Wirtschaft
anders denken.

Die G-7 und der geistige Kolonialismus des Westens

29.06.2022
Schloss Elmau vor Berglandschaft und blauem HimmelFoto: Peter SteinerG-7-Gipfel auf 1008 Meter Höhe: Schloss Elmau in Garmisch-Partenkirchen.

Ohne wirtschaftsdogmatische Kehrtwende wird sich die Welt jenseits der G-7 neu orientieren. Kommentar von Heiner Flassbeck auf seinem Blog »Relevante Ökonomik«.

Das also war G-7. Es war der Gipfel schlechthin, wenn man der Medienhype in den kleinen Ländern glaubt, die dort – bei den scheinbar Großen – vertreten waren (hier findet man das äußerst dünne Kommuniqué). Wer seinen Verstand benutzt, kommt zu ganz anderen Ergebnissen. Aber den eigenen Verstand zu benutzen und kritisch zu sein, ist out in diesen Zeiten, mega-out sogar. In den Nachdenkseiten erschien allerdings ein kritischer Kommentar von Jens Berger, dem man nur zustimmen kann. Er hat beispielsweise zu Recht auf den Gipfel der sogenannten BRICs in Peking hingewiesen, wo offensichtlich ein für die Zukunft weit bedeutenderer Teil der Weltwirtschaft vertreten war.

Das G-7 Format ist eigentlich schon vor langer Zeit beerdigt worden, weil Anfang dieses Jahrhunderts einigen klugen Leuten klar war, dass G-7 und Weltwirtschaft einfach nicht mehr zusammenpasst. Aus G-7 wurde zunächst für ganz kurze Zeit G-8 (mit Russland) und schließlich entstanden die G-20, die in der Tat für sich in Anspruch nehmen können, über die Weltwirtschaft zu sprechen und deren nächster Gipfel im Herbst in Indonesien stattfindet.

Die G-7 hat man im Westen nur wiedererfunden, um in den Zeiten der Krim-Krise Russland zu ärgern, denn man konnte Russland aus den G-8 ausschließen (was man bei der G-20 nicht konnte) und war wieder bei dem wunderbar alten und wunderbar belanglosen G-7 Format. In dieses Format quetschen sich peinlicherweise immer noch die EU-Kommission (in der Person der Präsidentin) und sogar der Präsident des europäischen Rates, die da eigentlich nichts verloren haben. Das führt zu einer gewaltigen Überrepräsentation Europas und reduziert das Interesse der USA an diesem „Gipfel“ enorm.

Infrastruktur gegen Seidenstraße?

Noch viel peinlicher ist es, dass die G-7 unter deutscher Gastgeberschaft so getan haben, als könnten sie die G-20 ersetzen oder auch nur vorwegnehmen. Die Einladung an fünf Länder aus verschiedenen Kontinenten, die nicht zur Gruppe der Industrieländer gehören, ist der leicht zu durchschauende Versuch, sich vom Image des reinen West-Vereins zu lösen. Dass mit Indonesien auch die gegenwärtige Präsidentschaft der G-20 eingeladen wurde, kann man noch nachvollziehen, dass aber Indien eingeladen wird, während man gleichzeitig China zum „Systemrivalen“ erkoren hat und nun gar eine eigene „Seidenstraße“ bauen will, ist einfach nur lächerlich. Auch war das vom IWF (Internationalen Währungsfonds) (im Namen der G-7) gerade schrecklich gebeutelte Argentinien eingeladen (s. hier), vermutlich, weil man sich nicht zutraute, Brasiliens ultra-rechten Präsident Bolsonaro zu bändigen.

Fatal an diesem Gipfel „der Industrieländer“ ist jedoch vor allem die vollständige Ignoranz gegenüber den Fehlern, die man selbst im Verhältnis zu den Ländern gemacht hat und jeden Tag macht, die man gerade jetzt gerne auf die eigene politische Seite ziehen würde. Noch immer dominieren in den entwickelten Industrieländern Überheblichkeit und offene Feindseligkeit gegenüber ärmeren Nationen, die in der Regel nichts anderes versuchen, als die eigene Armut zu überwinden und dem offenkundigen Reichtum des Nordens durch Nachahmung etwas näher zu kommen. Der offene Kolonialismus ist vielleicht überwunden, aber der geistige Kolonialismus ist so gegenwärtig wie vor 200 Jahren.

Die Initiative zum Ausbau der globalen Infrastruktur („um die globale Investitionslücke zu füllen“) zeigt das in unmissverständlicher Weise, wenn man die Hintergründe kennt. Viele weniger entwickelte Länder der Welt brauchen kein Geld von den G-7, um ihre Investitionen hochzufahren, sondern sie brauchen geeignete makroökonomische Bedingungen, die es ihnen erlauben, aus eigener Kraft mehr öffentliche und mehr private Investitionen zu stemmen. Die großartig klingende Infrastrukturinitiative ist offenbar als Antwort auf die chinesischen Investitionen in vielen Ländern Afrikas und Asiens gedacht, wird aber genauso im Sande verlaufen wie ähnliche Versuche vorher.

Demokratie gegen Diktatur?

China ist nicht deswegen mit seiner Art der Entwicklungspolitik erfolgreich, weil es konkrete Projekte finanziert, sondern weil es diese Projekte umsetzt, ohne sich in die Politik der Empfängerländer einzumischen. Der Westen dagegen, der über den IWF immer noch nahezu ein Monopol bei der Hilfestellung für Länder in finanziellen Nöten hat, verbindet seine Hilfe immer und systematisch mit brutalem Neoliberalismus, einem Neoliberalismus nämlich, den keines der G-7 Länder bei sich selbst anwenden würde. Aus der Sicht der Regierung eines Entwicklungslandes, das womöglich vollkommen unverschuldet internationale Hilfe braucht, ist die Hilfe der „demokratischen“ Staaten via IWF ohne jeden Zweifel geistiger Kolonialismus, der ihnen von den Demokraten in die Feder diktiert wird, während die Hilfe der chinesischen Diktatoren erstaunlicherweise ganz ohne solche diktatorischen Elemente auskommt.

Aus Anlass des G-7 Gipfels hat die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, gerade den geistigen Kolonialismus des Westens in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht (hier, ab Minute 14). Sie sagt, China gehe geschickt vor, weil es seine Hilfe für ärmere Länder nicht an Bedingungen knüpfe. Der Westen müsse allerdings auf Bedingungen, wie der Demokratie, dem Kampf gegen Korruption und der Einhaltung der Menschenrechte beharren, weil er ja eine Wertegemeinschaft sei.

Man fragt sich, ob die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments unfassbar naiv und unwissend ist oder nur unglaublich dreist. Der „wertebasierte“ Westen hat in den vergangenen 70 Jahren vollkommen unabhängig von Demokratie und Menschenrechten Ländern in Not eine Wirtschaftsideologie aufgezwungen, die nicht nur grundsätzlich falsch und dumm war, sondern die Lage der betroffenen Länder in der Regel dramatisch verschlechterte. Der IWF unter Führung der G-7 Staaten hat sich dagegen systematisch geweigert, über die wirklichen Probleme der betroffenen Länder auch nur nachzudenken, wenn man befürchten musste, eigene wirtschaftliche Interessen (der Wall Street, der Londoner City oder des Frankfurter Bankplatzes) könnten davon negativ berührt werden. Brasilien unter seinem ehemaligen Präsidenten Lula ist nur der bedeutenste dieser Fälle. Als Lulas Finanzminister zu Recht von einem Währungskrieg gegen sein Land sprach, hat man in der westlichen Welt einfach weggehört.

Für all das sind die G-7 unmittelbar verantwortlich, weil sie im IWF das Sagen haben und von dort aus ihre wirtschaftliche Macht ohne jeden Skrupel ausüben. Jeder Mensch in den Entwicklungsländern weiß das und zieht seine Schlussfolgerungen daraus. Nur in den „demokratischen“ Nationen hat niemand eine Ahnung davon, weil es uns vollkommen egal ist, wie viel Elend es im Rest der Welt gibt und wie viel Schaden unsere Ideologien anrichten. Wer einen Schuldigen dafür sucht, dass im Rest der Welt heute die Bereitschaft, sich klar an die Seite des Westens zu stellen, verschwindend gering ist, muss sich an die eigene Nase fassen.

Ohne eine vollständige Kehrtwende in Sachen Wirtschaftsdogma wird sich die Welt jenseits der G-7 neu orientieren. Schließlich hat China gezeigt, dass man wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ohne sich dem Neoliberalismus mit Haut und Haaren zu verschreiben. Man kann nur hoffen, dass es den großen Ländern der sich entwickelnden Welt gelingt, baldmöglichst einen eigenen Währungsfonds zu schaffen, der dem IWF und der aus Washington kommenden Ideologie vollständig das Wasser abgräbt.

Geschrieben von:

Heiner Flassbeck

Wirtschaftswissenschaftler

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