Wirtschaft
anders denken.

Was eine progressive Sammlungsbewegung sein könnte?

14.02.2018
Aus einem Theaterplakat von Harry Pflaum, 1972

Warum das Frauenvolksbegehren in Österreich mehr Aufmerksamkeit hierzulande verdient hätte? Weil das mal eine progressive Sammlungsbewegung wäre – eine, in der das menschliche Allgemeine politisch zum Thema gemacht werden könnte. Lagerübergreifende Verständigung gegen Regression und Rechtsruck inklusive. Eine Träumerei.

Die Zeitungen in Österreich sind voll damit, hierzulande berichten nicht einmal große Nachrichtenagenturen: über das in dieser Woche gestartete zweite Frauenvolksbegehren. Es geht den InitiatorInnen um Gleichstellung nicht nur in der Arbeitswelt, um Teilhabe und Respekt, Schutz vor Gewalt und die Verteidigung von Selbstverständlichkeiten. Das Frauenvolksbegehren soll nicht nur »für die Sichtbarkeit und Rechte von Frauen in ganz Österreich« sorgen, sondern stellt auch »klare Forderungen« an die Regierung.

Das ist nicht bloß eine Adresse des Pragmatismus, der Wunsch nach realpolitischer Korrektur, sondern eine Geste des gesellschaftlichen Widerstandes gegen eine reaktionäre Rechtskoalition. Es geht darum, den einmal erreichten Stand von Grundrechten zu verteidigen, es ist der Kampf um das politisch eigentlich Selbstverständliche. Das verdient Unterstützung, es mag aber auch zu einer Überlegung beitragen die hiesigen politischen Verhältnisse betreffend.

Man darf sich keine Illusionen machen, aber…

Wäre ein Frauenvolksbegehren nicht die progressive Sammlungsbewegung in der Bundesrepublik und also ein Gebot der Stunde? Sicher, man darf sich keinerlei Illusionen hingeben – wer sollte es tun, gibt es genügend Potenzial, wohin kann das tragen? Man könnte die Idee aber einmal an drei Punkten durchbuchstabieren.

Erstens geht bei einem Frauenvolksbegehren um mehr als um eine feministische Aktion. Vielmehr wird darin das menschliche Allgemeine politisch adressiert, wenn man so will der kategorische Imperativ progressiver Politik. Den hat mal jemand  als das Streben danach formuliert, »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Wer von ökonomischer Ungleichheit redet, kann von den Ungleichheitsstrukturen der Produktion des Lebens und der Geschlechterverhältnisse nicht schweigen.

Zweitens könnte so gelingen, wichtige Debatten wie die um Gender Pay Gap, MeToo und Quoten zu einer Plattform zu verknüpfen und damit realpolitisch operationalisierbar zu machen. Dabei lassen sich Grenzen und Widersprüche von Gleichstellungspolitik genauso diskutieren wie es eine Chance wäre, soziale und kulturelle Fragen zusammen und nicht gegeneinander gerichtet zu debattieren.

Dies hätte neben dem bewegungspolitischen Aspekt auch einen aufklärerischen: über die Praxen, Normen, Werte, Autoritäten, Institutionen, Sprache, Kultur der Reproduktion von Geschlechterverhältnissen muss man gerade dann laut, kritisch und selbstbewusst reden, wenn eine regressive Gegenmobilisierung ihre gewaltförmige Rhetorik gegen »Genderwahn«, Feminismus und einmal erkämpfte Rechte in Stellung bringt.

Vertikale und horizontale Verteilungsebene

Drittens und damit verknüpft ist es höchste Zeit, uns selbst an die erfolgreichen Kämpfe um gesellschaftliche Modernisierung, um Gleichberechtigung und die politische Ökonomie solidarischer Verhältnisse zu erinnern. Emanzipation bleibt eben immer unvollständig, wenn sie »nur« die vertikale Verteilungskrise (Oben und Unten, Arm und Reich) anspricht und die horizontale (zwischen Geschlechtern, Lebensführungsmodellen, »Drinnen und Draußen«) zum Nebenaspekt degradiert.

In einem Frauenvolksbegehren könnte der Horizont jeweils erweitert werden. Es ist verknüpft mit einem Blick auf die Ökonomie, bei der die Frage der Lohnarbeit nicht nur als Verteilungs- und Statusproblem betrachtet wird, sondern zugleich die Verteilung der Arbeit, die damit verknüpfte Zeitpolitik, das Verhältnis von Reproduktion und Produktion mit auf den Tisch kommen.

Mehr noch, auch deren Einbettung in globale kapitalistische Verhältnisse könnte so stärker auf die Tagesordnung gerückt werden – es ginge dann um  Care-Chain, um die politische Ökologie progressiver Politik in einer planetarischen Dimension, um die Widersprüche einer sozialen Agenda, bei der die Ausgebeuteten im Norden zugleich die Ausbeuter des Südens sind.

Fragen der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Sicherheit

In einem Frauenvolksbegehren könnten diese Verhältnisse nicht länger in einem Drinnen-Draußen-Schema besprochen werden, sondern müssten als – wenn auch ungleichzeitige, so aber eben auch universelle – Ungerechtigkeiten zum Thema gemacht werden. Damit würden auch die Fragen der Freiheit, der Selbstbestimmung, der Sicherheit in einem individuellen und in einem solidarischen Sinne wieder stärker international verallgemeinert.

Auf der tagespolitischen Klaviatur würde ein Frauenvolksbegehren über alle Oktaven hinweg bessere Töne setzen können als der Dauersound aus parteipolitischem Stellungskampf und Sachzwangrhetorik. Soziale Auseinandersetzungen, kollektive Notlagen, himmelschreiende Ungerechtigkeiten, inakzeptable Ungleichheiten, die den Schwingboden bilden könnten für so eine Idee gibt es auch.

Wer mitmacht bei so einer Sammlungsbewegung? Wilmersdorfer Witwen und Zwickauer Arbeiterinnen, Neukölner Queers mit Sternchen und sozialdemokratische Unterbezirksleiter. Männer, die keineswegs alle heimliche Bündnispartner des falschen Status quo sind. Erzieherinnen, Pfleger, Opas, Schüler, Autorennfahrerinnen und Progammiererinnen. Prekäre und Etablierte, Große und Kleine. Leute ohne Arbeit und Leute mit Geld. Eben alle, die diese oder eine ähnliche Träumerei schon lange umtreibt.

Man müsste nicht länger in ohnmächtiger Empörung über die Tabubruchinszenierungen der Rechtsradikalen verharren, sondern könnte eine Kampfansage formulieren: Was wollen wir stattdessen?

Man müsste nicht so lange darauf warten, bis die real existierenden Parteien ihre inneren Konflikte in knirschenden Neukonstituierungsprozessen beantwortet haben, sondern könnte selbstbewusst, lagerübergreifend und laut schon einmal vorneweg laufen.

Man müsste nicht mehr so pessimistisch sein in diesen zu Pessimismus Anlass gebenden Zeiten, sondern hätte einen Grund zur praktischen Hoffnung. Und sei es nur der, dass ein paar Hunderttausend, vielleicht sogar ein paar Millionen Menschen für etwas ihre Unterschrift hergeben, das eine Idee verkörpert, die in dem was wir da draußen derzeit sehen nicht mehr aufscheint: Es geht auch anders.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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