Wirtschaft
anders denken.

Weniger kostet mehr

19.01.2022
Hackfleisch in NahaufnahmeFoto: Pixabay

Den Konsum allein über die Fleischpreise zu reduzieren, wäre kein Systemwandel. Aus OXI 1/22.

Auf der Webseite utopia.de wird es auf sanfte Art versucht. Fünf Vorschläge, zuerst den Fleischkonsum zu reduzieren, um am Ende vielleicht ganz auf Fleisch zu verzichten. Nirgendwo steht an dieser Stelle, das ließe sich am besten bewerkstelligen, wenn das Fleisch so teuer würde, dass es sich schon aus finanziellen Gründen verböte, noch allzu viel davon zu essen.

Stattdessen: Dokumentationen und Berichte anschauen über Tierhaltung und die Herstellung von Fleisch- und Wurstwaren (Schocktherapie), schrittweise auf vegetarisch oder gar vegan umstellen (Gewöhnungsphase), Einstellung verändern (nicht Verzicht, stattdessen Zugewinn betrachten), auf Umami-Geschmack setzen (schmeckt wie …, ist es aber nicht), ausgewogen ernähren. Das klingt nach Überzeugungsarbeit statt Brachialmethoden. Und zu lieb. Geht außerdem wahrscheinlich auch viel zu langsam. Denn noch immer liegen wir hierzulande bei knapp 60 Kilogramm Fleischverzehr pro Kopf und Jahr. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt zwischen 15 und 30 Kilogramm – also die Hälfte.

Bei Befragungen haben immerhin rund 25 Prozent der Gefragten angegeben, in den vergangenen Jahren ihren Fleischkonsum eingeschränkt zu haben. Bei den 15-29-Jährigen sagen 11 Prozent, sie ernährten sich vegetarisch oder vegan (2 Prozent). Es passiert also etwas, das auf jeden Fall. Allein von Januar bis März 2020 stieg der Produktionswert von Fleischersatzprodukten um 36 Prozent, macht jedoch nur einen verschwindend geringen Anteil im Vergleich zur Fleischproduktion aus. Die legte im gleichen Quartal um 15 Prozent zu, vor allem, weil die Nachfrage Chinas nach Schweinefleisch stieg und stetig steigt.

Höhere Fleischpreise machen es zum Luxusgut

Im März 2021 forderte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, eine Halbierung des Fleischkonsums in Deutschland, um die Massentierhaltung zu reduzieren. Der Mann blickt dabei vor allem auf die Umwelt und die mit der Massentierhaltung verbundenen hohen Stickstoffeinträge. Und er sagt, was auf der Hand zu liegen scheint: Wer weniger Fleisch esse, könne auch die notwendigen höheren Preise »ausbalancieren«. Das setzt jedoch ein gewisses Grundeinkommen voraus, das einem diese Möglichkeiten der Entscheidungsfreiheit gibt. Der oberste Mann des Verbraucherzentralen-Bundesverbandes, Klaus Müller, wiederum warnte vor zu hohen Preisen, denn Fleisch dürfe kein Luxusgut werden. Die Politik will sowieso nicht richtig ran, denen liegt der Veggie-Day im Magen, der die Grünen so viel Stimmen gekostet hat. Lieber auf Selbstverpflichtung der Unternehmen setzen, statt sich ins eigene Fleisch zu schneiden, ist der Joke, der dafür geradezu auf der Straße liegt.

Warum eigentlich nicht die Preise erhöhen, ließe sich trotzdem fragen, und dann wäre man tatsächlich mal mittendrin in einer wahrscheinlich dringend notwendigen Debatte mit offenem Ausgang. Denn genauso wenig, wie es als der Weisheit letzter Schluss erscheint, zu sagen, Fleisch darf kein Luxusgut werden, ist bereits ausreichend begründet, dass sich der Konsum nur dann ausreichend und erheblich verringert, wenn es erheblich teurer geworden ist. China wird ja trotzdem Schweinefleisch wollen und es gibt in Deutschland tatsächlich sowohl eine Mittelschicht als auch eine Oberschicht, Letztere zahlenmäßig klein, wie sich das für Oberschichten gehört, beide können sich was leisten. Wahrscheinlich auch höhere Fleischpreise. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass sich auch hierzulande viele Menschen Fleisch und Wurst eben nicht mehr kaufen könnten, vervielfachte sich der Kilopreis.

1,32 Euro für ein Kilogramm Pute oder für 10,68 Euro ein 12er-Pack Thüringer Jagdwurst in der Büchse, Inhalt insgesamt 1,5 Kilogramm, sind für viele Haushalte gerade noch machbar, wenn sie vom Armutsrisiko ALG II leben müssen. Ein Kilogramm Äpfel Golden Delicious kostet 3,20 Euro. 4,85 Euro beträgt für eine ALG-II-Empfängerin der tägliche Verpflegungssatz.

Moralische Argumente ziehen heute schon

Worauf sich trotzdem setzen ließe: In der Altersgruppe 15-29 Jahre sagen 70 Prozent der Befragten, sie wollten die Fleischindustrie, besonders die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen, nicht unterstützen. Damit lässt sich was anfangen, ist man aber auf jeden Fall bei höheren Preisen. Jene 70 Prozent sind es auch, die sich für einen aktiven, also eingreifenden Staat aussprechen. Und richtig ist zudem, dass der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch 2020 so tief gesunken ist wie seit Berechnungsbeginn im Jahr 1989 nicht.

Der aktive, eingreifende Staat hat in der Großen Koalition, die vorerst Geschichte ist, jedoch in allen wesentlichen Punkten versagt. Das erarbeitete Gesetz zum Tierwohllabel wurde geschreddert, stattdessen haben sich Unternehmen wie Aldi selbst was überlegt und schmeißen nach und nach Billigfleisch aus den Haltestufen 1 und 2 aus ihren Regalen. Bis 2030 will Aldi nur noch Frischfleisch aus Ställen der beiden höchsten Haltungsformen anbieten. Könnte eine Steilvorlage für die FDP und all jene sein, die sagen, der Markt würde das alles sowieso viel besser regeln als die Politik.

2020 forderten die Grünen in Gestalt von Robert Habeck, Schluss zu machen mit Fleisch zu Dumpingpreisen. Natürlich folgten die Schlagzeilen, die Grünen wollten den Deutschen das Fleischessen verbieten, auf dem Fuß. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Landwirtschaft der CDU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, ließ verlauten, ein Mindestpreis für Fleisch löse kein einziges Problem, schaffe stattdessen nur »neue soziale Ungerechtigkeit«. Interessant an solchen Aussagen ist ja meist nur, dass sie zugleich das Eingeständnis vorhandener sozialer Ungerechtigkeiten enthalten. Ansonsten haben sie keinen Wert, denn auch Stegemann nennt keine Argumente, die unterlegen, warum ein höherer Preis kein einziges Problem löst. Zumal die im Jahr 2020 nicht unerheblich gestiegenen Preise für Gemüse (im Schnitt um 26,3 Prozent) und Obst (14,2 Prozent) seitens jener Politiker:innen, die bei der Diskussion um eine Anhebung der Fleischpreise immer gleich das Schlimmste fürchten, nicht als Problem angesehen werden. Geht doch, ließe sich sagen. Nur leider an der falschen Stelle. Und kein Boulevard da, der in großen Lettern schreibt: Politik will Deutschen das Gemüse verbieten.

Bei der Diskussion über höhere Fleischpreise kommt auf jeden Fall eines zu kurz, auch wenn es durch das Elend der Schlachthöfe etwas stärker ins Blickfeld gerückt ist: Die gegenwärtigen Preise lassen überhaupt keinen Anstand zu. Weder gegenüber den Arbeitenden in der Massentierhaltung und im verarbeitenden Gewerbe, noch gegenüber den Tieren, die zum Verzehr gezüchtet werden, und auch nicht gegenüber den Verbraucher:innen, die mit allem möglichen Firlefanz auf den Verpackungen (wir betreiben unsere Schlachthöfe mit Ökostrom, das soll uns der Rumäne erst mal nachmachen) und mit den ewig gleichen Schlagzeilen, die herbeilügen, dass die Aufforderung, weniger Fleisch zu essen, einem Verbot gleichkomme, für richtig dumm verkauft werden. Und wenn kein Anstand da ist, weil die kapitalistischen Produktionsverhältnisse den nicht einpreisen, wäre Verteuerung vielleicht doch (k)ein Königsweg.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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