Wirtschaft
anders denken.

Beschaffungswesen und Zivilgesellschaft

08.03.2022

Was bleibt vom internationalen Frauentag in Kriegszeiten? Ein Kommentar. 

Wie praktisch, dass der Internationale Frauentag, der 8. März, in Berlin dieses Jahr ein Feiertag ist, also frei von Lohnarbeit. Denn zu tun gibt es ja in diesen Kriegstagen wieder mehr als genug. Vor allem für die Zivilgesellschaft. Kartons und Kisten wollen gepackt werden mit Windeln, Tampons, Verbandsmaterialien, aber auch mit Babynahrung, Seife und Katzenfutter. Die Aufforderung erging bereits am 25. Februar, noch bevor russische Raketen ukrainische Städte bombardiert hatten. Es verwundert nicht, denn auch in Friedenszeiten fehlt es ja ständig am Nötigsten. Selbst in der wohlhabenden Bundesrepublik, das hat in den vergangenen Jahren noch jede Pandemie-Welle bewiesen.

Die Ukraine, belegte in der Wikipedia-Liste der Länder nach „Bruttonationaleinkommen (kaufkraftbereinigt) pro Kopf“ 2020 Platz 91. Als der telegene Präsident im Poloshirt nach dem Einmarsch russischer Militärs verkündete, er würde die Kampffähigen- und willigen in Kiew mit Handfeuerwaffen ausstatten, ist in seinem Kabinett offenbar niemand auf die Idee gekommen, jedem Abholer ein Care-Paket mitzugeben, für den Rest der Familie, der in Kellern und U-Bahnhöfen Schutz suchen muss vor Bombenangriffen. Schade, wo er doch immer so zerstrubbelt unmartialisch neu-männlich daher kommt, wie Robert Habeck.

Während wir also mal wieder die lebensnotwendigen aber irgendwie auch banalen Dinge und Tätigkeiten zivil zusammensammeln, könnte es uns beinahe tröstlich erscheinen, dass auch die un-zivile Gesellschaft, also die Bundeswehr, Probleme mit dem Beschaffungswesen hat. Zu langsam, zu wenig Geld, zu altes Zeug, zu schlecht ausgebildete Leute lautet zusammengefasst, was Oberst André Wüstner vom Bundeswehrverband beklagte. Ein Problem, das jede:r Lehrer:in, jede:r Wohnungssuchende, jede im öffentlichen Nahverkehr beschäftigte Person, jede:r Krankenpfleger:in sofort nachvollziehen kann. Doch während all diese Menschen seit Jahr und Tag vertröstet werden – und damit auch die Zivilgesellschaft, die auf sie und die von ihnen getätigte Arbeit angewiesen ist – , gibt es für die Bundeswehr jetzt ein regierungsamtlich verkündetes „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro. Eine Zahl mit acht Nullen. Seife und Katzenfutter für das gesamte Universum. Während die in der Pflege Beschäftigten immer noch darum kämpfen müssen, eine Milliarde Corona-Bonus gerecht zu verteilen.

Damit keine von diesen, überwiegend weiblichen, Personen, und auch sonst kein zukünftiger Zivilist auf die Idee kommen kann, das Bundeswehr-Sondervermögen irgendwann umzuwidmen, will der Finanzminister die militärische Verwendung gleich mal festzurren. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Als FDP-Mann versteht Christian Lindner genauso viel von Marketing wie seine in den Verteidigungsausschuss entsandte Parteikollegin Agnes-Marie Strack-Zimmermann. Entsprechend mutiert er gerade habituell vom Start-up Hipster zum General in Ausgehuniform, während sie die eben vom Schlachtfeld zurückgekehrte Kämpferin gibt. Beides hat mit Fakten wenig zu tun, führt aber geradewegs zum Ziel: Die größte Subvention der Rüstungsindustrie seit dem Ende des Kalten Krieges. Allein der Börsenkurs von Rheinmetall, derzeit größter Lieferant der Bundeswehr, stieg vom 26. Februar bis zum 1. März um 80 Prozent. Eine Woche später kündigt Lindner an, nun auch für „die Klimawende“ 200 Milliarden bereitzustellen, bis 2026. Die Reihenfolge mag der speziellen politischen Arithmetik dieser Regierung geschuldet sein, und auch dem medialen Marketing. Dass Solaranlagen und E-Autos sympathischere Produkte sind als Panzer, muss sowieso nicht extra erwähnt werden. Dennoch: Auch diese 200 Milliarden Euro öffentlicher Gelder werden dort ausgegeben werden, wo sie aktuell besonders hohe Profite versprechen. Wo der sowieso unumgängliche Abschied von fossilen Brennstoffen jetzt noch mit heroischen Sanktionsgesten und dem Beifall von Fridays for Future garniert werden kann. Wo die Bundeswehr nun 2700 veraltete Flugabwehr-Raketen aus NVA Beständen an die Ukraine verschenkt, ebenfalls mit heroischer Geste. Stattdessen kann sie jetzt endlich das lange gewünschte neue High-Tech-Drohnen-Zeug bestellen. Dafür braucht es dann, wie die zuständige Ministerin freundlich, aber bestimmt beschied, auch keine Wehrpflichtigen mehr, was unter anderem lästige gesellschaftliche Debatten über Kanonenfutter und Aufträge zum Töten erspart. Stattdessen kann Krieg führen als „hochqualifizierte Tätigkeit“ – Personalmarketing –­ konkurrieren mit anderen Berufen, die Computerkenntnisse, Konzentration und gute Augen verlangen.

All das sind Investitionsanreize fürs Kapital, mit denen die überwiegend wenig bis gar nicht profitablen Bereiche des Lebens – Bildung, Sorgetätigkeit, Gedöns – niemals aufwarten können. Es wird also, jede Wette, weder heute noch übermorgen eine Ankündigung des Finanzministers geben, der Gesundheits- und Pflegesektor werde mit 300 Milliarden ausgestattet. Es ist aktuell allerdings nicht auszuschließen, – Zielgruppenmarketing – dass die Profiteure des herrschenden Beschaffungswesens demnächst auch Katzenfutter und Seife in ihre Waffenlieferungs-LKWs packen. Jedenfalls solange ein TV-Team dabei ist.

Fürs Füttern und Streicheln der Katzen und Kinder, das Wechseln der vollen Windeln und blutigen Verbände, fürs Trösten der Verängstigten und alles andere nicht-profitträchtige Tun bleibt weiterhin die Zivilgesellschaft zuständig. Sie, die ihren weiblichen Artikel allem Anschein nach auch an diesem Internationalen Frauentag zu Recht trägt. Sie, die in einem humanitären Korridor hockt, der zunehmend kleiner wird in einem Haus der schon lange schwelenden Brände. Bedrängt und verhöhnt von Kapital und Krieg, nicht erst seit diesem Frühling 2022. Höchste Zeit, neu nachzudenken über zivilen Ungehorsam. Oder Generalstreik.

Geschrieben von:

Sigrun Matthiesen

Journalistin

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