Wirtschaft
anders denken.

Es gehen Zombies um in Europa: Verschuldete Unternehmen

25.06.2018
Bryan Ledgard , Lizenz: CC BY-SA 2.0

In der Krise ist die Zahl der Unternehmen stark gewachsen, deren Einnahmen die Zinsen ihrer Kredite nicht decken. Solange die Niedrigzinspolitik der EZB anhält, können die Zombie-Firmen weiter am Markt bestehen. Doch was passiert, wenn diese Zeit einmal vorbei ist?

Seit Jahren verzeichnen viele der OECD-Staaten, unter ihnen die EU-Mitgliedsstaaten, einen Rückgang des Produktivitäts- und Wirtschaftswachstums. In einem Wirtschaftssystem, das auf permanentes Mehr baut, ist das natürlich eine schlechte Nachricht. Um auf den demografischen Wandel in Ländern wie Deutschland reagieren zu können, muss die Arbeitsproduktivität steigen, um die Lebensstandards beibehalten zu können. Je weniger Beschäftigte für mehr Rentner aufkommen müssen, desto produktiver müssen sie werden. Das ist die einfache Lösung im heutigen Sozialstaat.

Schon der große Ökonom Joseph Schumpeter beschrieb, dass die Wirtschaft stärker wächst, wenn schwache Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Sie binden Ressourcen – sowohl Human-Ressourcen als auch Kapital-Ressourcen – auf unproduktive Art und Weise und verhindern so Innovationen. Schwache Unternehmen nennen wir heute Zombie-Unternehmen.

Solche Firmen bleiben am Markt, obwohl sie gemessen an ihrer Produktivität nicht mehr konkurrenzfähig sind. Und so wächst trotz technologischem Wandel die Produktivität weniger.

Die Bundesbank definiert Zombie-Firmen als Unternehmen, die bereits länger als zehn Jahre am Markt bestehen und deren Einnahmen aus dem operativen Geschäft über drei Jahre in Folge die Zinsaufwendungen nicht decken können. Kurz gesagt: Die Aufwendungen sind höher als die Einnahmen. Solche Firmen investieren nicht mehr, sie vegetieren meist nur noch vor sich hin.

Zombie-Firmen sind, anders als gesunde Firmen, nur an Liquidität interessiert. Sie drücken deshalb nicht selten das Preisniveau einer Branche und sorgen so dafür, dass die Entwicklung von »gesunden« Firmen gehemmt wird. Ein Kreislauf, der wiederum dazu führt, dass mehr Unternehmen zu Zombies werden, da sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können.

Je niedriger die Zinsen, desto weniger gut funktioniert die Marktreinigung. Die Überproduktion von Zombie-Firmen wirkt ebenfalls preisdämpfend, was zu geringen Inflationsraten führen kann. Niedrige Inflationsraten erhöhen wiederum die reale Schuldenlast.

Zombie-Firmen können nur am Markt überleben, weil sie direkt oder indirekt subventioniert werden. Laut der Organisation OECD sind es vornehmlich Banken, die selbst unsolide finanziert sind, die Zombie-Firmen am Leben erhalten. Durch günstige Kredite subventionieren die Banken die Unternehmen indirekt, was zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führt, falsche Anreize setzt und Innovationen verhindert.

Die Kredite an Zombie-Firmen werden von den Banken verlängert, statt bei Fälligkeit eine Rückführung zu fordern, denn eine damit verbundene Pleite würde auch die Kapitaldecke der Banken strapazieren. Sie müssten die Kredite als non-performing, also als notleidenden oder faulen Kredit klassifizieren oder sogar in der eigenen Bilanz abschreiben. Das wirkt sich negativ auf die Kapitaldecke aus. Außerdem werden so Mittel gebunden, die produktivere Firmen und Start-ups für Innovationen und Investitionen benötigen, die ihre Produktivität steigern. Und so kommt es zu einem stagnierenden Produktivitätszuwachs, was wiederum Einfluss auf den Wohlstand hat.

Studien belegen, dass es vor allem die Banken sind, die unprofitablen Unternehmen weitere Kredite einräumen oder sie überhaupt als Kunden aufnehmen, die ohnehin schon einen großen Berg an faulen Krediten angehäuft haben. Sie würden Abschreibungen nicht verkraften. Im schlimmsten Fall käme es bei Kreditausfällen zu einem negativen Net Asset Value – Nettovermögenswert.

Deshalb werden faule Kredite und ausstehende Forderungen weiterhin als Aktiva geführt, damit die Bilanz einen positiven Wert aufweist und die Bank weiterhin bestehen kann. Banken, die sich nur dadurch am Leben erhalten können, nennt man auch Zombie-Banken. Dieser Begriff wurde nach dem Platzen der Finanzblase in Japan um 1990 geprägt.

Gestiegene Kapitalanforderungen an Banken sorgen dafür, dass gesunde Unternehmen keine oder nur weniger Kredite bekommen. Diese Fehlallokation von Kapital hat zur Folge, dass die Wirtschaft weniger wächst und die Wachstumsdynamik und Innovationen von anderen Unternehmen gehemmt werden. Dass das Problem der Zahlungsunfähigkeit nur aufgeschoben wird und der Schuldenberg umso größer ist, je länger die Bank weitere Kredite einräumt, liegt auf der Hand.

Das Entstehen der Zombie-Firmen ist eine logische Folge der Notenbankpolitik der niedrigen Zinsen und Liquiditätsspritzen in Zeiten von Rezessionen und Finanzmarktkrisen. Und auch nach den Krisen wurden die Zinsen nicht wieder auf Vorkrisen-Niveau angehoben. Sinken Zinsen strukturell, verführt das Banken, Unternehmen und Investoren, immer weniger Eigenkapital einzusetzen und Investitionen mit Krediten zu finanzieren.

Dieser Verschuldungstrend führt auf lange Sicht dazu, dass die Krisenanfälligkeit wächst. Das wiederum führt dazu, dass Notenbanken immer wieder und immer stärker intervenieren müssen.

Zombies fühlen sich nur in einem Niedrigzins-Niveau wohl, schon ein stabiles oder steigendes Zinsniveau setzt sowohl Firmen als auch Banken unter Druck. Steigen die Zinsen, weil beispielsweise die Notenbanken aus ihrer Niedrigzinspolitik aussteigen, droht die Zombifizierung.

Im Herbst 2008 senkte die Europäische Zentralbank innerhalb von sieben Monaten den Leitzins auf das historische Tief von einem Prozent. Seit diesem Schritt ist der Anteil von Zombie-Unternehmen in einigen Ländern der Eurozone deutlich nach oben gegangen. Die Bank of America zeigte in einer aktuellen Studie, dass neun der größten börsenorientierten Unternehmen in Europa Zombie-Firmen seien. Energieversorger gehören zu den verdächtigen Branchen.

Besonders betroffen von Zombie-Firmen sind die Länder im Süden: Italien, Spanien und Griechenland. Laut OECD hat sich ihre Anzahl in Spanien und Italien verdreifacht. Die Organisation schätzt, dass 2013 bis zu zehn Prozent der italienischen Beschäftigten für Zombie-Firmen arbeiteten. Bis zu zehn Milliarden Euro Bank-Kapital wurden in Spanien und Italien zwischen 2008 und 2013 durch Zombie-Firmen gebunden.

Das Kapital, das durch Zombie-Firmen gebunden wird, hat sich laut OECD seit der Krise stark erhöht: 2013 banden italienische Zombies bis zu 19 Prozent, spanische Zombies 16 Prozent und griechische Zombies bis zu 28 Prozent. In Deutschland waren es 2013 immerhin 12 Prozent, in Österreich neun Prozent des Kapitals, das durch Zombie-Firmen gebunden war. Laut Bundesbank hat sich die Zahl der Zombie-Firmen in Deutschland dabei seit der Krise nicht dramatisch erhöht.

Solange die Niedrigzinspolitik der EZB anhält, können die Zombie-Firmen weiter am Markt bestehen. Doch was passiert, wenn diese Zeit einmal vorbei ist? Dann wird es für die Zombie-Firmen und ihre Kreditgeber – oft Zombie-Banken – eng. Auch darum zögert EZB-Chef Mario Draghi, den Leitzins wieder anzuheben. Denn eine Pleitewelle würde Länder wie Griechenland, Italien und Spanien am heftigsten treffen.

Eine Bereinigung des Marktes scheint, wäre man an einer Lösung des Zombie-Problems ernsthaft interessiert, der einzige Ausweg. Die OECD empfiehlt eine solche, denn ohne Bereinigung wird eine wirtschaftliche Dynamik nicht entstehen. Eine Reform der Insolvenzregelungen scheint sinnvoll, denn ein Index der OECD zeigt, dass die Hürden für das Ausscheiden eines Unternehmens insbesondere in den südlichen EU-Ländern sehr hoch sind.

Und auch die Bankenaufsicht müsste reformiert werden. Finanzhäuser müssen ihre Kapitaleinlagen stärken und notleidende Kredite reduzieren. Das alles kann nicht ohne Sozialplan vonstattengehen. Die Politik der EU wird sich daran messen lassen müssen. Ihre grundfalsche Austeritätspolitik, die maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, dass Zombie-Firmen entstehen konnten, weil sie Banken gerettet und zugleich Anforderungen an Kapital und zum Abbau von faulen Krediten nicht ausreichend formuliert hat, wäre sonst für noch mehr Erwerbslose verantwortlich. Denn die sind die konkrete Folge einer Bereinigung des Marktes.

Geschrieben von:

Anne Schindler
Anne Schindler

OXI Projektkoordinatorin

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