Wirtschaft
anders denken.

Die Wohnungsfrage, der »Irrtum« des Beirats und politikberatende Ökonomen

29.08.2018
Foto: Jan Dobrý / flickr CC BY-SA 2.0

Sozialen Wohnungsbau einstellen, Mietpreisbremse abschaffen – mit solchen Forderungen machte das Gutachten der wissenschaftlichen Berater des Wirtschaftsministeriums zur Wohnungspolitik Schlagzeilen und sorgte für laute Kritik. Darauf wurde der Ideologie-Vorwurf in Stellung gebracht. Nun stellt sich heraus, die »Expertise« fußt an einer entscheidenden Stelle auf einem angeblichen Irrtum. 

»Für wie blöd hält eigentlich der Beirat die deutsche Öffentlichkeit«, fragt der Berliner Ökonom Sebastian Dullien – und das ist womöglich noch ziemlich untertrieben. Es geht um das Gutachten der wissenschaftlichen Berater des Wirtschaftsministeriums zur Wohnungspolitik, das in den vergangenen Tagen viele Schlagzeilen machte. Von hinten aufgezählt: weil sich namhafte Ökonomen gegen Kritik an der Studie verwahrt hatten und mit dem »Ideologie«-Vorwurf hantierende von »Diskreditierung von Wissenschaftlern« sprachen; weil sich Politiker und andere Ökonomen bisweilen sehr kritisch über dieses Gutachten geäußert hatten; weil diese Studie unter anderem auf die Forderung hinauslief, den sozialen Wohnungsbau einzustellen und die Mietpreisbremse wieder abzuschaffen.

Nun stellt sich heraus, »alles ein Irrtum. Die Experten des wissenschaftlichen Beirats legten eine falsche Annahme zugrunde. Sie waren davon ausgegangen, dass die Mietpreisbremse auch für Neubauten gilt«, so schreibt es die »Welt« und zitiert Friedrich Breyer, jenen Mit-Autoren, der das Gutachten mit – nun ja: zuvor noch mit ziemlich breiter Brust verteidigt hatte und nun sagt: »Wir geben zu, dass in dem Absatz nicht ausreichend herausgearbeitet wurde, dass wir uns hier nicht auf die bereits gültige Version der Mietpreisbremse beziehen, sondern auf ein Eingreifen in den Mietmarkt im Allgemeinen, das vielleicht in der Zukunft stattfinden könnte.«

Der Zeit-Wirtschaftskolumnist Mark Schieritz hat inzwischen erklärt, »ich nehme dann halt einfach den Bericht – oder Teile davon – nicht so ernst. Genau wie man einen schlecht recherchierten Artikel von mir nicht ernst nehmen würde«. Dullien twitterte mit Blick auf Breyers Erklärungsversuch, »in der Tat, die Reaktionen des Beirats beim Wirtschaftsministerium sind noch fast noch peinlicher als der erste Fehler«. Und der Ökonom Sebastian Thieme meint, »das eigentlich Ärgerliche wird wohl sein, dass sowas in der wissenschaftlichen Community ohne größere Konsequenzen bleiben wird«.

Die Frage wäre freilich: Welche sollten das sein? Der Fall verweist in zwei Richtungen – eine eher fachliche, bei der die Arbeitsweise des Wissenschaftlichen Beirates im Zentrum steht, der sich schließlich »in mehreren Sitzungen« mit dem Thema des Gutachtens befasst haben will. In dem Gremium sitzt nicht nur Breyer, die Stellungnahme muss irgendwer geprüft haben, warum fiel der gravierende Fehler niemandem auf? »Die Mietpreisbremse greift jedoch bei allen anschließenden Mietverhältnissen« ist schlicht und einfach eine Falschaussage.

Die zweite Ebene ist eine eher politische, auf dieser wäre (abermals) zu diskutieren, wie sich Beratungsgremien zusammensetzen, welche Aufgaben Politikberatung durch Ökonomen hat, wie auch in solchen Runden Vielfalt und kritische Positionen Platz finden. Von hier aus führt auch ein Pfad zur öffentlichen Diskussion unter Wirtschaftsfachleuten, in der auch nicht erst seit dem Gutachten mit gegenseitigen »Ideologie«-Vorwürfen hantiert wird.

Man darf gespannt sein, wie zum Beispiel der Direktor des Walter Eucken Instituts, Lars Feld, nun reagiert, der zuvor gegen die Kritik der Justizministerin Katharina Barley an dem Gutachten erklärt hatte, »so reagieren Politiker, wenn Beweise nicht mit ihrer Ideologie übereinstimmten«. Welche Beweise? Und wer ist hier der Ideologe? Die Argumentation in dem Gutachten zur Mietpreisbremse fußt auf einer Annahme, zu der die »Welt« schreibt: »Doch nutzt auch die Immobilienbranche stets dieses Argument, um gegen die Mietpreisbremse Stimmung zu machen. Die Mietpreisbremse sei eine Neubaubremse.«

Auch Isabel Schnabel, eine der »Wirtschaftsweisen«, könnte nun ein wenig Korrekturbedarf verspüren. Sie hatte gegen Barley erklärt, »es ist bemerkenswert, wenn renommierte Forscher, die eine wissenschaftliche Analyse auf der Grundlage von Evidenz und theoretischer Forschung vorlegen, als ›unverantwortlich‹ angeprangert werden«.

Aber wie soll man es nennen, wenn ein Gutachten, dass von »führenden Ökonomen« vorgestellt wird und die Wohnungspolitik der Bundesregierung beeinflussen will, auf einem »Irrtum« beruht, der hinterher mit fragwürdigen Ausreden wie »wir beziehen uns auf staatliche Eingriffe allgemein, nicht auf die Mietpreisbremse nach dem Mietnovellierungsgesetz« bereinigt werden soll? Grundlage von Evidenz? Beweise? Oder zeigt sich hier nicht einmal mehr jene Unfähigkeit zur Selbstkritik bestimmter Ökonomenkreise, die schon in den vergangenen Jahren immer wieder beklagt wurde?

Am Ende darf man Marcel Fratzscher, den Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, zitieren: »Die Bundesregierung und auch Städte und Länder müssen ihre Wohnungsbaupolitik grundlegend reformieren. Mietpreisbremse und Baukindergeld sind meist ineffektiv. Aber der soziale Wohnungsbau ist wichtig, wenn er richtig gemacht wird.« In diesem Tweet liegen einige der real existierenden Herausforderungen in der immer drängender werdenden Wohnungsfrage, die sich weder mit Markt-Aberglauben lösen lassen, zu denen man aber auch sagen muss, dass bisherige politische Regulierungsversuche nicht wirksam waren. Vorzuschlagen, wie es anders ginge, wäre eine Aufgabe für politikberatende Ökonomen. Die »Regeln« dieser Politikberatung, das zeigt der Fall des Gutachtens zur Mietenpolitik, sollte man sich noch einmal selbstkritisch ansehen.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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