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»Vortreffliche Wahl« und »Bärendienst«: OXI-Überblick zu Guindos, Weidmann und zur EZB-Spitze

20.02.2018
Epizentrum, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der Spanier Luis de Guindos rückt als Vizepräsident der Europäischen Zentralbank nach. Eine Nominierung mit möglichen Folgen – für die Geldpolitik, für die Machttektonik der EU und für die von Berlin angestrebte Dominanz in Europa. Ein Überblick.

Am Montagabend haben die Finanzminister der Eurogruppe den Spanier Luis de Guindos als Vizepräsident der Europäischen Zentralbank vorgeschlagen. Zuvor war die noch vor ein paar Tagen als aussichtsreich geltende Kandidatur des irischen Zentralbank-Präsidenten Philip Lane zurückgezogen worden. Es geht um die Nachfolge des Portugiesen Vítor Constâncio, dessen EZB-Mandat im Mai ausläuft. Es geht aber noch um viel mehr: um die geldpolitische Ausrichtung der EZB, um die Machtverteilung in der EU, um die Frage, wie stark die deutsche Sichtweise über wichtige ökonomische Institutionen abgesichert wird.

Am Dienstag müssen noch die Finanzminister aller 28 EU-Staaten den Vorschlag billigen – das gilt als Formsache. Ebenso wie die dann folgende Prozedur, eine Anhörung des Kandidaten im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments sowie eine geheime Abstimmung im Plenum, die für den Rat jedoch nicht bindend ist. Man darf zudem sicher sein, dass die Personalie de Guindos auf allerhöchster Ebene abgekartet ist, denn das Amt ist teil einer komplizierten machtpolitischen Tektonik in der EU, in der die Bedürfnisse von Nord- und Südeuropäern sowie die Wünsche starker Player wie Berlin und Paris unter einen Hut gebracht werden müssen. Endgültig abgesegnet wird die Berufung von de Guindos bei einem EU-Gipfel im März.

Was Berlin interessiert? Weidmanns Chancen

»Damit dürften die Chancen für Bundesbank-Präsident Jens Weidmann steigen, 2019 an die Spitze der EZB zu rücken«, schreibt die Deutsche Presse-Agentur. Über die Nachfolge von Mario Draghi wird im kommenden Jahr entschieden, dessen Mandat endet am 31. Oktober 2019. »Das könnte Folgen für die geldpolitische Ausrichtung der EZB haben«, heißt es weiter. Hier geht es zuvörderst um eine mögliche Abkehr der von Draghi verfolgten ultralockeren Geldpolitik. Kritik daran, so formulierte es Michael Wendl vor einiger Zeit, »kommt vor allem aus Deutschland: von Ordoliberalen und Marktradikalen, aber auch von Anhängern der Linken. Und dann gibt es noch viele, etwa in der SPD, die gar nicht verstehen, was Draghi tut.« Eine Übersicht von Wendl zur Debatte git es hier. Außerdem möchten wir auf Wendls Zweiteiler zur EZB und zur Krise verweisen – Teil eins gibt es hier und Teil zwei steht hier.

Der amtierende Bundesfinanzminister Peter Altmaier von der CDU war zur Personalie de Guindos mit den Worten zitiert worden, »das wäre eine vortreffliche Wahl«. Ob Altmaier dabei auf Basis von geldpolitischen oder allgemein ökonomischen Überlegungen redet, sei dahingestellt. Warum es eine »vortreffliche Wahl« sein soll, sagte Altmaier jedenfalls nicht. Eher geht es wohl um die machtpolitische Perspektive Berliner EU-Hoheit und um die »Abstimmungsseilschaften« in Europa: Berlin hatte de Guindos schon einmal unterstützt, damals könnte der Niederländer Jeroen Dijsselbloem den Vorsitz der Eurogruppe für eine zweite Amtszeit behalten.

Der linke Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Fabio De Masi spricht mit Blick auf de Guindos von einer »politisch wie fachlich« schlechten Wahl. Es gehe vor allem darum, Weidmann auf den EZB-Chefsessel zu hieven. Auch scheint der Hamburger von der Qualifikation des Spaniers nicht überzeugt, was letzten Endes auch eine politische Frage ist: »Die EZB braucht in Zeiten von neuen Finanzmarktrisiken, Fintech und zinspolitischer Wende kluge Köpfe. De Guindos entstammt einer konservativen Dynastie in Spanien, die sich durch Vetternwirtschaft, Immobilienblasen und Kürzungspolitik ausgezeichnet hat. Letztere hat zur permanenten Verletzung des Inflationsziels der EZB nach unten geführt, da die Löhne nicht vom Fleck kommen.«

Kritik von Grünen und Linken

Hinzu kommt für De Masi ein demokratiepolitisches Problem: »Die Kritik des Europäischen Parlaments an der Nominierung de Guindos« habe die Staats- und Regierungschefs nicht interessiert. »Dies offenbart das zentrale Problem: Die EZB ist die mächtigste wirtschaftspolitische Institution in Europa – aber ohne parlamentarische Kontrolle. Absolute Macht korrumpiert, wie etwa Skandale um Treffen von EZB-Direktoren mit der Finanzindustrie vor wichtigen zinspolitischen Entscheidungen und die Teilnahme von EZB-Präsident Mario Draghi am Lobbyclub der Privatbanken (G30) offenlegen.«

Dabei geht es nicht um ein Ende der Unabhängigkeit der EZB, diese solle »in der Wahl ihrer wirtschaftspolitischen Instrumente unabhängig sein«, so De Masi, »aber die Ziele ihrer Geldpolitik, wichtige Personalentscheidungen und auch die Rechenschaftspflicht sollten einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterliegen«. In den USA sei das auch so.

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold macht einen anderen kritischen Punkt: es geht um Glaubwürdigkeit. Die Eurogruppe erweise dieser mit de Guindos Nominierung »einen Bärendienst«, da ein direkter Wechsel aus der Eurogruppe in die Führung der EZB »die Unabhängigkeit der Zentralbank« gefährde. »Wenn die Eurogruppe ein eigenes Mitglied beruft, demonstriert sie ihren eigenen Interessenkonflikt. Es ist peinlich, dass nun der eindeutig kompetentere Kandidat Philipp Lane das Nachsehen hat.« Die Grünen machen sich zudem für eine Frau an der Spitze der EZB stark. Dafür sei »es endlich Zeit«.

Kompetenzfragen, Machtfragen, Geldpolitikfragen

In Sachen Kompetenz – de Guindos hat keine geldpolitische Erfahrung, der Ire ist schon zu Hause Notenbankchef – schreibt die »Neue Zürcher Zeitung«, dies könne »manchen Notenbankern ein Dorn im Auge sein mag, ist sie im EZB-Direktorium kein absolutes Novum«. Das Auswahlergebnis bei der Besetzung von EZB-Posten müsse »nicht immer jenem entsprechen, das rein fachliche Überlegungen ergeben hätte. Solange die Euro-Zone aus Nationalstaaten besteht, ist dies schwer zu vermeiden.«

Vor allem aber bewegen die Kommentatoren die möglichen geldpolitischen Konsequenzen. Die Amsterdamer Zeitung »de Volkskrant« schreibt, sich gegen Draghis Kurs aussprechend: »Die Führung der EZB ist der Politik zum Opfer gefallen. Genauer gesagt: einem Streit zwischen Süd- und Nordeuropa. Zwischen Tauben, die weiter Geld drucken wollen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, und Habichten, die glauben, dass Sparsamkeit letztendlich der einzig richtige Weg ist.«

Und weiter: »Es steht enorm viel auf dem Spiel. Unter Führung von Mario Draghi hat die EZB derart viele Staatsanleihen angekauft, dass ihre Bilanzsumme auf astronomische 4,5 Billionen Euro angewachsen ist. Damit geht die EZB ein großes Risiko ein. Durch niedrige Zinsen und enorme Geldspritzen sind überall finanzielle Seifenblasen entstanden, die jeden Moment platzen können.«

In der »Frankfurter Allgemeinen« heißt es zu de Guindos Nominierung: »EZB-Beobachter mögen sich in Wallung reden, ob auf Draghi abermals eine Taube aus dem Süden folgen muss oder darf, je nachdem, ob man Staatsfinanzierung zur Rettung des Euro für richtig oder falsch hält«. Die Tauben würden auf den französischen Notenbankchef Villeroy de Galhau setzen, die Falken auf Weidmann. Die FAZ zieht von hier noch eine weitere Linie der personalpolitischen Abhängigkeiten: »Mitentscheidend für die EZB-Spitze wird es sein, wie das Gerangel um den nächsten EU-Kommissionspräsidenten ausgeht«. Eine Rolle spielt also auch: Wer folgt auf Jean-Claude Juncker?

Und wie geht es nun vorerst geldpolitisch weiter?

Reuters schreibt: »Der neue Vize wird zusammen mit Draghi zunächst das vor allem in Deutschland umstrittene Anleihen-Kaufprogramm der EZB weiterführen. Es soll noch bis mindestens Ende September 2018 laufen und dann ein Volumen von 2,55 Billionen Euro erreichen. Mittelfristig stehen bei der EZB angesichts der kräftigen Konjunkturerholung die Zeichen aber auf eine weniger expansive Geldpolitik. Volkswirte rechnen mit ersten Zinserhöhungen ab Mitte 2019 – weg vom aktuellen Rekordtief von 0,0 Prozent« (mehr hier).

Das »Handelsblatt« wirft einen Blick voraus: »Weidmann gilt innerhalb der EZB als ›Falke‹, also als Anhänger einer straffen Geldpolitik. Er hatte die Anleihekäufe stets kritisiert. Seine Überzeugung ist: ›Die Währungsunion wird nur dann dauerhaft krisenfest, wenn Handeln und Haften wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.‹« Die Anleihekäufe hätten aber den »Zusammenhang zwischen Handeln und Haften geschwächt, weil sie verhindern, dass hohe Staatsschulden mit hohen Zinsen bestraft werden. Vor allem von deutschen Ökonomen kommt daher stets die Forderung, die lockere Geldpolitik Draghis möglichst schnell auslaufen zu lassen und die Bilanzsumme auf Normalmaß zurückzubringen.« Die Zeitung rühmt Weidmann denn auch als »der ideale Kandidat für die kommende Periode der Geldpolitik«. Das sehen nicht nur einige deutsche Ökonomen anders.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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