Ein Traum von einer Finanzpolitik
Was eine Regierung mit ihrem Geld Gutes bewirken könnte, wenn sie wollte und könnte. Utopie einer Finanzpolitik aus OXI 12/22.
Schlechte Nachrichten liest man genug. Das 9-Euro-Ticket ist nicht finanzierbar, an den Schulen fehlen Lehrer:innen, die Zahl der Arbeitslosen steigt, der Finanzminister will zurück zur Schuldenbremse. Man hat sich dran gewöhnt. Dabei könnte Politik mit Geld so viel Gutes anfangen. Wenn alte Dogmen aus den Köpfen fielen, das Finanzministerium nicht geführt würde wie die Vereinskasse eines Dorfklubs und lästige Schranken wie die Investitionsbremse – sorry, die Schuldenbremse – weg wären. Gönnen wir uns ein paar Zeilen Wunschdenken. Warum nicht?
Geld ist nicht knapp. Jeder Euro, den der Finanzminister ausgibt, ist ursprünglich auf Knopfdruck in Frankfurt entstanden. Vom Büro-Tower der Europäischen Zentralbank gelangt er über den Umweg von Geschäftsbanken und gegen den Verkauf von Staatsanleihen ins Finanzministerium. Ein weiter Weg, bis er für die wirklich wichtigen Dinge ausgegeben werden kann. Und schwer verständlich für die Wähler:innen, die gar nicht wissen, was in dem Finanzierungsnebel passiert. Man könnte auch eine Abkürzung nehmen. Wenn die Regierung Geld ausgeben will, füllt sie einfach im Online-Banking bei der Zentralbank das Überweisungsformular aus – und fertig. Ein Kontolimit gibt es nicht. Wenn es negativ wird, nicht schlimm!
Die Ausrede »Ist nicht finanzierbar« ist vom Tisch. Das braucht kein Politiker mehr den Wähler:innen zu verklickern. Aber natürlich sind nicht alle Wünsche erfüllbar. Schließlich sind Arbeitskräfte, Rohstoffe, Landflächen und so was begrenzt. Obendrein wollen wir noch Emissionen begrenzen, damit künftige Generationen keinen brennenden Planeten vererbt bekommen. Prioritäten braucht es also trotzdem. Statt »Können wir uns das leisten?« heißt die Frage jetzt: »Ist das der beste Einsatz unserer Ressourcen?«
Schaut man mit dieser Brille auf die deutsche Wirtschaft, merkt man: Wir verschwenden ganz schön viele Ressourcen – und sparen an den falschen Stellen. Ökologisch sowieso, aber auch ökonomisch. 2,4 Millionen Menschen suchen einen Job, aber finden keinen. Als hätten wir nicht genug zu tun. Was für eine Verschwendung von Talent und Arbeitskraft. Und das sind schon nur die geschönten Zahlen. Rund eine Million wird rausgerechnet, weil gerade krankgeschrieben, über 58 Jahre oder in Umschulungen. Mehr als drei Millionen sind unterbeschäftigt, arbeiten also weniger Stunden, als sie eigentlich wollten. Das sollte nicht sein.
Damit Jobs in der freien Wirtschaft entstehen, kann der Staat die Nachfrage ankurbeln. Mit Steuersenkungen oder eigenen Ausgaben. Alternativ kann er Jobs aber auch selber schaffen. Etwa mit einem Jobgarantie-Programm. Wer arbeiten will, aber nicht fündig wird, kann beim Staat gemeinnützige Arbeit finden – zugeschnitten auf die eigenen Stärken. Bei der Tafel helfen, als Schülerlotse für Sicherheit sorgen, Schul-AGs unterstützen, öffentliche Grünbeete bewirten, Feldwege ausbauen, Bäume pflanzen, Reparaturen erledigen, Baulücken bereinigen, Geflüchteten mit Sprachproblemen im Alltag helfen und vieles mehr.
Nicht alle Arbeit, die in Deutschland erledigt wird, ist auch sinnvoll. Weil das Steuersystem so kompliziert ist, braucht es viel zu viele Beamte, Buchhalterinnen, Steuerberater und Rechtsanwältinnen. Weil der Finanzmarkt so groß ist, braucht er viel zu viele Vermögensverwalterinnen und Analysten. Weil 97 Krankenkassen gegenseitig um Kunden in der gesetzlichen Krankenversicherung konkurrieren, brauchen sie unnütz viele Marketingexpert:innen und Bürokaufleute. Weil Busfahren nur mit Ticket erlaubt ist, braucht der ÖPNV viel zu viele Kontrolleure, Ticketschalter, Servicemitarbeiterinnen. Überall ließe sich Arbeitskraft einsparen, die anderswo besser einzusetzen wäre.
Das Land braucht mehr Lehrerinnen, Pfleger, Handwerkerinnen, Busfahrer, Zugführerinnen, Feuerwehrkräfte, Forscherinnen, Ärzte und Ingenieurinnen. Um aus dem maroden Bildungssystem das Beste für die jungen Köpfe herauszuholen. Schließlich müssen sie im nächsten Jahrzehnt so produktiv sein, dass auch trotz alternder Gesellschaft und Millionen neuer Rentner:innen, die Wirtschaft alle gut versorgen kann. Auch bei der Rente ist Geld nicht das Problem, sondern ob mit weniger Malochern noch genug für alle produziert werden kann. Außerdem müssen wir Schienen verlegen, mehr Busse fahren, Windkraftanlagen bauen, Solarpaneele installieren, Gebäude energetisch sanieren, Wohnungen bauen, Pipelines für Wasserstoff verlegen, Strommasten aufstellen, Kranke verarzten, Alte pflegen, Impfstoffe entwickeln, Waldbrände löschen, Schutt nach Unwetterkatastrophen wegräumen und noch viel, viel mehr, um in Zukunft als Gesellschaft gut klarzukommen.
Für erstklassige Kitas, Schulen, Unis und Berufsschulen könnten Milliarden investiert werden. Für Gebäude, Ausrüstung und Personal. Ebenso für erneuerbare Energien. Für deren Produktion, Speicher und Verteilnetze. Gut fürs Klima und die Sicherheit. Um nicht mehr von Putins Pipelines abhängig zu sein.
Der Finanzminister gibt aber ja nicht nur Geld aus, er nimmt auch Geld ein. Mit dem schon erwähnten Steuersystem, das so kompliziert ist. Man könnte es nicht nur einfacher, sondern auch viel gerechter machen. Es gibt nämlich eine ganze Reihe kleiner Sondersteuern, die wenig bringen, aber viel Aufwand machen: Die Stromsteuer, die Lotteriesteuer, die Tabaksteuer, die Alkoholsteuer, die Schaumweinsteuer, die Hundesteuer, die Versicherungssteuer oder die Biersteuer. Sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind alle Verbrauchsteuern. Weil Menschen mit kleinem Einkommen einen größeren Anteil davon ausgeben, um den Alltag zu bewältigen, als jene mit großem Einkommen, schmerzen sie die Kassiererin, die Arbeitslose und den Postboten mehr als den Fußballprofi, die Bankmanagerin und den Zahnarzt. Die zahlen zwar in Euro gerechnet mehr für diese Steuern, weil sie auch mehr verbrauchen, aber bei dem großen Einkommen fällt das weniger ins Gewicht. Ebenso bei der Mehrwertsteuer. Würde man die unnützen Klein-Steuern streichen und viele Güter des Grundbedarfes von der Mehrwertsteuer befreien, bekämpfte man Bürokratie und täte kleinen Geldbeuteln etwas Gutes. Warum sollten Brot, Butter, Toilettenpapier, Bus- und Bahnfahrten mit der Mehrwertsteuer verteuert werden?
In Deutschland wird Arbeit außerdem so hoch, Vermögen wiederum so niedrig besteuert wie in kaum einem anderen Land. Auch das könnte man ändern. Etwa indem die ersten zwanzig- statt die ersten zehntausend Euro von der Einkommensteuer befreit werden und die Steuersätze nicht so schnell ansteigen wie heute. Dafür könnten Fußballprofis mehr Einkommensteuer zahlen, Erben ihren Gewinn im Geburtenlotto angemessen versteuern und Milliardäre jedes Jahr Vermögensteuer zahlen. Damit nicht länger zwei Familien so reich sind wie die ärmeren 42 Millionen Deutschen.
Übrigens ginge es bei all den Vorschlägen der breiten Mehrheit der Gesellschaft besser und das entzöge rechten Populisten den Boden. All das zeigt, wie groß der Hebel im Finanzministerium ist. Christian Lindner versprach zu Beginn der Ampelkoalition, daraus ein Ermöglichungsministerium zu machen. Richtig so. Genau das könnte es sein. Nicht aber, wenn das Mantra »Geld ist knapp« und »Schulden sind böse« dominiert. Nicht, wenn der Minister sich an die Schuldenbremse klebt. Dann ist das Finanzministerium das Verhinderungsministerium. Und zwar für alle anderen wichtigen Ministerien und Aufgaben: gute Schulen, grüne Wirtschaft, putinfreie Energie. Dieses Land könnte so viel mehr, als die Ideologie der Schuldenbremse es zulässt.
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