Wirtschaft
anders denken.

Feuchttücher und Feminismus

06.05.2017
FeuchttuecherFoto: privatErleichtert die feministische Care-Arbeit: wischen und wegwerfen.

Wenn aus guten Gründen kritischer Konsum und Verbraucherverantwortung gefordert werden, bedeutet das auch: mehr unbezahlte Arbeit. Aber die machen Sie ja gerne, meine Damen, oder? Wie Feuchttücher mit Feminismus zusammenhängen, eine Entgegnung auf Stephan Lessenich im OXI-Interview.

Wasserhahn aufdrehen, Schwammtuch anfeuchten, Wasserhahn zudrehen, wischen. Über Küchentisch, Kühlschrankgriff, Lichtschalter, Türklinke, Fußboden. Wasserhahn wieder aufdrehen, Schwammtuch ausspülen. Gefühlt 150 Mal am Tag. Denn ob ich es bin, der Mann, der Hund oder der Rollstuhl, irgendwer schmutzt immer. Flecken, noch dazu klebrige, kann ich nicht leiden, putzen auch nicht. Also wecken »Feuchte Allzwecktücher für Sauberkeit und Glanz« – im Drogeriemarkt seit einiger Zeit zwischen Putzmitteln und Schwammtüchern zu finden – sofort mein Interesse. Wischen und wegwerfen, klingt super. Aus den Augen, aus dem Sinn. Oder ist das jetzt unnötiger, unökologischer Wohlstandsmüll? Aber was ist mit dem Wasser, das verschwendet wird, wenn ich den Wischlappen anfeuchte und ausspüle? Und wie umweltbelastend ist eigentlich die Herstellung dieser Schwammtücher?

Die verantwortungsbewusste Verbraucherin darf solche Fragen nicht als nebensächlich beiseite wischen, sondern recherchiert pflichtschuldig im Internet. Es finden sich Warnungen über Feuchttücher in der Kanalisation die erst die Pumpanlagen zum erliegen bringen und dann Strände verschmutzen. Weil das feuchte Toilettenpapier nicht in die Toilette gehört, auch wenn die Hersteller beharrlich das Gegenteil behaupten – NABU und Wasserwerke wissen es besser. Es löst sich aufgrund der langen Zellstofffasern nicht schnell genug auf, sondern verknotet sich und verstopft so das Abwassersystem. Aber das sind keine feuchten Allzwecktücher, die ordnungsgemäß im Müll landen. Wie ist denn nun deren Umweltbilanz, verglichen mit herkömmlichen Schwammtüchern? Statt einer eindeutigen Antwort gibt es allerlei Internetforen, wo sich saubere Umweltschützer darüber austauschen, wie sie aus alten T-Shirts Putzlappen machen, warum Pfannen am besten mit Zeitungspapier gereinigt werden, wie lange ein pfleglich behandeltes Mikrofasertuch hält und wieso sie außer Zitronensäure, Essig und Soda keine Putzmittel brauchen, »denn wenn Du alles sofort wegmachst setzt sich auch nichts an« wie der oder die propere »sonnenstern 44« schreibt.

»Ich kann mir auch einen Ring durch die Nase ziehen und ein Klavier dranhängen«, sagt mein Vater, wenn er »geht’s noch?« meint. Sind mein Hirn und meine Zeit etwa keine schützenswerten Ressourcen, fragt die Feministin in mir. Reicht es nicht, dass ich mich um Steuererklärungen, Wäsche, TÜV, Kühlschrankfüllung und all den anderen Reproduktionskram kümmere, anstatt mich in der Zeit den großen Fragen des Lebens zu widmen: Liebe, Tod, Revolution. Oder wenigstens Theater, Krimi und das nächste OXI-Thema. Offenbar ist die Hausfrau 4.0 jetzt auch noch die Umweltbeauftragte ihres kleinen Familienunternehmens – ehrenamtlich, versteht sich. Wie wäre es, wenn sich zur Abwechslung mal jemand anderer um den Dreck kümmert. Notfalls mit feuchten Allzwecktüchern.

Mehr im OXI-Schwerpunktes »Wer arbeitet für unseren Wohlstand?« in der Mai-Ausgabe 2017 und auf oxiblog.de

Geschrieben von:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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