Wirtschaft
anders denken.

Finanzpolitik For Future

25.08.2021
Zwei Gleise mit einer Weiche

Die Ansatzpunkte für eine progressive Finanz- und Wirtschaftspolitik sind vielfältig. Langfristig muss auf jeden Fall die Schuldenbremse weg. Über Mythen und Vorurteile der Geldpolitik Teil 4.

Eine zunehmend größere Rolle auf den Geld- und Kapitalmärkten spielen Schattenbanken, also Institutionen, die, im Unterschied zu den Geschäftsbanken selbst nicht Kredite und damit Geld schöpfen, sondern Kredite vermitteln, also Intermediäre sind. Sie werden anders als die Banken politisch nicht durch Vorschriften reguliert. Sie beschaffen sich Geld über Repos, das sind Wertpapiere, die sie verkaufen und wieder zurückkaufen. Diese werden durch Derivate, also Kreditausfallversicherungen, die andere Schattenbanken und Hedgefonds anbieten, besichert. Das unzureichende Angebot von sicheren Wertpapieren, wie Staatsanleihen, erhöht die Risiken, die mit dem Aufbau von Finanzblasen und damit von späteren Finanzkrisen verbunden sind. Wir haben gegenwärtig akute Zeichen von Vermögensblasen sowohl auf den Immobilien- wie auf den Aktienmärkten. Das grundlegende Problem besteht hier in der völlig unzureichenden Regulierung des Schattenbankensektors, so dass die Zentralbanken gezwungen sind, auch den Finanzakteuren auf den Finanzmärkten, die selbst kein Geld schöpfen, weil sie keine Banken sind, sondern Intermediäre, also Kreditvermittler sind, den Zugang zu Zentralbankgeld ermöglichen.

Eine aktuelle Darstellung der Prozesse auf den Finanzmärkten finden wir in dem neuen Buch von Joscha Wullweber, Zentralbankenkapitalismus, das im Juni 2021 bei Suhrkamp erschienen ist. Wullweber bestätigt auch die hier referierte Sicht auf die Geld- und Kreditschöpfung. Diese wird auch bestätigt durch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags in der Expertise vom 18.12.2020.

Die Einführung von Finanztransaktionssteuern bleibt auf der Tagesordnung, weil die Finanzmärkte viel stärker politisch reguliert werden müssen. Der Ausbau kapitalgedeckter Alterssicherung, deren Erträge auf Finanzmärkten gesichert werden sollen, ist aus makroökonomischer Sicht grober Unfug. Umlagefinanzierte Sozialsysteme sind krisenfester. Über höhere Sozialversicherungsbeiträge steigende Arbeitskosten in Deutschland sind aus europäischer Sicht sinnvoll, weil sie die hohen Export- und Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands in der EU und in der Welt verringern helfen. Die steigende Inlandsnachfrage führt dann zu höheren Importen.

Was tun? Die beste Lösung ist die Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz. Die dazu erforderliche 2/3-Mehrheit ist auf absehbare Zeit nicht realistisch. Die Union und die FDP setzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eher auf ein Roll Back zu einer restriktiven Finanzpolitik. In der kurzen Frist kann es gelingen, die Aussetzung der Schuldenbremse zu verlängern und über Investitionsgesellschaften außerhalb der öffentlichen Haushalte die gesellschaftlich notwendigen Investitionen zu finanzieren. Das Streichen der Schuldenbremse wird Ziel sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik bleiben. Die SPD hatte 2009 der Schuldenbremse zugestimmt, weil sie die Verfahren der Finanzierung von Staatsanleihen nicht verstanden hatte. Sie glaubte, dass die Staatsanleihen direkt von den Akteuren auf den Finanzmärkten gekauft würden. Der Weg über den Primärmarkt war ihr nicht bekannt. Die Schuldenbremse war als vertrauensbildender Akt gegenüber den Finanzmärkten gedacht. Sie sollte signalisieren, dass die Staaten in der Lage sind, ihre niedrigen Schulden zurückzuzahlen. Da die Zentralbanken unbeschränkt Geld schöpfen können, sind sie auf die Finanzmärkte zur Finanzierung ihrer Ausgaben nicht angewiesen.

Die Schuldenquote am BIP ist nur interessant als statistische Größe, nicht als Zielgröße. Auch Länder mit höheren Schuldenquoten am BIP, wie die USA (130 %) oder Japan (200 %) sind finanziell uneingeschränkt handlungsfähig und ihre Volkswirtschaften sind funktionsfähig. Die neue amerikanische Regierung unter Joe Biden demonstriert dies gegenwärtig. Die angemessene Zielgröße ist die Zinsquote am BIP, also die Zinskosten für öffentliche Kredite, weil sie zeigt, wieviel Kreditaufnahme finanzierbar ist. Sollte es gelingen, Schuldenbremse und Fiskalpakt aufzuheben, wird die staatliche Kreditaufnahme ausgebaut. Eurobonds werden ausgegeben. Das Mandat der EZB wird dann entsprechend auf die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung erweitert.

Kommt es zur Anwendung der Erkenntnisse der Modern Monetary Theory (MMT)? Die MMT ist eine korrekte Beschreibung der Verfahren der Geldschöpfung in zweistufigen Bankensystem und der Finanzierung der Staatsanleihen. Dadurch, dass die Zentralbanken Staatsanleihen kaufen und deshalb die Zinsen für Staatsanleihen stabil niedrig halten, kommt es faktisch zur Anwendung von Vorschlägen aus dem Instrumentenkasten der MMT – quasi durch die Hintertür.  Sie wird aber von ihren Anhängern weitergedacht als eine Konzeption der Finanzierung der Staatshaushalte direkt durch die Zentralbank des jeweiligen Staates. Dadurch werden öffentliche Beschäftigungsprogramme und eine ökologisch-soziale Transformation möglich gemacht.

Die beste deutschsprachige Darstellung der MMT finden sich in Dirk Ehnts, Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive, Marburg 2020 (Dazu auch Maurice Höfgen, Mythos Geldknappheit, Stuttgart 2020). Die MMT spielt in den Diskussionen und Vorschlägen des linken Flügels der US-Demokraten zur Finanzierung eine New Green Deals eine wichtige Rolle und wird dort von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez propagiert. Eine direkte Staatsfinanzierung ist auch in der Europäischen Währungsunion möglich, weil jedes Mitgliedsland eine nationale Zentralbank hat. Die Finanzierung würde dann durch die EZB koordiniert und durch die nationalen Zentralbanken durchgeführt. Das ist gegenwärtig rechtlich nicht möglich, weil die direkte Finanzierung über den Primärmarkt der EZB untersagt ist. Sie darf Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt kaufen. Das wird gegenwärtig auch praktiziert. Wenn der Fiskalpakt korrigiert und eine höhere öffentliche Kreditaufnahme möglich wird, bekommen wir Effekte der MMT, ohne sie förmlich anzuwenden. Machtpolitisch halte ich die Durchsetzung einer Wirtschafts- und Finanzpolitik nach den Erkenntnissen der MMT in Deutschland nicht für möglich. Hier sind Union, FDP und AfD auf absehbare Zeit politisch noch zu stark. Auch in SPD und Grünen ist hier Widerstand zu erwarten. Dagegen gibt es auf europäischer Ebene eher die Chance, den Fiskalpakt zu reformieren. Er wurde von Deutschland gegen den Willen anderer v.a. südeuropäischer Mitgliedsländer durchgesetzt und kann daher auf der europäischen Ebene reformiert werden, wie dies von Frankreich bereits gefordert wird. Da wird Deutschland aber nur mitmachen, wenn es nicht konservativ regiert wird.

Geschrieben von:

Michael Wendl
Michael Wendl

Mitherausgeber von »Sozialismus«

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