Wirtschaft
anders denken.

Externalisierungsgesellschaft – läuft die denn endlos?

Für den Konsum-Wohlstand hier zahlen andere: in Indien, in Afrika. Soziologe Stephan Lessenich beschreibt in seinem Buch »Neben uns die Sintflut«, wie dieses System funktioniert. Und sagt hier, wo er seine Argumente noch schärfen will.

06.05.2017
Foto: privat
Stephan Lessenich ist seit 2014 Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist dort auch Direktor des Instituts für Soziologie. Zudem hat er den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Soziologie inne. Er arbeitet unter anderem über Wohlfahrtsstaat und gesellschaftliche Transformation.

Warum haben Sie das Buch jetzt geschrieben?

Stephan Lessenich: In Jena habe ich viel mit meinen Wissenschaftler-Kollegen Klaus Dörre und Harmut Rosa über kapitalistische Steigerungslogiken gearbeitet. Dass hinter denen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle und subjektive Treiber stecken. Diese Arbeit wollte ich fortsetzen. Und dann hat die Krise in Griechenland mich beeinflusst: Inwieweit kann eine Ökonomie, eine Bevölkerung, eine Gesellschaft eigentlich überhaupt noch frei entscheiden, welchen Weg sie einschlagen will? Und wie schnell schlägt eine übergeordnete Macht zu. Es war für mich wirklich ein Ereignis, wie der griechische Premierminister Tsipras in Brüssel gekreuzigt wurde, weil er es gewagt hatte, ein Referendum anzusetzen und dieses auch noch zu gewinnen. Und auch die Flüchtlingsbewegung – diese aktuellen Ereignisse haben schon eine wichtige Rolle gespielt.

Sie beziehen eindeutig Position und fügen Argumente zusammen, die diese Position stärken.

Richtig. Insofern ist es auch kein streng wissenschaftliches Buch, das gleichermaßen verschiedene Perspektiven berücksichtigt und dann möglicherweise sogar systematisch in die empirische Arbeit einsteigt. So bin ich beispielsweise auf die Diskussion über die These gar nicht weiter eingegangen, es gebe weltweit zwischen den Ländern eine Angleichung, eher stärkere soziale Ungleichheiten hingegen innerhalb der Länder. Darauf werde ich genauer eingehen, wenn ich das Buch überarbeite für eine englischsprachige Ausgabe. Da will ich noch einmal meine Position schärfen, denn Unterschiede und Angleichungen kann man nicht nur über Einkommen und BIP pro Kopf bemessen. Ich werde auch noch einmal deutlicher die Unterschiede in unseren westlichen Gesellschaften zwischen den Profiteuren, vor allem den Unternehmen, und den im System Gefangenen, also vor allem den unteren Schichten hier, herausarbeiten.

Läuft denn diese Externalisierungsgesellschaft, fällt ihr niemand in die Systemspeichen, endlos? Oder streben Konsumwahn einerseits und sich vermehrendes Elend andererseits auf einen Crash oder eine Blockade zu?

Das ist eine vergiftete Frage. Denn sie bezieht sich auf Zusammenbruchstheorien. Marx würde immer sagen, es gibt Grenzen und Umschlagspunkte. Das kann alarmistisch klingen. Andere sagen hingegen, der Kapitalismus ist so intelligent, der kann alles ab und macht auch daraus wieder eine produktive Wende, nimmt Widerständiges auf und wendet sie zu seinen Gunsten, so dass er letztlich gestärkt aus allem herausgeht. Das legt wiederum nahe, alles, was man tut, stabilisiert nur dieses alte Biest. Ich glaube, es gibt ein Zusammenwirken von zwei großen Tendenzen: Diese überhitzte Überproduktionsmaschinerie droht leerzulaufen. Die Wachstumskritik und Degrowth-Bewegung ist ein Indikator dafür. Das ist schon ein Stachel. Und auf der anderen Seite gibt es die sozialen Bewegungen im Süden, die politisch anziehend sind, die andere Formen des Wirtschaftens bereits ausprobieren. Es gibt also eine Zangenbewegung, auch deshalb wird es krisenhafter.

Das Interview ist Teil des OXI-Schwerpunktes »Wer arbeitet für unseren Wohlstand?« in der Mai-Ausgabe 2017. Weitere Artikel zum Thema auf oxiblog.de: Wie leben, wie arbeiten wir? Den Alltag politisieren, Systemfehler Nespresso – schädlich, teuer, begehrt

Literaturtipp zum Weiterlesen:

Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. Verlag Hanser Berlin, 2016, 224 Seiten, 20 Euro.

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