Wirtschaft
anders denken.

Frauen, der wilde Westen des Plattform-Kapitalismus und die Geschlechterpolitik

12.03.2018
Geralt / Pixabay

Die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung nimmt in einem Papier »Genderaspekte der Digitalisierung der Arbeitswelt« in den Blick. Eine Frage dabei lautet: »Was hat Arbeit auf Plattformen mit Geschlechterpolitik zu tun?«

Als Diskussionsgrundlage bereits im vergangenen Jahr entstanden, geht es in dem Papier unter anderem um Fragen wie, ob und in welcher Weise »flexibles Arbeiten für die Verbesserung der Work-Life Balance genutzt werden« kann oder ob »selbstorganisierte Arbeit in Zeiten der Digitalisierung zu gesünderen und besseren Arbeitsbedingungen« führen kann. Auch die Protagonistinnen der unter dem Schlagwort »Digitalisierung« zusammengefassten technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungen werden in den Blick genommen – ihre Chancen und die Barrieren, gegen die sie immer wieder stoßen.

In Zeiten, in denen der Digitalisierungsdiskurs meist ein »männlicher« ist, ist allein schon die Öffnung der Geschlechterperspektive darüber hinaus ein Schritt in die richtige Richtung. Die Autorinnen erinnern an eine unlängst veröffentlichte Studie, laut der die so genannte Industrie 4.0 vor allem Arbeitsplätze von Frauen gefährde, angeblich sind »von den 1,4 Millionen Jobs, die bis 2024 allein in den USA vom digitalen Wandel der Arbeitswelt bedroht würden«, eine Mehrheit von 57 Prozent Stellen, die derzeit von Frauen ausgeübt werden. Das ist, hießt es in dem Papier, nicht ohne weiteres übertragbar. Hinzu kommt, dass Studien mit solchen Prognosen ohnehin kontrovers debattiert werden.

Produktionsverhältnisse und Geschlechterverhältnisse aufmischen

»Wird nun die vierte industrielle Revolution nicht nur erneut die Produktionsverhältnisse, sondern auch die Geschlechterverhältnisse aufmischen«, fragen die Autorinnen in der Einleitung zu dem 52-seitigen Papier. »Birgt die Digitalisierung das Potenzial, auch Geschlechtergrenzen zu verflüssigen? Helfen der technologische Fortschritt und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen, die geschlechtsspezifische Segregation auf dem Arbeitsmarkt aufzubrechen?« Die Antwort darauf fällt »ambivalent« aus, es gibt Potenziale für mehr Geschlechtergerechtigkeit, dafür müsste der digitale Wandel aber »als sozialer Prozess betrachtet und gestaltet« werden. Das hat auch etwas mit den Risiken der Entwicklung zu tun, in der steckt nämlich auch »das gegenteilige Potenzial«, also die Verfestigung oder Verschärfung von Geschlechterungleichheit.

Ein Aspekt aus dem Papier soll hier ausführlicher vorgestellt werden: »Was hat Arbeit auf Plattformen mit Geschlechterpolitik zu tun?« Der von Annekathrin Müller und Christina Schildmann verantwortete Abschnitt nimmt wichtige Aspekte der »Plattformisierung« in den Blick: Während durch digitale Technologien die Transaktionskosten für die Vermittlung von Produkten und Dienstleistungen drastisch reduziert werden, wachsen die Plattformen auch zu Marktplätzen, auf denen die Ware Arbeitskraft gehandelt wird. »Hier ergeben sich neue Arbeitsmarktchancen insbesondere auch für Frauen, gleichzeitig wächst hier ein Markt für ungesicherte Arbeitsverhältnisse«, so Müller und Schildmann.

Crowdworking als Frauenarbeitsmarkt

Die Dimension dieser Entwicklung wird durch eine Zahl veranschaulicht: »Die Weltbank erwartet für 2016 4,4 Milliarden Dollar Umsatz im Bereich Online-Freelancing, bis 2020 sogar 15 bis 20 Milliarden Dollar.« Wie hoch der Frauenanteil bei dieser auch Crowdworking genannten Vermittlung von Arbeitskraft in der Bundesrepublik derzeit ist und wie hoch er sein wird, dazu gibt es je nach Studie unterschiedliche Angaben. »Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich hier ein ›Frauenarbeitsmarkt‹ entwickelt, so Müller und Schildmann: Auf der größten Crowdworking-Plattform der USA, dem »Mechanical Turk«, würden auch mehrheitlich Frauen arbeiten.

Das wiederum hat etwas mit der Art der Arbeitsvermittlung auf den Plattformen zu tun, die eben eine geschlechterpolitische Seite hat: »Das Abarbeiten von kleinen Aufträgen auf der Plattform bietet sich als Vereinbarkeitslösung an«, heißt es in dem Papier mit Blick auf die meist Frauen zugewiesenen Rollen bei der Produktion und Reproduktion. »Gleichzeitig geht es hier um eher gering bezahlte, nicht abgesicherte Arbeit, die zu keinerlei Rentenansprüchen führt. Auch handelt es sich – nicht juristisch, aber de facto um eine neue Form von Heimarbeit und die Rückkehr von ›unsichtbarer Arbeit‹«, so Müller und Schildmann. Hinzu kommt: »Es gibt erste Anzeichen, dass auch auf Crowdworking-Plattformen Geschlechterstereotype eine Rolle spielen.« Dies hätten Befragungen ergeben.

Bewertungssysteme und permanente Rankings

Im Besonderen wird dies für Plattformen gelten, »über die soziale und haushaltsnahe Dienstleistungen vermittelt werden«. Auch hier wirkt das positive Moment, Vereinbarkeitsprobleme zu lösen, was, so die Autorinnen, etwa für Alleinerziehende wichtig sein kann. Zudem ließen sich in solchen Tätigkeiten auch für Mütter (oder Väter) der »Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern oder im Altershaushalt Entlastung bieten«. Gleichzeitig entstehe »hier aber auch ein wachsender Bereich von Soloselbständigkeit«, mit allen Folgen.

Dass die Regierung zum Beispiel die Vermittlung im Reinigungssektor damit bewirbt, so würden immerhin legale Arbeitstätigkeiten jenseits des Schwarzmarktes geschaffen, ist nur die eine Seite – die andere: »Nicht nur müssen die zu einem hohen Anteil migrantischen und ganz überwiegend weiblichen Reinigungskräfte ihre Alterssicherung und Krankenversicherung vollständig selbst finanzieren. Sie wenden außerdem viel unbezahlte Zeit für die gesamte Organisation ihrer Erwerbsarbeit auf.« Nicht zuletzt setzen oftmals Bewertungssysteme und permanentes Ranking im Namen der Qualitätssicherung die Crowdworker stark unter Druck.

Die Plattformökonomie, so die Bilanz von Müller und Schildmann, sei derzeit »eine Art wilder Westen« einer noch jungen »Spielart des Kapitalismus«. Auf diesem »vielfach noch unbesiedelten Gebiet« gibt es natürlich auch Chancen, je nachdem, wie weit man innerhalb der Logik der herrschenden Produktionsweise denkt: etwa Zugang zu Erwerbsarbeit oder Möglichkeiten zur Unternehmensgründung. »Gleichzeitig bedeutet wilder Westen immer auch: Hier gilt das Recht des Stärksten. Es ist darum an der Zeit, für faire Spielregeln in der Plattformökonomie zu sorgen. Nur so können Frauen langfristig von den neuen ›Arbeits-Marktplätzen‹ im Netz profitieren.«

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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