Finanzkrisen verstehen
Je stabiler desto fragiler? Hyman P. Minskys »Stabilizing an Unstable Economy« oder: Wie eine Theorie von 1986 schon den Crash der Finanzmärkte von 2008 erklären konnte.
»The Minsky Moment« titelte The New Yorker am 4. Februar 2008 in Anbetracht des Zusammenbruchs des weltweiten Finanzsystems. Während kurz zuvor Hyman P. Minsky und sein Magnum Opus Stabilizing an Unstable Economy nur wenigen ein Begriff war, wurden gebrauchte Versionen des 1986 erschienenen Werks im Zuge der 2007 beginnenden Finanzkrise für über 300 US-Dollar auf Amazon gehandelt. Im Folgejahr erschien schließlich die Wiederauflage, die das Werk in den sozioökonomischen Kontext von 2008 stellt. Eine Anerkennung für einen Ökonomen, der Zeit seines Lebens gegen den Strom der Orthodoxie in der Volkswirtschaftslehre (VWL) schwamm.
Zunächst beschäftigt sich der Autor in Stabilizing an Unstable Economy mit der historischen und empirischen Entwicklung der Nachkriegszeit. Die zentrale Frage in Minskys Lebenswerk war immer schon: »Can it happen again?« So analysiert Minsky in je einem Kapitel die Auswirkungen von finanzpolitischen Maßnahmen, die eine komplette Depression (wie 1929–1933) bis dato verhindert hatten.
Stabilität führt zu Risikofreude
Mit großer Weitsicht stellt Minsky fest, dass mit der Sozialisierung von Risiko zwar ernste Depressionen vermieden werden, die dadurch erreichte vermeintliche Stabilität über mehrere Jahrzehnte hinweg jedoch Finanzmärkte zu mehr Risikobereitschaft ermutigt. So wächst jener Anteil der Ökonomie, der auf spekulativer Finanzierung beruht. Dieser Prozess führt zu einer Verbesserung von Beschäftigung, Output und Unternehmensprofiten, was wiederum die Experimente mit spekulativer Finanzierung der BankerInnen und UnternehmerInnen bestätigt.
Wenn die Zentralbank eine solche finanzielle Instabilität kontrollieren und verhindern will, muss ihr Handeln von einer ökonomischen Theorie geleitet werden, die erlaubt, dass Instabilität das Resultat von funktionierenden Finanzmärkten in einer kapitalistischen Ökonomie ist.
Unrealistische und statische Neoklassik
Minskys verknüpft seine fundamentale Kritik an der neoklassischen Theorie mit dem Versuch, einen Gegenentwurf zu formulieren, der sich aus der empirischen Realität ableitet. Für ihn ist die vorherrschende neoklassische Theorie nicht in der Lage zu erklären, wie Ungleichgewichte zustande kommen. Die Neoklassik legt den Schwerpunkt ihrer analytischen Anstrengungen auf die Beschreibung der Wechselwirkungen, die zum Gleichgewicht führen, und nicht auf die Analyse eines sich selbst ins Ungleichgewicht bringenden Prozesses.
Im Zentrum von Miskys volkswirtschaftlichen Theorie der monetären Produktionsökonomie stehen das Finanzsystem und eine endogene Geldtheorie. Während die relative Preistheorie der Neoklassik in den Hintergrund tritt, zählen hier nominale Werte. Geld ist in Minskys System nicht neutral, sondern essenziell. Es sind die täglichen Geschäfte des Geldmarktes, welche die Kohärenz des Kreditsystems und die dort kursierenden Zahlungsversprechen testen und auflösen.
Für den Ökonomen liegt der fundamentale Fehler des modernen kapitalistischen Systems in der Finanz- und Bankenstruktur. Unsere Wirtschaft verändere sich stetig, weil sich die Kreditstruktur und die finanziellen Praktiken änderten. Dass sich seit Mitte der 1960er-Jahre eine Veränderung hin zu einem instabileren System vollzog, führt Minsky auf Profitmöglichkeiten und auf die Deregulierungspolitik zurück. Hierfür nimmt er auch die neoklassische Theorie, die den politischen Entscheidungen zugrunde lag, in die Verantwortung.
Die zentrale Hypothese: Je länger eine Wirtschaft im Zustand von Ruhe verweilt, desto unwahrscheinlicher wird dieser Zustand. Diese Erkenntnis trägt wesentlich zum Verständnis von Finanzkrisen bei. Das Buch eignet sich hervorragend als Ausgangspunkt für kritische Studierende und Interessierte, um die letzte große Finanzkrise zu verstehen.
H. P. Minsky, H. Kaufman: Stabilizing an Unstable Economy. McGraw-Hill, New York 2008.
Dieser Beitrag wurde verfasst von Marc Adam von den Kritischen WirtschaftswissenschaftlerInnen an der FU Berlin.
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