»Erodierte Vorbildrolle«: Über 15.000 befristete Jobs in Ministerien und Bundesbehörden
In den Behörden der Regierung hatten 2017 fast 16.000 Menschen nur einen befristeten Job. Die FDP nennt das »bemerkenswert« – und will so die SPD vorführen. Über eine Anfrage, die im Streit um die Einschränkungen von Befristungen zum Einsatz kommt.
In Bundesministerien und untergeordneten Bundesbehörden waren 2017 insgesamt 15.690 Menschen mit einem befristeten Arbeitsvertrag beschäftigt. Die meisten davon im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums mit rund 5.600 befristeten Jobs, »im Wirtschafts- und Verkehrsressort waren es jeweils 1.700 und 1.600. Die wenigsten gab es im Entwicklungsministerium mit 95 befristeten Arbeitsverträgen«, heißt es in einer Vorabmeldung der »Rheinischen Post«. Diese stützt sich auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Otto Fricke, die von der Regierung beantwortet wurde. Mit solchen Anfragen wird regelmäßig Politik betrieben, meist seitens der Oppositionsparteien. In diesem Fall ging es den Freidemokraten offenbar weniger um das inzwischen auf der politischen Hauptbühne angekommene Problem der Befristung, sondern um das Vorführen der Sozialdemokraten.
»Bedenkt man, dass die SPD seit mehr als vier Jahren an der Bundesregierung beteiligt ist und sich derzeit lautstark über befristete Beschäftigungsverhältnisse bei den Firmenbeteiligungen des Bundes aufregt, ist es schon bemerkenswert, dass es beim Bund selbst mehr als 15.000 befristete Beschäftigungsverhältnisse gibt«, wird der FDP-Mann Fricke von der Zeitung zitiert. Politiker wie Arbeitsminister Hubertus Heil hatten im Zuge des Skandals um postinterne Anweisungen zur Beendigung von befristeten Arbeitsverträgen wegen Krankheit oder Unfällen erklärt, sich dafür einsetzen zu wollen, dass die sachgrundlose Befristung eingedämmt wird und »endlose Kettenbefristungen« gestoppt werden.
Das sieht auch der Koalitionsvertrag vor, die Zahl der Arbeitsverträge mit sachgrundloser Befristung könnte sich nach Schätzungen von Arbeitsmarktexperten um etwa 400.000 reduzieren, wenn die Vereinbarung umgesetzt wird. Die Tagesschau dazu: »Forscher gehen demnach von 1,3 Millionen Beschäftigten aus, die mit sachgrundlos befristeten Verträgen arbeiten. Rund 830.000 von ihnen sind in Unternehmen mit mehr als 75 Mitarbeitern tätig. Union und SPD wollen ab dieser Firmengröße Unternehmen gestatten, maximal 2,5 Prozent der Belegschaft ohne Grund nur befristet zu beschäftigen.« Wichtig ist hier allerdings die Einschränkung »sachgrundlos«. Es gibt aber insgesamt weit mehr befristete Verträge: Das Institut IAB rechnete unlängst vor, dass »knapp 2,9 Millionen Beschäftigte in Deutschland« laut einer Untersuchung von 2016 einen befristeten Arbeitsvertrag haben. »Das entspricht einem Anteil an allen Beschäftigten (ohne Auszubildende) von etwa acht Prozent. Im ersten Halbjahr 2016 erfolgten rund 43 Prozent aller Einstellungen befristet«, so das IAB.
Die Forscher schreiben weiter: »Für viele Betroffene, Gewerkschaften und die Parteien des linken Spektrums ist die bestehende Befristungspraxis ein unhaltbarer Zustand. Hingegen sehen Union, FDP und Arbeitgeber darin ein notwendiges Instrument der Personalsteuerung, deren Abschaffung auch beschäftigungspolitisch kontraproduktiv wäre.« Entlang dieser politischen Debattenlinie ist auch die eingangs zitierte politische Nutzung der FDP-Anfrage zu sehen. In der Debatte wurde von den Befürwortern von mehr Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt darauf verwiesen, dass die Zahl befristeter Jobs im öffentlichen Dienst viel höher sei als in der Privatwirtschaft. Die Logik dahinter: Zuerst einmal solle da das Problem behoben werden, bevor neue Regulierungsschritte in die unternehmerische Hoheit eingreifen.
Für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung haben Christian Hohendanner und Philipp Ramos Lobato 2017 die Befristungspraxis im öffentlichen Dienst untersucht. Dieser »galt lange als vorbildlicher Arbeitgeber. Der Blick auf die Befristungsquote zeigt jedoch deutliche Erosionstendenzen der einstigen Vorbildrolle. Anteilig betrachtet stellen öffentliche Arbeitgeber neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufiger befristet ein und übernehmen diese zudem seltener in eine Daueranstellung als privatwirtschaftliche Unternehmen.« Befragungen von Personalleitungen, Personalräten und dem IAB-Betriebspanel zeigten, »dass die genannten Unterschiede zum privaten Sektor vor allem der besonderen betrieblichen Funktion befristeter Beschäftigung im öffentlichen Dienst geschuldet sind. Hier bildet Befristung das zentrale Instrument zur Personalanpassung, während private Arbeitgeber dazu noch weitere Instrumente nutzen.«
DGB-Chef Reiner Hoffmann sagt mit Blick auf die hohe Befristungsquote an den Universitäten, »wir können uns nicht auf die Fahnen schreiben, eine Wissensgesellschaft zu sein, und zugleich die Wissensproduzenten derart stiefmütterlich behandeln.« Und weiter: »So kann man mit Menschen nicht umgehen. Der Staat sollte mit gutem Beispiel vorangehen.« Für ihn sei es »umso unverständlicher«, dass die Regierung »Hasenfüßigkeit« an den Tag lege.
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