Wirtschaft
anders denken.

Blutige Monopole

04.02.2022
Verschieden große Hähne sitzen auf einer MauerFoto: PixabayWelcher Hahn der Fleischindustrie kräht am lautesten?

In der deutschen Fleischindustrie ist die Monopolisierung besonders weit fortgeschritten. Aus OXI 1/22.

Christin Bernhold und Christian Stache

Nachdem die Fleischindustrie im Jahr 2020 aufgrund von Corona-Ausbrüchen in zahlreichen Betrieben und wegen der miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen in aller Munde war, ist das öffentliche Interesse mittlerweile abgeebbt. Das Ende 2020 beschlossene Arbeitsschutzkontrollgesetz (ASKG) der Großen Koalition hat zudem politischen Druck von den Fleischbaronen rund um Branchenprimus Tönnies genommen.

Am Ausbeutungsmodell des Wirtschaftszweigs hat sich allerdings nicht viel verändert, bestenfalls sind einige extreme Auswüchse eingehegt worden. Jene Kapitalfraktion, die Profite mit der Produktion und Weiterverarbeitung von Fleisch akkumuliert, ist weiterhin in wenigen tonangebenden Unternehmen konzentriert, deren Gedeihen auf geografischen Expansionsstrategien sowie auf überdurchschnittlich ausgeprägten Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen basiert, die die Fleischmagnaten in der Produktion zu Lohnabhängigen, Tieren und der Natur unterhalten.

Seit etwa zwei Jahrzehnten ist die Branche von starker Konzentration und Zentralisation des Kapitals geprägt. Das trifft vorrangig auf Handel, Schlachtung und Weiterverarbeitung zu, aber auch auf in der Wertschöpfungskette vorgelagerte Produktionsschritte. Mit der wachsenden Kontrolle über das Kapital nimmt die Entscheidungsmacht einzelner Unternehmer darüber zu, was, wo und unter welchen Bedingungen produziert wird und wer innerhalb der Wertschöpfungsketten am stärksten profitiert.

In der Schlachtung und Fleischverarbeitung ist die Monopolisierung besonders weit fortgeschritten: 2020 gab es laut Statistischem Bundesamt in der Branche deutschlandweit 551 Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten, davon 175 in der Schlachtung. Doch der Markt wird von wenigen Konzernen dominiert, die jeweils mehrere dieser Betriebe kontrollieren. Insbesondere seit Beginn der 2000er Jahre gibt es Fusionen und Übernahmen.

Tönnies, Westfleisch, Vion und PHW bilden heute das Quartett, das in Deutschland das Geschäft mit der industriellen Massenschlachtung beherrscht. Das Oligopol konnte 2020 mehr als 34 Prozent des Gesamtumsatzes der Fleischbranche (von rund 45 Milliarden Euro) auf sich vereinen. Schaut man auf die Top Ten, beläuft sich ihr Anteil auf über 48 Prozent. Allein Tönnies fuhr 2020 Einnahmen von 7,05 Milliarden Euro ein. Der Marktführer lässt in Deutschland mit jährlich 16,3 Millionen getöteten Tieren fast jedes dritte Schwein schlachten. Die Tötung und Zerlegung von Vogeltieren hat die PHW-Gruppe (Marke Wiesenhof) de facto monopolisiert.

Dass die Oligopolisten ihre Produktion trotz der Sättigung des deutschen Fleischmarktes ausweiten konnten, ist auch ihren geografischen Expansionsstrategien zu verdanken. Zu diesen gehört erstens der Warenexport. Den Wissenschaftlern S¸erife Erol und Thorsten Schulten zufolge hat sich der Auslandsumsatz der Fleischwirtschaft gemessen an ihrem Gesamtumsatz seit Beginn der 2000er Jahre verdoppelt und liegt nun bei knapp 20 Prozent. Tönnies erwirtschaftet bereits seit 2009 50 Prozent seiner Umsätze durch den Export. Der wichtigste Absatzmarkt sind EU-Staaten, in denen das deutsche Kapital lokale Betriebe niederkonkurriert.

Zur Überwindung der Akkumulationsschranken dient den Fleischkonzernen aus den Zentren des kapitalistischen Weltsystems zweitens der Kapitalexport. Sie verlagern Teile der Produktion in Länder mit großen Märkten, niedrigen Produktionsstandards oder Arbeitsregimes, die eine intensive Ausbeutung ohne starke Gegenwehr versprechen. Ein Beispiel ist PHW: Neben zwei polnischen und einem niederländischen Tochterunternehmen hält der Geflügelfleischproduzent Anteile an einer bulgarischen Unternehmensgruppe. Diese Auslandsinvestitionen steuerten 2018 rund ein Fünftel zum Gesamtumsatz von PHW bei.

Mit der geografischen Expansion geht auch der Transfer andernorts erwirtschafteter Gewinne in hiesige Unternehmenszentralen einher. Kapitalexporte verstärken so die Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen einiger weniger. Möglich wird das auch durch politische Unterstützung: Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft etwa protegiert gezielt die Expansionsbemühungen »seiner« Fleischkapitalisten durch ein Exportförderprogramm, das helfen soll, in anderen Ländern »geänderte Rahmenbedingungen für die Unternehmen« zu erzielen.

Maßgeblich beruht der Erfolg der deutschen Fleischindustrie aber auf der maximalen Ausbeutung von Arbeiter:innen, Tieren und der Natur. Die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit in der Branche ist ein Schulbeispiel für den neoliberalisierten Kapitalismus. Die Unternehmen haben im Zuge der Liberalisierung der Arbeitsmärkte und der Privatisierung einst kommunaler Schlachthöfe Stammbelegschaften peu à peu durch ein über Subunternehmen organisiertes Leiharbeits- und Werkvertragssystem ersetzt, das seither vor allem auf der Ausbeutung migrantischer Wanderarbeiter:innen aus Osteuropa und auf deren überteuerter Unterbringung basierte. An der Implementierung dieses Modells hatten die deutschen Bundesregierungen und die Europäische Union maßgeblich Anteil. Außerdem lag der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Branche in den vergangenen Jahren nach Schätzungen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bei nur 10 Prozent der Beschäftigten.

Der bisherige Modus operandi soll allerdings von zwei jüngeren Beschlüssen eingeschränkt werden. Erstens verbietet das Arbeitsschutzkontrollgesetz seit Januar 2021 Werkverträge und seit April 2021 Leiharbeit in Betrieben der Fleischindustrie mit mindestens 50 Beschäftigten. Darüber hinaus sieht das Gesetz die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung, nicht näher definierte Mindeststandards für Wohnunterkünfte und Bußgelder von bis zu 30.000 Euro bei Verstößen vor. Zweitens konnten sich Unternehmensvertreter und NGG nach Streiks und vier Tarifrunden schließlich Ende Mai auf einen neuen Mindestlohntarifvertrag einigen. Die Vereinbarung sieht vor, dass das Verdienstminimum zunächst auf 10,80 Euro pro Stunde festgelegt wird, ab Januar 2022 dann 11 Euro und ab dem 1. Dezember 2023 12,30 Euro die Stunde beträgt.

Beide Entwicklungen sind zunächst einmal zu begrüßen. Gleichwohl sind Zweifel und Vorsicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit angebracht, nicht nur weil die Fleischmogule in der Vergangenheit nahezu immer Wege gefunden haben, Neuregelungen des Kapitalverhältnisses zu ihren Gunsten zu unterlaufen. Das ASKG lässt den Konzernen auch viele Schlupflöcher. Es gilt etwa nicht für die Logistik, IT und Reinigung. Staatliche Kontrollen sollen erst ab 2026 zunehmen und auch dann sind sie bei jährlich nur 5 Prozent der Betriebe geplant. Außerdem ist fraglich, ob sich etwas an der bisherigen Praxis ändern wird, Kontrollen anzukündigen. Angesichts der Milliardenumsätze der Topunternehmen sind auch die Strafen Peanuts. Letztlich steht auch noch ein Verfahren über eine Klage einiger Unternehmen gegen das ASKG vor dem Bundesverfassungsgericht aus.

Für die Anhebung des Mindestlohns hat die Gewerkschaft dem Einsatz von Leiharbeit in der Fleischverarbeitung zugestimmt. Zudem rangiert der erstreikte Branchenmindestlohn von 11 Euro pro Stunde ab 1. Januar 2022 weiterhin an der Armutsgrenze und nur minimal über dem gesetzlichen Mindestlohn (10,45 Euro ab 1. Juli 2021). Ferner arbeitete bereits vor Verabschiedung des ASKG ohnehin mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Fleischindustrie zum Niedriglohn.

Darüber hinaus mehren sich Berichte, dass die alten Ausbeutungsstrukturen in neuer Hülle weiterexistieren. Wie in der Sat1-Dokumentation »Inside Tönnies« gezeigt wurde, üben ehemalige Subunternehmer ihre früheren Funktionen weiter aus. Sie setzen das etablierte Angst- und Zwangsregime fort, wie etwa bei Einschüchterungsversuchen während der Streiks Mitte 2021 zu sehen war. Auch das Lohndumping scheint zumindest bei Tönnies nicht beendet. Gestiegene Löhne werden durch höhere Mieten, welche die Tönnies-eigene Wohnungsbaugesellschaft erhebt, und durch die Steigerung der Arbeitsintensität kompensiert. Dieselbe Menge Fleisch wird in weniger Arbeitsstunden produziert. Überstunden sind wie gehabt Standard. Bisher ist auch an den miserablen Wohnverhältnissen vielerorts nichts geändert worden. Vereinzelte Verbesserungen sind die Ausnahme.

Die Lohnabhängigen sind in den Schlachthallen nie allein gewesen. Bei den Lebewesen, denen dort der Garaus gemacht wird, handelt es sich zumeist um soziale, lernfähige Individuen, die zudem mit Menschen die Fähigkeit teilen, zu leiden. In Abstraktion von deren Bedürfnissen, ihren Qualitäten und Fähigkeiten wird die Ausbeutung der Tiere in der Fleischindustrie auf die Spitze getrieben. Kraft der bürgerlichen Eigentumsrechte und ihrer ökonomischen Verfügungsgewalt ziehen die Kapitalisten Profit daraus, dass sie die Tiere als Produktionsmittel aneignen und ihre quälbaren Körper entsprechend behandeln lassen.

In der BRD wurden gemäß Statistischem Bundesamt 2020 mehr als 760 Millionen Tiere meist im Akkord geschlachtet, darunter über 703 Millionen Vogeltiere, 53 Millionen Schweine und knapp 3,2 Millionen Rinder. Noch nicht in diesen horrenden Zahlen enthalten sind sogenannte unproduktive Tiere, Fische und Wildtiere. Die wiederkehrende Misshandlung der Tiere im Produktionsprozess von Fleisch ist kein Zufall, sondern hat unter dem hohen Profit- und Konkurrenzdruck System. Auch der bürgerliche Tierschutz ändert nichts daran, dass die Fleischindustrie genuin darauf basiert, Tiere einzusperren, ihre Körper zu kontrollieren, zu malträtieren und ihnen schließlich ihr Leben zu nehmen.

Über die Tiere hinaus abstrahiert das Fleischkapital in seinem Reproduktionsprozess von den verschiedenen eigenständigen Prozessen und Qualitäten der Natur und potenziert so den Riss im Stoffwechsel zwischen Natur und kapitalistischer Gesellschaft.

Fazit: Der heutige Stand der Produktivkraftentwicklung macht es zumindest in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems nicht nur möglich, einer rein pflanzlichen Lebensweise nachzugehen und die Tiere und die Natur im Klassenkampf von unten zu berücksichtigen, weil die Fleischproduktion für das Leben der Menschen nicht mehr erforderlich ist. Die Fleischindustrie ist aufgrund der vom Kapital durchgesetzten Ausbeutungsverhältnisse und der von ihr verursachten Schäden auch objektiv irrational.

Die Eckpfeiler ihres enormen Wachstums und des Erfolgs insbesondere der sie dominierenden Großkonzerne sind die zunehmende Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die geografische Expansion, die Beziehungen zwischen Lohnarbeit und Kapital und die Ausbeutung von Tieren und der Natur. Deren Analyse zeigt, warum rein am Konsum, an rechtlichen Fragen oder auf Sozialpartnerschaft orientierte Strategien gegen Tönnies und Co unzureichend sind. Denn Letztere haben die Kapitalmacht, auf lokale Konsumveränderungen etwa mit Exportstrategien zu reagieren, die Kräfteverhältnisse im Staat maßgeblich zu prägen oder rechtliche Regelungen zu umgehen. Die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse gehören daher ins Zentrum der Debatte um die Fleischindustrie ebenso wie die Konversion zu einer sozialistischen, veganen und ökologisch verträglichen Lebensmittelproduktion.

Geschrieben von:

Christin Bernhold

Geographin

Christian Stache

Soziologe

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