Wirtschaft
anders denken.

Folgenabschätzung

06.08.2018
Querschnitt durch eine MUF

Wirken die Lösungsvorschläge für die Flüchtlingsunterbringung langfristig als Türöffnerin für die Absenkung von Wohnstandards? In Berlin werden nun »Modulare Unterkünfte« der zweiten Generation ausgeschrieben – das stößt auf Kritik.

Im März 2018 beschloss der Berliner Senat, 25 neue Standorte für die Unterbringung von Geflüchteten zu bebauen. Gebaut werden sollen Modulare Unterkünfte vom Typ MUF 2.0. Jeder neue Standort wird bis zu 500 Geflüchtete beherbergen.

MUF 2.0 stellt eine Verbesserung dar – sowieso zur sogenannten Massenunterbringung von Geflüchteten (ein Wort, das mit Vorsicht zu genießen ist, denn zwar ist die Unterbringung in Sammelunterkünften prekär und würdelos, aber um Massen handelt es trotzdem nicht, weil wir es auch weiterhin nicht mit Masseneinwanderung zu tun haben) aber auch zu der Vorgängerin Typ 1, deren Standard bis auf die Zahl der jeweils untergebrachten Geflüchteten nicht weit über dem einer Sammelunterkunft lag: Keine Privatsphäre, eine Innenarchitektur, die schon beim Hinschauen gewalttätig machen könnte, will man sich vorstellen, hier Wochen oder Monate verbringen zu müssen. 

MUF 2.0 also. Der Berliner Finanzsenator erklärte, die Art der Unterbringung würde damit zugleich besser und billiger. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise habe man Übernachtungskosten von 30 bis 40 Euro pro Nacht und Mann oder Frau für die Unterbringung in einem Hostel oder einer Sammelunterkunft gezahlt. MUF 2.0 werde diese Kosten auf rund zehn Euro pro Nacht senken.

Richtig ist, nicht wenige Betreiber von Unterkünften verdienten sich in den vergangenen Jahren goldene Nasen. Die Firma European Homecare zum Beispiel konnte 2016 rund 32 Millionen Euro Gewinn verbuchen.

Eine Stadt wie Berlin mit der dafür günstigen Regierungskoalition in rot-rot-grünen Farben tut gut daran, wieder die Hoheit über die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter zu erlangen. Und dass sich der Finanzsenator über die damit einhergehenden sinkenden Kosten freut, ist nachvollziehbar.

In der Zeitschrift Prokla (Ausgabe 191, Juni 2018) hat der Autor Philipp Mattern die Frage aufgeworfen, ob beim Wohnungsbau aufgrund des eklatanten Mangels an bezahlbarem Wohnraum ein neuer Substandard drohe. Er zitiert Engels und dies kann als Beweis dafür gelten, dass wir es mit einem alten und durch das System nicht zu lösenden Problem zu tun haben. »Was man heute unter Wohnungsnot versteht«, schrieb Friedrich Engels in seinem Text »Wohnungsfrage«, »ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietpreise, eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden. Und diese Wohnungsnot macht nur soviel von sich reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse geschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat.«

Beim ausbleibenden Wohnungsbau könne man konstatieren, dass der Markt schlichtweg nicht reagiere, bilde sich ein Bedarf nicht zugleich in einer zahlungskräftigen Nachfrage ab. Dabei handle es sich, wie zu Engels‘ Zeiten bei den nichtzahlungskräftigen Haushalten nicht etwa allein um Randgruppen, stattdessen um breite Schichten der Bevölkerung. Woraus sich zwingend notwendig ableite, wie wichtig öffentliche Investitionen für ausreichenden und bedarfsgerechten Wohnungsbau seien. 

Politisch sei der Rückzug des Staates aus der Wohnungsversorgung gewollt, er gehörte zum Portfolio einer ganzen Reihe von Maßnahmen und Entwicklungen, die als »Umbau des Sozialstaates« bezeichnet werden, was ein Euphemismus ist, handelt es sich doch in Wahrheit um einen Rückbau. In der Unternehmenssprache wird so etwas oft mit dem Satz »Wir konzentrieren uns künftig auf unsere Kernkompetenzen« begleitet. Was den Staat anbelangt, so hat er die Befriedigung der Grundbedürfnisse und Versorgung seiner Bevölkerung mit sozialen Grundgütern in vielen Bereichen abgewählt, begleitet von einer abgestuften Subjektförderung (auch ein Euphemismus), die sich beim Wohnen in Wohngeld, Kosten der Unterkunft bei ALG-II, Kostensenkungsaufforderungen an ALG-II-Empfangende und einem nicht unerheblichen Beitrag zur Gentrifizierung durch die Veräußerung von Grundstücken und Immobilien manifestiert.

Mattern stellt in seinem Beitrag deshalb nicht zu Unrecht die Frage, ob die Flüchtlingsunterbringung und die mit ihr einhergehenden Lösungsvorschläge langfristig nicht als Türöffnerin für die Absenkung von Wohnstandards auf lange Sicht herausstellen wird. 

Im Sommer 2015, dem Wir-schaffen-das-Sommer, sagte der damalige Sozialsenator Mario Czaja (CDU): »Wir reden überall in Deutschland aktuell nicht mehr über die Frage, wie gut ist eine Unterkunft, sondern nur noch über die Frage, haben wir eine Unterkunft.«

Bei den Modularen Unterkünften, egal welchen Typs handelt es sich um Schlichtbauten. Die 2.0 Variante – und darüber zeigt sich die Berliner Landesregierung erfreut – stellt ganz sicher einen nicht unerheblichen Fortschritt gegenüber den Vorgängern dar. Die Senatsbaudirektorin erklärte, mit MUF 2.0 würden Wohngebäude von hoher gestalterischer Qualität in einer schnellen Bauweise zu angemessenen Kosten, gebaut, die später auch den Berlinerinnen und Berlinern zur Verfügung stünden. Der Senat stärke damit das Angebot an öffentlichem Wohnraum. (Natürlich ist der Wohnraum nicht öffentlich, aber er wird von der öffentlichen Hand gebaut und steht vorwiegend auf Grund und Boden der Bezirke, bzw. des Liegenschaftsfonds des Landes und des Bundes.)

»Unter dem Handlungsdruck, die Unterbringungskrise bei den Flüchtlingen zu beheben, droht die Etablierung eines neuen Substandards im Wohnungsbau«, schreibt Mattern in der »Prokla«. »Die Lebensdauer dieser Gebäude soll viele Jahrzehnte betragen. Unverhohlen wird damit geworben, dass etwa Studierende, Obdachlose oder Geringverdienende dort einziehen können, wenn sie nicht mehr für Geflüchtete gebraucht werden. So bitter es klingt, aber hier geht es um nicht weniger als um die Etablierung eines neuen sozialen Wohnungsbaus unter neoliberalen Vorzeichen, der nicht auf Massenversorgung mit normalen Wohnungen, sondern auf die Abfertigung zahlungsschwacher Bevölkerungsgruppen zielt. Die Normalisierung dieses Substandards findet im öffentlichen Diskurs sehr offensiv statt.« 

Andere, wie Kay Wendel in der Bauwelt (Ausgabe 48) sprechen hingegen von einer Architektur der Abschreckung. Philipp Mattern geht einen Schritt weiter. Es handle sich nicht nur um Abschreckung, sondern es ginge um das Ausloten von Optionen zur materiellen Lösung der Wohnungsfrage. »Insofern mögen die in der Not errichteten Flüchtlingsunterkünfte nicht nur menschenunwürdig sein, sie werden langfristig auch fatale Folgen für den Wohnungsmarkt haben.« 

Die Ausschreibung des Berliner Senats für den Bau der Modularen Unterkünfte liest sich so: »Die zu errichtenden Flüchtlingsunterkünfte werden maximal 6 Vollgeschosse (mit Aufzug) umfassen und ebenerdig ohne Kellergeschoss errichtet. (…) Für die Außenanlagen sind ebenfalls modulare, sich wiederholende Typenentwürfe für Spielplatz, Pergola, Terrasse, Sitzbänke etc. vorgesehen.«

Der Markt, das undurchschaubare Wesen, wird weitere Angebote unterbreiten, die als preisgünstig gepriesen werden, weil der Standard auf das Notwendigste gesenkt wird. Kostenoptimierung bei Lage und Ausstattung, reduzierter Flächenverbrauch – für Student*innen wird das alles schon probiert und gebaut, die Kaltmieten sind trotzdem nicht niedrig. Alte Menschen sind ebenfalls eine attraktive Zielgruppe.

Friedrich Engels hielt die Wohnungsfrage im Kapitalismus für nicht lösbar. Er wusste nicht, dass Zeiten kommen, in denen der Sozialstaat diese Aussage temporär würde widerlegen können. Damit ist es vorbei. 

Es wäre trotzdem notwendig, die Debatte über mögliche Folgen jetzt aus der Not geborener Lösungen zu führen. Friedrich Engels: »Wie ist nun die Wohnungsfrage zu lösen? In der heutigen Gesellschaft gerade wie eine jede andere gesellschaftliche Frage gelöst wird: durch die allmähliche ökonomische Ausgleichung von Nachfrage und Angebot, eine Lösung, die die Frage selbst immer wieder von neuem erzeugt, also keine Lösung ist.«

Prokla Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Ausgabe 191 Zur (neuen) Wohnungsfrage, Verlag Westfälisches Dampfboot, 2018

Friedrich Engels, Zur Wohnungsfrage, Juni 1872 bis Februar 1873, erstmalig veröffentlicht in Der Volksstaat, Leipzig 1872

 

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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