Wirtschaft
anders denken.

Europäische Zentralbank: Was tut Draghi?

27.10.2017
EZB-Präsident Mario Draghi an einem Tischmit Namensschild und MikrofonFoto: European Parliament / Flickr CC-BY-NC-ND 2.0 LizenzEZB-Präsident Mario Draghi.

Mit den jüngsten Entscheidungen setzt EZB-Chef Mario Draghi die bisherige Geldpolitik weitgehend fort. Kritik kommt vor allem aus Deutschland: von Ordoliberalen und Marktradikalen, aber auch von Anhängern der Linken. Und dann gibt es noch viele, etwa in der SPD, die gar nicht verstehen, was Draghi tut.

Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 26.10.2017 markiert keine Trendwende in der expansiven Geldpolitik dieser Zentralbank. Einmal bleibt der Leitzins, zu dem Kredite an die Geschäftsbanken vergeben werden, bei 0 Prozent. Zweitens wird das Programm des Aufkaufs von Staatsanleihen und gegebenenfalls auch Unternehmensanleihen auf den sogenannten Sekundärmärkten fortgesetzt, mindestens bis zum September 2018.

Der direkte Kauf von Staatsanleihen ist der EZB durch europäisches Recht untersagt. Deshalb kauft die EZB sie auf dem Markt, auf dem mit Staatsanleihen gehandelt wird, den Banken, die Staatsanleihen gekauft haben, ab. Wenn danach weitere Käufe erforderlich sind, werden sie getätigt werden. Es ändert sich ab dem Januar 2018 nur das Volumen der Käufe, es wird von 60 Milliarden Euro pro Monat auf 30 Milliarden Euro verringert. Die EZB setzt also ihre Geldpolitik nur wenig verändert fort.

Worauf zielen Draghis Beschlüsse?

Der Kauf von Staatsanleihen zielt zunächst auf den Effekt, dass die Zinsen für künftige Staatsanleihen in der Eurozone niedrig bleiben. Wenn mit Staatsanleihen gehandelt wird, sinken die Kurse der Staatsanleihen der hoch verschuldeten Krisenländer. Hier gibt es das Risiko, dass es zu einem Schuldenschnitt kommt. Wenn die Kurse sinken, steigen die Renditen festverzinslicher Wertpapiere. Sinkt der Kurs von 100 auf 90 bei einem Zins von 3 Prozent, so steigt die Rendite auf 3,33 Prozent. Zukünftige Staatsanleihen werden daher nur bei einem höheren Zins gekauft. Damit stabilisiert die EZB durch Käufe von Staatsanleihen das Zinsniveau der Staatsanleihen der Krisenländer. Durch diese Käufe erhöht sich die Bilanzsumme der EZB entsprechend.

Eine Zentralbank kann nicht insolvent werden, weil sie die Möglichkeit hat, selbst Geld herzustellen. In diesem Zusammenhang ist Geld »endogen«, es entsteht aus der Nachfrage nach Krediten und Bargeld, die über die Geschäftsbanken vermittelt wird. Die Zentralbank schafft mit ihrer Geldpolitik den institutionellen Rahmen, in dem diese Geldschöpfung reibungsarm funktionieren kann.

Der zweite Effekt besteht darin, dass die EZB mit diesen Käufen den Geschäftsbanken Zentralbankgeld auf die Konten dieser Banken bei der EZB überweist. Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass die Geschäftsbanken durch die Kreditvergabe an Privathaushalte und Unternehmen sogenanntes Giralgeld- und Buchgeld schöpfen, in dem sie den KreditnehmerInnen diesen Kredit auf ihrem Konto gutschreiben. Dieser Kredit kommt entgegen den üblichen Vorurteilen nicht aus den Einlagen der SparerInnen. Die Geschäftsbanken sind keine »Intermediäre«, die Ersparnisse als Kredite vergeben, sondern sie schöpfen Kredit und damit Giralgeld »aus dem Nichts«, wie das der Ökonom Joseph Schumpeter bereits 1911 festgestellt hatte. Die Geschäftsbanken benötigen aber Zentralbankgeld, einmal um Bargeld auszureichen, zum anderen für die Mindestreserven, die sie für jeden ausgereichten Kredit bei der Zentralbank hinterlegen müssen.

Auch der Geldverkehr unter den Geschäftsbanken selbst findet mit Zentralbankgeld statt. Die Geschäftsbanken brauchen daher, um Kredite zu schöpfen, in ausreichendem Maß Zentralbankgeld. Das bekommen sie jetzt durch die Verkäufe von Staats- und auch Unternehmensanleihen an die EZB. Dadurch sollen die Geschäftsbanken motiviert werden, mehr Kredite zu schöpfen und zu vergeben. Mit der Erhöhung des Zentralbankgelds steigt auch die sogenannte Geldbasis (M 0), die zusammen mit der Schöpfung von Giralgeld durch die Geschäftsbanken die gesamte Geldmenge bildet. Theoretisch kann dieses Verständnis der Rolle von Geld und Kredit einem keynesianischen Leitbild zugeordnet werden.

Der Erfolg der expansiven Geldpolitik

Mit dieser Geldpolitik, einer Kombination von niedrigsten Zinsen und der Ausweitung der Geldmenge, wird versucht, einmal das Abgleiten der europäischen Wirtschaft in eine Deflation und damit in eine schwere Wirtschaftskrise und in der Folge in eine lang dauernde Depression zu verhindern. Zum anderen werden die hoch verschuldeten Euro-Länder durch niedrige Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlungs- und damit politisch handlungsfähig gehalten. Geldpolitisch ist die aktuelle Entscheidung der EZB rational. Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich einigermaßen erholt. Das Volumen der Anleihekäufe kann verringert, bei Bedarf aber auch wieder erhöht werden.

Gemessen an diesen Zielen war die expansive Geldpolitik der EZB erfolgreich. Sie hat den durchaus möglichen Zusammenbruch der Währungsunion in einer Deflation verhindert und zugleich einen wenn auch schwachen Wirtschaftsaufschwung nach 2013 möglich gemacht. In den exportorientierten Ländern, die eine Strategie des Handelsmerkantilismus verfolgen, war das Wachstum größer, weil diese Strategie nur auf Kosten der binnenmarkt- oder importgetriebenen nationalen Ökonomien erfolgreich sein kann.

Süßes Gift, Droge, Sucht – wer mit solchen Metaphern über Geldpolitik schreibt, zeigt nur, dass er nichts begriffen hat.

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Andererseits bringt diese Geldpolitik auch Risiken mit sich. Durch die Verbilligung der Kredite werden die Kurse auf den Aktienmärkten in die Höhe getrieben. Die Nachfrage nach und damit auch die Preise von Immobilien steigen, was in der Folge auch zu steigenden Mieten führt. Die eigentliche Ursache für diese Prozesse liegt aber nicht in der Geldpolitik, sondern in der Fiskalpolitik. Nach der schweren Finanzmarktkrise 2008/09 war die Fiskalpolitik nur kurzfristig wirksam. Zusammen mit der damals schon expansiven Geldpolitik der EZB hat sie den Übergang in eine schwere wirtschaftliche Depression verhindert. Aber bereits 2011 hat die Fiskalpolitik auch durch die Einführung von Schuldenbremsen wieder dämpfend auf die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum und Europa gewirkt. Dadurch wurde die Aufgabe der Konjunkturstabilisierung einseitig der EZB zugewiesen. Diese hat das dann wahrgenommen, weil anders der Euro nicht zu gewährleisten war.

Die ordoliberale Kritik an der Geldpolitik der EZB

In der Kritik an der EZB und ihren Entscheidungen treffen sich unterschiedliche Strömungen. Das sind einmal die deutschen Ordoliberalen, darunter die deutsche Bundesbank und die konservativen und wirtschaftsliberalen Parteien. Ihnen passt diese expansive Geldpolitik nicht, weil sie einem anderen Ideal von Geldpolitik folgen. Sie wollen eine stabilitätsorientierte Geldpolitik mit relativ hohen Zinsen und einen deutlichen Rückgang der Staatsverschuldung. Deshalb fordern sie auch eine Insolvenzordnung für Staaten, weil eine drohende Zahlungsunfähigkeit von Staaten mit einem Schuldenschnitt verbunden ist. Das führt wieder zu einem Risikozuschlag auf die Zinsen für Staatsanleihen. Das bedeutet, dass hoch verschuldete Staaten sich auf den Finanzmärkten durch die Ausgabe von Staatsanleihen nicht mehr finanzieren können. Vereinfacht gesagt werden hier die Grundsätze eines solide finanzierten Privathaushalts auf die Geldpolitik übertragen.

Das führt dazu, dass eine restriktive Geldpolitik, die Kreditvergabe und auf der Gegenseite Verschuldung erschwert, statt erleichtert, gefordert wird. Hinter dieser Sicht steht eine andere, primitive Sicht von der Rolle des Geldes in einer kapitalistischen Gesellschaft. Hier schafft die Zentralbank Geld und gibt es von außen, also »exogen« in den Wirtschaftskreislauf ein. Wenn diese Geldmenge knapp ist, bleiben die Preise stabil. Dahinter steht das Leitbild des Monetarismus, der die Geldmenge nach festen Regeln steuern will, um eine Inflation zu verhindern. Diesem Leitbild folgen die große Mehrheit der deutschen ÖkonomInnen und nahezu alle WirtschaftsjournalistInnen. Deren Unverständnis der Geldpolitik kann daran abgelesen werden, dass sie die Geldpolitik der EZB mit Metaphern wie »süßes Gift«, »Droge« und »Sucht« qualifizierten, also Bildern, hinter denen der Maßstab eines gesunden Körpers steht, ein Vergleich, der zum Verstehen von Geldpolitik völlig unbrauchbar ist. Wer so schreibt, zeigt nur, dass er nichts begriffen hat.

Die zweite Strömung ist geldtheoretisch dem gleichen Leitbild verpflichtet, aber sie zieht daraus noch weitergehende Konsequenzen. Diese ÖkonomInnen haben verstanden, dass eine expansive Geldpolitik der Zentralbank Wirtschaftskrisen verhindern oder zumindest spürbar abschwächen kann. Die Finanzmarktkrise 2008/09 führte wegen der Interventionen durch die großen Zentralbanken nicht zu einem Absturz der Weltwirtschaft. Bereits 2010 ging die Weltkonjunktur wieder nach oben, mit Ausnahme einiger europäischer Krisenländer, in denen die fiskalische Austeritätspolitik das verhinderte.

Marktradikale Träume von »Reinigungskrisen«

Gegen diese Art von Krisensteuerung und Krisenvermeidung richtet sich die Kritik marktradikaler ÖkonomInnen, die die zerstörerische und in der Folge schöpferische Kraft schwerer Wirtschaftskrisen vitalisieren wollen, weil sie sich davon eine nachhaltige Gesundung des Kapitalismus versprechen. Dahinter steht die Lehre der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, die Gleichgewichte auf den wichtigen Märkten für Kapital, Boden und Arbeit postuliert und durch eine sogenannte »Reinigungskrise« wieder in diese Gleichgewichte auf diesen Märkten kommen will. Hier müssen dann die entsprechenden Märkte ohne die Eingriffe von Staat und Zentralbank die wirtschaftlichen Kreisläufe steuern. Auf den Kapitalmärkten steuert dann die Höhe der Zinsen das Zusammenspiel von Ersparnissen und Investitionen, und auf den Arbeitsmärkten sorgt eine hohe Arbeitslosigkeit dafür, dass die Löhne sinken, damit sich ein »markträumender Gleichgewichtslohn«, der wieder zu mehr Beschäftigung führt, durchsetzen kann.

Zu dieser Strömung gehören auch ultraliberale ÖkonomInnen, die die Zentralbanken mit ihrer Fähigkeit, ohne ein Limit Geld zu schöpfen, abschaffen und durch eine Konkurrenz privater Währungen mit dem Goldstandard als Anker ersetzen wollen. Für die erste Richtung dieser Strömung steht stellvertretend Hans-Werner Sinn, der frühere Chef des Ifo-Instituts, für die zweite die AnhängerInnen des Sozialphilosophen Friedrich von Hayek, die in Gestalt führender AfD-PolitikerInnen wieder in die Öffentlichkeit treten.

Die politische Linke hat, wenn es um Geldpolitik und die Rolle der Zentralbanken geht, großen Nachholbedarf.

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Es gibt der SPD nahestehende keynesianische ÖkonomInnen, die diese Geldpolitik der EZB unterstützen, in der SPD wird sie grundsätzlich nicht verstanden, und instinktiv wird ihr misstraut, weil in der SPD viele auch dem Leitbild des treu sorgenden Haushaltsvorstands folgen. Das gilt im Großen und Ganzen auch für die Grünen, in deren Nähe es auch keine keynesianischen ÖkonomInnen gibt. In der LINKEN ist es etwas anders: hier stützen wenige keynesianische ÖkonomInnen die Politik der EZB, die Mehrheit der Partei ordnet die EZB dem strikt abzulehnenden Finanzkapital zu und sieht in der Geldpolitik der EZB ein Instrument der Bereicherung der Vermögenden. Einige MarxistInnen hadern mit der EZB, weil deren Geldpolitik die große Krise und den fälligen Zusammenbruch des Kapitalismus hinausschiebt, obwohl sie ihn in der langen Frist nicht verhindern kann. Geldpolitik kann aus dieser Sicht das »Wertgesetz« nicht außer Kraft setzen. Hier haben wir eine oberflächliche Nähe zu den liberalen VertreterInnen der Notwendigkeit einer »Reinigungskrise«. Die politische Linke insgesamt hat, wenn es um die Geldpolitik und die Rolle der Zentralbanken geht, einen großen Nachholbedarf.

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