Wirtschaft
anders denken.

FAZ macht mobil

23.10.2016
Foto: KrauszWachstum als Chiffre: abfliegen, ankommen, davoneilen, konsumieren, dabei sein.

Das Leib- und Magenblatt der Wirtschaftselite polemisiert gegen Wachstumskritiker und behauptet, Wachstumskritik sei Rückschritt.

»Ob TTIP-Gegner oder Romantiker: Degrowth ist im Trend. Die Protestbewegung eint Wachstumskritiker aller Länder. Der Fortschritt hat kaum noch Freunde.«
Das sollte man der FAZ lassen: Sie schafft es in einem kurzen Vorspann vom Tisch zu fegen, was ihr nicht passt. Wenn der Fortschritt kaum noch Freunde hat, weil sich Wachstumskritiker aller Länder (Vorsicht: Marx!) vereinen, heißt das im Umkehrschluss: Wachstumskritik ist Rückschritt. Eigentlich könnte der Artikel hier enden. Ist ja alles gesagt. Leider ist der Text länger geworden.

Der Autor, Rainer Hank, ist bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft und »Geld & Mehr«. Vielleicht liegt es daran. »Geld & Mehr« verpflichtet irgendwie. Zum Beispiel dazu, eine Frau namens Grimmenstein-Balas aus Lüdenscheid, deren Name, Wohnort und Beruf der Presse allerlei Anlass zu feiner Häme geben – die Frau ist Flötenlehrerin – noch einmal in die Ecke zu stellen, in die sie in Hanks Augen gehört: Schämen Sie sich, Frau Grimmenstein-Balas. 70.000 Unterschriften hat sie gegen CETA und TTIP gesammelt. Sie ist stolz darauf, die FAZ findet es am Ende brandgefährlich, weil im Zentrum all dieser Proteste gegen Freihandelsabkommen der Kampf gegen Wachstum steht. In Deutschland gebe es dafür »glühende Sympathisanten«, in Österreich seien sie gleich »hundertfünfzigprozentig«.

»Seit der Club of Rome im Jahr 1972 seine wirkungsmächtigen Grenzen des Wachstums‘ veröffentlicht hat, macht sich in der Bevölkerung ein weitverbreitetes Gefühl der Schuld für menschlichen Übermut und der Sorge vor der Zukunft breit.«
Was ist eine Präposition unter Freunden, möchte man ausrufen. Denn es scheint der FAZ egal zu sein, ob es sich hier um Sorge vor oder Sorge um etwas handelt. Wachstumskritiker – Kritikerinnen gibt es nicht, laut FAZ, obwohl Frau Grimmenstein-Balas eine zu sein scheint – haben also Sorge vor der Zukunft. Vielleicht, weil sie nicht wissen, was danach kommt, wer weiß das schon. Ansonsten sorgen sie sich um nüscht.
Die »Dominanz des grünen Paradigmas« habe die Wachstumskritik in den tonangebenden Kreisen inzwischen zur Selbstverständlichkeit werden lassen, schreibt die FAZ: »…salonfähig in der Mitte der Gesellschaft und zugleich Teil einer millionenschweren Nachhaltigkeitsindustrie.« Im Zuge dessen habe es sogar eine Enquete-Kommission des Bundestages gewagt, den Versuch zu unternehmen, dem Bruttoinlandsprodukt den Todesstoß zu versetzen. Stirbt das BIP, sterben wir auch, scheint uns der Autor sagen zu wollen.

Folgende Worte und Wortverbindungen finden sich noch in dem Artikel, die ins Buch der Angst gehören: Studien gegen das dominante Wachstumsparadigma, Interventionen wider den Wachstumswunschpunsch, Moralkeule, Hardcore-Fraktion der Degrowth-Bewegung, romantisches Ideal der Ökos, radikale Wachstumskritiker (Es ist eine Schande, welche Umdeutung das Wort »radikal« in den vergangenen Jahren erfahren hat. Dabei gibt es nichts Klügeres, als an die Wurzel zu gehen.), oberste Götze, mechanistisch und materialistisch eng geführter Begriff des Wachstums, Moralismus.
Dem Buch des Optimismus folgen die Begriffe: mutige Unternehmer, risikofreudige Finanziers und Bankiers, massenhaft wohlhabende Mittelschichten, Frucht des Wachstums.

Rainer Hank hat sich für uns alle öffentlich auf die Couch gelegt. Herausgekommen ist ein Text voller Ressentiments, ein Lehrstück manipulativer Sprache und die Erkenntnis, dass es gut wäre, sich noch mal mit Präpositionen zu befassen.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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