauf hingewiesen, dass »die Frage der Kostenverteilung schon bald ins Zentrum der politischen Debatte rücken« werde, »zumindest wenn die Angelegenheit tatsächlich teuer wird.« Und das wird sie. Auch Schieritz hat den Lastenausgleich der alten Bundesrepublik als mögliche verteilungspolitische Reaktion genannt. Sein Vorschlag: ein Corona-Soli, »aber nicht wie bisher als Zuschlag auf die Einkommensteuer, sondern als einmalige Vermögensabgabe, sozialverträglich ausgestaltet durch Freibeträge etwa für das eigene Haus oder die Altersvorsorge«. 

Auch der Ökonom Rudolf Hickel sieht das so: »Die Spitzengruppe, auf die sich die Vermögen in Deutschland konzentrieren, muss in die Pflicht genommen werden. In Erinnerung an die Lastenausgleichsabgabe gegen die Not nach dem Zweiten Weltkrieg ist die wichtigste steuerpolitische Forderung eine zeitlich befristete Vermögensabgabe zur Finanzierung der Folgen der Covid-19- Wirtschaftskrise.« Hickel nannte eine Abgabe von zehn Prozent über fünf Jahre auf die Nettogeldvermögen der privaten Haushalte bei einem Freibetrag von 500.000 Euro als mögliche Variante. »Es geht darum, die durch die infizierte Wirtschaft aufgelaufenen Kredite des Bundes, der Länder und der Kommunen in einem bundesweit gemanagten Sondervermögen zusammenzufassen. Hinter den gebündelten Krediten steht die dringend notwendige Finanzierung der medizinischen, sozialen und ökonomischen Schutzschilder. Der künftige Nutzen liegt in den staatlich aufgefangenen Schadensfolgen. Darüber hinaus wird die Basis für die spätere Normalisierung der Wirtschaft stabilisiert. Vergleichbar mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 sollte der Corona-Solidarfonds auf mindestens 30 Jahre angelegt werden. Zur Finanzierung des aufzubringenden Kapitaldienstes werden derzeit zwei Abgaben diskutiert: eine einmalige Vermögensabgabe und ein neu aufgelegter Solidaritätszuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld. Auch wegen der strittigen Erfahrungen mit dem bisherigen Soli wird eine einmalige Vermögensabgabe allerdings mit einer zeitlich gestreckten Aufbringung präferiert.«

Nachdem nun auch SPD-Chefin Saskia Esken eine einmalige Vermögensabgabe als »eine der Möglichkeiten, die Staatsfinanzen nach der Krise wieder in Ordnung zu bringen« bezeichnet hat, machen die Kritiker*innen schon mobil. So wird eine Reaktion von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zitiert, welcher der »Welt« gesagt hatte, »grundsätzlich zeigt sich in dieser Krise der Wert eines fairen und gerechten Steuersystems und eines funktionsfähigen Sozialstaats«. Die Frage eines fairen und gerechten Steuersystems stelle sich auch nach dieser Krise. Das Blatt dazu: »Alles klar? Alles unklar. Doch man interpretiert seine Worte wohl kaum falsch, wenn man annimmt, dass ihn die von seiner Parteivorsitzenden angezettelte Diskussion nervt, in einer Zeit, da es aus seiner Sicht nicht um die Frage geht, wer das bezahlen soll.«

Auch im Kommentar der »Rheinischen Post« wird gegen die Idee einer Vermögensabgabe mobilisiert. Die Idee sei »durchsichtig«, sie würde großen Schaden anrichten, das eine Corona-Abgabe »vor allem Handwerker, Familienunternehmen und Mittelständler treffen« würde. Ob das so ist, hinge von der Ausgestaltung ab und von der Dauer, über die die Aufbringung gestreckt wird. 

Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, hat 2012 im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft ver.di ein Gutachten zu Vermögensabgaben im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 GG erstellt. »Die Finanzkrise und die angestrebte Reduzierung des Schuldenstandes, der als Folge der Bankenrettung und der Finanzkrise zuletzt sprunghaft angestiegen ist, sind eine hinreichende Begründung für die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe«, hieß es damals – und heute wird davon ausgegangen, dass die Corona-Krise von noch größerer Dimension ist. 

»Die außergewöhnlichen Umstände, welche die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe rechtfertigen, bestehen in einem außerordentlichen Finanzbedarf des Bundes«, so Wieland weiter. »Aus den historischen Erfahrungen mit dem Lastenausgleich nach dem zweiten Welt- krieg lässt sich die Lehre ziehen, dass einmalige Vermögensabgaben nur zur Finanzierung eines außerordentlichen Finanzbedarfs des Bundes eingesetzt werden dürfen.« Zudem heißt es in dem Gutachten: »Durch die Erhebung einer Vermögensabgabe und/oder einer Vermögensteuer darf auch Vermögenssubstanz umverteilt werden. Ein Zugriff auf die Vermögenssubstanz durch die Vermögensteuer ist nach dem erwähnten obiter dictum des Bundesverfassungsgerichts ›unter besonderen Voraussetzungen, etwa in staatlichen Ausnahmelagen‹ verfassungsgemäß… Je größer ein Vermögen ist, desto größer ist die daraus erwachsende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und desto eher sind Eingriffe in die Vermögenssubstanz zulässig.« Belastung von Betriebsvermögen und juristischer Personen, insbesondere von Kapitalgesellschaften, sei möglich, wenngleich »an deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auszurichten«.

Klar: Eine einmalige Vermögensabgabe wäre zunächst einmal »nur« eine Antwort auf die Frage nach der Verteilung der Krisenkosten »nach der Schlussabrechnung«. Sie hat eine wichtige Gerechtigkeitsdimension aber nur eine geringe Transformationsdimension, sofern sie nicht mit weiteren Fragen verbunden wird: Welche Einstiegsmöglichkeiten in gesellschaftliche Umbauprozesse, etwa in der Arbeitswelt, der Produktion usw. eröffnet die Krise womöglich? Zumal die Krisenkosten zwar getragen, aber die Einnahmen etwa aus einem Corona-Soli nicht in die Wiederherstellung des Status quo ante fließen sollten, sondern etwa für Infrastrukturmaßnahmen genutzt werden könnten, die nicht nur als Nachfrageimpuls durch die öffentlichen Hände wirken sollten, sondern eben auch substanziell Veränderung herbeiführen könnten. Es ist eben noch nicht entschieden, was »die richtigen Prioritäten« nach der Corona-Krise sind: Aufwertung gesellschaftlich wichtiger Tätigkeiten und Berufe, Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge, Aufbau einer neuen, ganz anderen gesellschaftlichen Resilienz, etwa was gesellschaftlich wichtige Kapazitäten angeht (man muss ja nicht nur an Klinikbetten und Schutzmasken denken). Es geht in dieser Debatte um die Frage, wie wir künftig leben wollen.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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