Eroberung der Zukunft, Kampf um Weltmacht
Am Dienstag startet die Versteigerung die 5G-Frequenzen. Der neue Mobilfunkstandard ist nicht nur ein Mittel in der Konkurrenz der Unternehmen, sondern auch ein Mittel in der Konkurrenz der Staaten um Wachstum und um globalen Einfluss.
5G, so heißt es, ist die Zukunft. Die Versteigerung der Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard laufen in Deutschland an. Die neue Technik ist verheißungsvoll: Mit 5G sollen Daten bis zu 100 Mal schneller übertragen werden als mit dem aktuellen LTE-Standard, sie ermöglicht erstmals die Datenübertragung in Echtzeit. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Vernetzung von Industrierobotern und Telemedizin, für Verkehrssteuerung und autonomes Fahren. Doch so einfach ist der technische Fortschritt in der Marktwirtschaft nicht zu haben. Denn 5G ist nicht nur ein Mittel in der Konkurrenz der Unternehmen, sondern auch ein Mittel in der Konkurrenz der Staaten um Wachstum und um globalen Einfluss. Der unschuldige Mobilfunkstandard ist zum Material eines Machtkampfs geworden, in dem die gängige Wahrheit revidiert wird, dass technologischer Fortschritt und Globalisierung am Ende allen zu Gute kommen.
5G – die Ökonomie
Ökonomisch interessant ist 5G im Kontext der so genannten Digitalisierung. Die digitale Technik ermöglicht den Unternehmen eine Vernetzung ihrer Produktion, neue Geschäftsmodelle und Vertriebswege. Was in Deutschland unter dem Namen „Industrie 4.0“ bekannt ist, beinhaltet im Wesentlichen eine neue Welle der Rationalisierung der Produktion, also Möglichkeiten der Kostensenkung zur Steigerung der Kapitalrentabilität. Den Arbeitnehmern wird die neue Technologie daher das Leben nicht leichter und bequemer machen und ihnen Arbeit ersparen. Für sie bringt die Digitalisierung unter anderem erhöhte Leistungsanforderungen, verstärkte Kontrolle, erhöhte Flexibilität und – eventuell – drohender Job-Verlust und eine verstärkte Polarisierung der Einkommen. Zu erwarten ist damit eine verstärkte Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu Gunsten der Kapitalgeber und zu Lasten der Arbeitnehmer.
Damit die Digitalisierung ins Werk gesetzt werden kann, kommt es auf die Erhebung von Daten an, auf ihre Speicherung, ihre Verarbeitung und auf ihre Übertragung. Hier kommt 5G ins Spiel. Der neue Mobilfunkstandard ermöglicht durch seine höhere Übertragungsgeschwindigkeit die bessere Ausnutzung des digitalen Rationalisierungspotenzials, von dem nicht alle profitieren werden, weil es ein mächtiges Mittel der Unternehmen ist, größere Teile des produzierten Reichtums an sich zu ziehen.
5G – der Standort
Laut herrschender Wirtschaftslehre sorgt der Markt für eine optimale Verwendung der Ressourcen und Befriedigung der Bedürfnisse. Der Staat wiederum soll dafür einen Ordnungsrahmen schaffen und sich ansonsten möglichst zurückhalten. Dass dies mit der Wirklichkeit der politischen Ökonomie nichts zu tun hat, macht 5G abermals deutlich.
Aus Sicht des Staates gehört die Ausrüstung mit 5G-Netzen zur notwendigen Infrastruktur des Standorts, die den Unternehmen bereitgestellt wird. Als technologische Grundvoraussetzung des Kapitalwachstums stellt die schnellere Datenübertragung einen Vorteil gegenüber anderen Standorten dar – wer über die neue Technologie verfügt, ermöglicht nicht nur den heimischen Unternehmen Konkurrenzvorteile, sondern zieht gleichzeitig Investitionen aus aller Welt an. Mit der neuen Technologie wird versucht, die »alten« Technologien der Konkurrenten zu entwerten, um sich so Extra-Vorteile zu sichern. In der Warnung, ohne schnelle Einführung von 5G werde Deutschland international »abgehängt«, steckt mithin das Ziel, andere Standorte abzuhängen.
Dass 5G »die industrielle Zukunft« darstellt, bedeutet gleichzeitig, dass es noch nicht die Gegenwart ist. Die Technik ist zwar vorhanden. Unklar ist derzeit jedoch noch, wer wie stark von ihr profitieren wird. Die Industrie ist noch damit beschäftigt, mögliche Anwendungsfälle zu identifizieren. Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey bei Telekommunikationskonzernen sind die Experten sich zwar sehr sicher, dass der Aufbau von 5G-Netzen sehr teuer wird. Die »Ökonomie von 5G ist jedoch überraschend unsicher«, die »kommerziellen Planungen befinden sich in einem frühen Stadium«. Bis sich die Investitionen in 5G lohnen, könnte es »unangenehm lange dauern«. Andererseits werde »5G als derart wichtig erachtet, dass es einfach vorangetrieben werden muss«. Im Klartext: Der milliardenteure Aufbau des neuen Mobilfunkstandards ist eine gigantische Spekulation auf künftige Entwicklungen. Als Voraussetzung für eventuell kommende Nutzungen wollen die großen Standorte ihn auf jeden Fall schon einmal einrichten, um später nicht zu den Nachzüglern zu gehören.
Damit 5G als Standortvorteil dienen kann, muss es erstens verlässlich funktionieren, zweitens kostengünstig für die Nutzer und drittens flächendeckend vorhanden sein. Viertens schließlich soll sein Betrieb den Anbietern – den Providern – auch noch einen Profit einbringen. All diese Ziele widersprechen sich. Denn der Aufbau der entsprechenden Infrastruktur ist für die Provider teuer, die Versorgung entlegener Landstriche lohnt sich nicht. Die Förderung der nationalen Industrie und des Standortes sind den Mobilfunkbetreibern kein Anliegen, Investitionen in die Sicherheit der Netze stellen für sie vor allem Kosten dar.
Deswegen verlässt sich der Staat nicht darauf, dass der Markt den Aufbau von 5G schon regeln wird und springt mit Investitionen und gesetzlichen Regelungen ein, zwingt die Mobilfunkbetreiber zur möglichst flächendeckenden Versorgung, zur Kooperation untereinander und macht Auflagen für die Sicherheit der Netze. So will er die Widersprüche von Kostengünstigkeit, Verfügbarkeit, Stabilität und Rendite heilen. Damit demonstriert die Politik, dass »die Wirtschaft« nicht einmal in der Lage ist, die technologischen Bedingungen ihres eigenen Wachstums bereitzustellen.
5G – die USA stellen die Machtfrage
Laut herrschender Wirtschaftslehre dient der Welthandel der Steigerung der Effizienz, von der am Ende alle Parteien profitieren. Der Fall 5G zeigt jedoch: Bei der Globalisierung handelt es sich nicht um ein Gemeinschaftswerk der Staaten zur Steigerung des Wohlstands, sondern um einen Kampf um die Monopolisierung der Erträge aus dem globalen Geschäft. Dieser Kampf ist mittlerweile so weit gediehen, dass die Handels-»Partner« die weltweite »Arbeitsteilung« als Risiko ihrer nationalen Sicherheit sehen, was die westliche »Wertegemeinschaft« unterminiert.
Aus der Gegnerschaft der Standorte und Unternehmen erwächst das Bedürfnis nach Geheimhaltung, also danach, den Konkurrenten Informationen vorzuenthalten. Und daraus erwächst das Bedürfnis nach Spionage und dem Schutz davor. Hier spielen die Datenübertragungswege eine zentrale Rolle. »Die Gefahr, dass über Netzwerktechnologie Möglichkeiten der Spionage geschaffen werden, ist real. Auch gibt es bisher keine zuverlässigen Prüfverfahren, um dies auszuschließen«, so Daniel Voelsen von der Denkfabrik SWP.
Mit der Einrichtung von Mobilfunknetzen macht sich ein Standort abhängig von der Funktionsfähigkeit dieses Netzes – mithin abhängig von den Unternehmen, die die Hard- und Software des Netzes bereitstellen. Damit rückt eine bestimmte Eigenart dieser Netzausrüster in den Fokus: ihre Nationalität, sprich die Frage, welcher politischen Macht sie unterstellt sind. Der Aufbau des 5G-Netzes wird so von einer Frage von Preis und Leistung zu einer Frage des Verhältnisses zwischen zwei Staaten.
In dieser Frage hat sich die US-Regierung klar positioniert: gegen China. Den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei hat sie de facto aus dem US-Markt ausgesperrt und drängt die europäischen und asiatische Staaten dazu, es ihr gleich zu tun. Das von Washington identifizierte Problem besteht nicht darin, dass China westliche Technologie »stiehlt«, sondern dass es eigene Technologie hat, die funktioniert und preiswert ist, weswegen ein Ausschluss von Huawei politisch erzwungen werden muss.
Mit diesem Ausschluss will die US-Regierung erstens einen Konkurrenten der heimischen Hightech-Unternehmen schädigen und Chinas Aufstieg zur Hightech-Macht unterbinden. Zweitens will sie verhindern, dass der chinesische Staat über sein Unternehmen Zugriff auf sensible US-Daten erhält. Drittens will sie den Zugriff Chinas auf Daten anderer Staaten verhindern. Die Möglichkeit, heimische Hightech-Unternehmen als Quelle für ausländische Daten zu benutzen, behält sich Washington selbst vor: Mit dem »Cloud Act« und anderen Gesetzen verpflichtet es die US-Hightech-Unternehmen auf Herausgabe von Informationen unabhängig vom Standort – also auch aus dem Ausland. Dass Peking mit Huawei das gleiche versuchen könnte, begreift die US-Regierung daher als Angriff auf ihre digitale Einflusssphäre weltweit.
Viertens will Washington verhindern, dass Peking über die Ausrüstung ausländischer Netze ein politisches Machtmittel in die Hand bekommt. Die Rede ist von so genannten Kill switches, mit denen ein Unternehmen wie Huawei Netze gezielt stören oder sogar lahmlegen kann. Die Abhängigkeit gerade von militärischen Verbündeten der Vereinigten Staaten von China soll unterbunden und damit der Aufstieg Chinas zum Weltmachtkonkurrenten zumindest verlangsamt werden. Washington rechnet hier offensichtlich mit einer Eskalation. Denn »umfassende Störungen« von Netzen durch den Ausrüster sind laut SWP »allenfalls im Falle massiver zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen denkbar«. Dann aber schon.
5G – Europas Schwäche
Mit ihrer Anti-China-Politik bringen die USA die Europäer in Schwierigkeiten. Denn Huawei-Technik funktioniert einwandfrei, sie ist billiger als die von Konkurrenten wie Nokia und Ericsson. Und sie ist verfügbar, Huawei kann liefern. Der Verzicht auf Huawei-Technik, so heißt es, werde den Aufbau des 5G-Netzes in Europa über Jahre verzögern und verteuern, was Teile des Standortvorteils zunichte machen würde. Zudem fällt der Ausschluss von Huawei den Amerikanern leichter, da das chinesische Unternehmen in den USA kaum präsent ist. In Deutschland dagegen nutzen die Mobilfunknetze – Telekom, Vodafone, Telefonica – schon seit Jahren Huawei-Produkte, wobei beim Betrieb des deutschen Regierungsnetzwerks auf Komponenten aus China verzichtet wurde.
Die Regierungen in Europa sind in der Klemme: Gehorchen sie der US-Forderung nach Gefolgschaft, verzichten sie nicht nur auf billige chinesische Technologie und schaden ihrem Standort, sie gefährden auch die Beziehung zu ihrem – je nach Land – wichtigsten oder zweitwichtigstem Handelspartner China. Verweigern sie sich dagegen der Forderung Washingtons, untergräbt dies ihr ohnehin schon geschädigtes Verhältnis zu den USA. Dies könnte zum einen ökonomische Folgen haben – so ist keineswegs auszuschließen, dass die US-Regierung europäische Unternehmen mit chinesischer Technik eines Tages mit Sanktionen belegt. Zum anderen drohen weitreichendere politische Folgen – so hat Präsident Donald Trump bereits angekündigt, die Zusammenarbeit der Geheimdienste einzuschränken für den Fall, dass sich die Bundesregierung nicht gegen Huawei entscheidet. US-Außenminister Mike Pompeo drohte Staaten, die Huawei-Technik zulassen mit »Einschränkungen bei der Verfügbarkeit von US-Technologiekomponenten«. An die Adresse Osteuropas erging zudem Pompeos Andeutung, dass die USA keine Militärbasen in Ländern errichten, die mit Huawei arbeiteten.
In dieser Klemme legt sich die Bundesregierung nicht fest. Sie hat Eckpunkte für die Sicherheitsanforderungen zum Aufbau des 5G-Netzes beschlossen. Ein expliziter Ausschuss einzelner Anbieter ist bislang nicht vorgesehen. Sie überlässt es allerdings den Netzbetreibern wie Telekom oder Vodafone, chinesische Technik einzusetzen. Der drohende Ausschluss aus dem US-Markt dürfte für die Konzerne ein starkes Argument gegen Huawei sein. Und insbesondere die Telekom dürfte sich genau überlegen, wie sie vorgeht, schließlich ist der Verzicht auf Huawei-Technik voraussichtlich Bedingung dafür, dass sie den US-Konkurrenten Sprint übernehmen darf.
Imperialismus digital
Der Kampf um die 5G-Technik zeigt, wie kriegsträchtig ökonomische und technologische Fragen geworden sind. Der »geopolitisch motivierte Infrastrukturbau hat neuen Auftrieb bekommen«, schreibt Peter Garber von der Deutschen Bank und erinnert an frühere Projekte, »die den Wettstreit der Großmächte widerspiegeln«: Suez-Kanal, Panama-Kanal, Bagdad-Bahn, Transsibirische Eisenbahn. Immer waren diese Netze Mittel, um die nationale Wirtschaft zu unterstützen und gleichzeitig den eigenen Machtbereich über die eigenen Grenzen hinaus auszudehnen: Wirtschaft als Mittel staatlicher Macht und staatliche Macht als Mittel der Wirtschaft.
Heute ist der Globus weitgehend erschlossen, die geopolitischen Netze erstrecken sich daher weniger über Wasser und Land, sondern im virtuellen Raum. Die Eroberung der Zukunft verläuft nicht über Schiffswege oder Gleise, sondern durch Glasfaserkabel und Mobilfunkwellen. Damit verschwimmen alle Grenzen: Denn das globale digitale Netz wächst, und »welche Technologie könnte nicht für Datenklau verwendet werden?«, fragt Noah Smith vom Finanzdienstleister Bloomberg. Wenn Mobilfunknetze zur Spionage dienen können, dann auch das Handy. »Und was ist mit den Computern im Büro?«, so Smith, »was ist mit den selbstfahrenden Autos vor der Tür, mit dem intelligenten Thermostat und der Waschmaschine im Haus?« So kommt der Kampf um die Weltmacht in die gute Stube.
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