Wirtschaft
anders denken.

Freude ist nur ein Mangel an Informationen: Wie man über den Kohleausstieg schreibt

23.05.2018
Foto: Heliosteam, Harald Hillemanns on de.wikipedia, Lizenz: CC BY-SA 3.0Braunkohlekraftwerk Niederaußem bei Köln

Es stellt sich oft die Frage, ob jemand das Glas als halbvoll oder halbleer betrachtet. Wenn es um Kohleausstieg geht, neigen die Medien gemeinhin zum halbvollen. Alles ist immer irgendwie schön. Auch wenn es mal schöner war, aber: Who cares?

»Hälfte der deutschen Kohlemeiler könnte bis 2030 vom Netz«, meldet Spiegel online. Das klingt großartig. Und triggert bestimmt nicht, dass sich die neue alte Große Koalition bereits in ihrem gemeinsamen Vertrag von den Klimazielen Deutschlands verabschiedet hat. Stattdessen hört sich die Überschrift wie ein einziger großer Erfolg an. Auch die Unterzeile verspricht Beruhigung bis zur Bewusstlosigkeit: »Eine Kommission soll klären, wie Deutschland künftig ohne Kohle auskommt. Für die Bundesnetzagentur ist klar: Bis 2030 kann das Land auf die Hälfte der Kohlemeiler verzichten – wenn der Netzausbau vorankommt.«  Bis 2030 die Hälfte, was ist dann künftig, und was bedeutet, »soll klären«? Ist es etwa noch nicht klar? Klang doch aber mal so.

Und dann der erste Satz der Meldung, ein Paradebeispiel für »Das Erreichte ist noch nicht das Erreichbare« (Erich Honecker): »Kohle kann bei der Energieversorgung in Deutschland nach Ansicht der Bundesnetzagentur langfristig eine deutlich geringere Rolle spielen.«

Kann, aber muss nicht. Nach Ansicht der Bundesnetzagentur, aber andere können ganz anderer Auffassung sein. Langfristig, aber keinesfalls jetzt und auch nicht in den nächsten Jahren und vielleicht sowieso erst so Sankt Nimmerlein. Deutlich geringer, also auf jeden Fall weniger, aber genau lässt sich das jetzt auch schwer sagen, weil deutlich geringer, ausgehend von einem hohen Niveau kann immer noch ziemlich viel. Aber reden wir nicht drüber.  

»Sicherheit und Stabilität«

Immerhin kam Spiegel online vor einigen Tagen einer kritischen Betrachtungsweise ein kleines Stück näher, als die Überschrift lautete »Erst die Jobs, dann das Klima« und festgestellt wurde, dass der Klimaschutz bei der Kommission, die uns den Wandel nicht vor 2030, dann aber auch nicht, bringen wird, ziemlich zweitrangig ist. In der neueren Meldung klingt das bei Spiegel online dann aber viel sanfter: »Die Berechnungen der Behörde (Bundesnetzagentur. d.R.) stellen die Versorgungssicherheit und die Stabilität der Netze in den Mittelpunkt.«

Welchen Zweifel sollte eine Leserin dann noch daran hegen, dass die schon alles richtig machen und die Sache mit dem Klima jetzt wirklich mal hintenanstehen muss. Es geht um meine Versorgungssicherheit und die Stabilität der Netze. Sicherheit und Stabilität sind Worte, die fast immer zwei Lügen beinhalten und das Denken austreiben. Für Sicherheit und Stabilität sind wir bereit, beide Augen zuzudrücken.

»So legen betroffene Bundesländer ihr Augenmerk vor allem darauf, dass beim Kohleausstieg möglichst wenig Jobs wegfallen.« (Das sind die Guten) »Umweltschützer dagegen wollen erreichen, dass möglichst wenig CO2 in die Atmosphäre gelangt.« (Das sind die weniger Guten). Weil – kleines Wort, große Wirkung – dagegen.

Natürlich kann man sich fragen, warum der Satz nicht »Umweltschützer wollen erreichen, dass…« lautet, wozu es dieses »dagegen« bedarf, das wie ein kleines Füllwort daherkommt, aber doch eine ganze Denkhaltung beinhaltet: Die einen killen bloß das Klima, die anderen die Jobs.

Beruhigendes Gegurre

Die Produktion von Kohlestrom ist in Deutschland für ein Drittel der gesamten CO2-Emission verantwortlich, Braunkohle gilt mit einem CO2-Ausstoß von 1161 Gramm pro Kilowattstunde als der klimaschädlichste Energieträger überhaupt. Hoch subventioniert, künstlich verbilligt – und eben: Jobs.

Dagegen kommen auch seriöse Untersuchungen nicht an, die besagen, dass bis 2030 die Stromproduktion aus Braunkohle um 62 Prozent und die aus Steinkohle um 80 Prozent reduziert werden müsste, will man auch nur annähernd die einmal gesetzten, aber längst begrabenen Klimaziele erreichen.

Aber solange uns Spiegel online mit beruhigendem Gegurre und nichtssagendem Gelaber über eine Kommission versorgt, die reine Kosmetik debattiert und dabei (ganz blöder Sprachwitz) wahrscheinlich einiges Geld verbrennt, ist alles schön.

Foto: Heliosteam, Harald Hillemanns on de.wikipedia / CC BY-SA 3.0

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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