Geben und Nehmen: Eine Repolitisierung des Ökonomischen fängt bei den Worten an
Die Lage bleibt beschissen, solange als Alternative nur aufscheint, in eine Große Koalition zu gehen oder nicht. Eine solidarische Gegenperspektive ist nötig – sie wird nicht umhinkommen, mit der »Unsichtbarkeit des Ökonomischen« Schluss zu machen, es braucht eine Repolitisierung der sozialen Verhältnisse. Dabei geht es auch darum, wie wir reden. Ein Beitrag aus der OXI-Ausgabe im Januar.
Als Friedrich Engels 1883 die dritte Auflage des »Kapital« herausbrachte, kam er auf »den landläufigen Jargon« zu sprechen, »in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen«. Was der Marx-Freund mit dem »Kauderwelsch« meinte, das er da zu kritisieren hatte, beschrieb er an einem Beispiel: dass etwa »derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben lässt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arb–eit ihm für Lohn abgenommen wird«.
Mehr als 130 Jahre später hat sich daran nicht viel geändert: Das Kauderwelsch ist zum gesellschaftlichen Normalton geworden, da machen gewerkschaftliche oder linke Debatten nur selten eine Ausnahme.
Es ist davor zu warnen, das als sprachliche Kleinigkeit abzutun. »Worte bergen Weltsichten«, wirbt etwa die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling seit längerem schon in der sozialdemokratischen Matrix für mehr Sensibilität im Umgang mit Begriffen. »Denn sie schaffen Wirklichkeiten in unseren Köpfen« – mit so genannten Frames, also Rahmen, »die unser gesammeltes Weltwissen in sinnvolle Zusammenhänge stellen«. Oder eben in Zusammenhänge, die darauf hinauslaufen, dass die Welt so – falsch – bleibt wie sie ist.
Wer also nimmt und wer gibt Lohnarbeit?
Wer also nimmt und wer gibt Lohnarbeit? Roland Karassek hat sich unlängst in der historischen Zeitschrift »Arbeit – Bewegung – Geschichte« auf die »begriffsgeschichtliche Spurensuche« gemacht: Der Widersinn der Begriffe »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer« werde »selten thematisiert«. Gelegentlich würden sie »als euphemistisch kritisiert« – sie werden also zu Ausdrücken, die den sozialen Sachverhalt, um den es geht, beschönigend und in verschleiernder Absicht benennen.
Und damit sind wir dann auch schon mitten in der aktuellen Debatte. Allerorten wird über die sozialen und kulturellen Ursachen für den Rechtsruck diskutiert. Linke reklamieren eine »neue Klassenpolitik« für sich, Brücken zwischen Identitätspolitik und sozialer Frage werden gesucht, verworfen, neu gebaut. Hier und da ist zu hören, man müsse sich nun »wieder mehr um die Arbeitnehmer« kümmern.
Dahinter steckt oft die Frage: Warum laufen so viele Menschen der AfD hinterher? Das hat verschiedene Gründe, diese zu verstehen, also zu analysieren, ist nicht dasselbe, wie ihnen Berechtigung zuzuschreiben. Zumal auch wahr ist, dass die Meisten ihre Stimme keiner Rechtsaußenpartei geben, sondern Kräften eines Status quo, in dem die eigenen Interessen nur als abgeleitete Variablen einer »Wettbewerbsfähigkeit« auftauchen und in dem Sozialpolitik oft der Losung »Ruhe im Karton« folgt.
Wider die fortschreitende ökonomische Individualisierung
Wenn also stimmt, was Georg Spoo gerade in den »Blättern für deutsche und internationale Politik« formulierte, wird eine solidarische Gegenperspektive nicht umhinkommen, mit der »Unsichtbarkeit des Ökonomischen« Schluss zu machen. Womit wieder der falsche »Arbeitnehmer« ins Spiel kommt.
Zumindest ein Teil von denen vermag es laut Spoo nicht mehr, die »als ungerecht und abgehängt empfundene Lebenswirklichkeit« in ökonomischen und sozialpolitischen Kategorien zu deuten. Dafür gibt es Ursachen, eine ist die fortschreitende ökonomische Individualisierung.
Immer mehr Leiharbeit, Werkverträge, Scheinselbstständigkeit haben die »klassischen Instanzen der Solidarität« zerstört, der abhängig Beschäftigte wird mehr und mehr zum isolierten Einzelnen. Hinzu tritt eine »Subjektivierung der Arbeit«, das soziale Verhältnis, in dem man einer Tätigkeit nachgeht, erscheint »vorrangig als persönliches und damit zutiefst individuelles Verhältnis«.
Soziale Lagen »als moralische Qualitäten« gedeutet
Ein weiterer Aspekt ist laut Spoo die »repressive Verantwortlichkeit«, die mit der neoliberalen Form der Individualisierung einhergeht: Wo Autonomie einmal Selbstbestimmung versprach, wird der Einzelne heute »für sein ökonomisches Schicksal vollständig verantwortlich gemacht, das er tatsächlich aber, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen selbst bestimmen kann«. Folge ist eine Missdeutung der eigenen sozialen Lage als »Versagen«, sie wird nicht mehr als politische Angelegenheit gedacht.
Und schließlich: Soziale Lagen werden »als moralische Qualitäten« gedeutet. Wer wenig verdient, Angst um seinen Job hat oder sich als »zu kurz gekommen« ansieht, dem wird ein gesellschaftlicher Spiegel vorgehalten, in dem er als »faul, träge, zu schwach, phantasielos« (Spoo) erscheint. Ausgeblendet werden dabei die ungleichen Besitz- und die Ungleichheit reproduzierenden Marktverhältnisse. Bei den ökonomisch Marginalisierten, so folgert Spoo, löst das »nicht nur schlechtes Gewissen, sondern überdies eine tiefe Entmutigung, Aussichts- und Hoffnungslosigkeit« aus.
Begriffe als Griffe, die Welt zu verändern
Das ist keine Spezialität von Leuten mit geringen Einkommen oder der Erwerbslosen. Die ganze politische Debatte unserer Zeit ist, jedenfalls wenn man den linken, den progressiven, den solidarischen Teil davon betrachtet, von einer Entmutigung geprägt. Die hat auch etwas damit zu tun, welchen realen Stellenwert zurzeit linksreformerische Ideen und darüber hinausgehende systemkritische Strategien haben. Selbst Forderungen, die auf kaum mehr abzielen als eine Wiederherstellung früherer, völlig »normalkapitalistischer« Zustände etwa in der Verteilungspolitik, gelten heute als völlig unrealistische Spinnereien. Machtpolitisch abgehängt. Auch das eine Folge der »Unsichtbarkeit des Ökonomischen«.
Dieser Zustand ist gemacht und ließe sich also auch wieder verändern. Es ist dabei in der warenproduzierenden Gesellschaft, die auf fremder Aneignung von Arbeit beruht, keine Kleinigkeit, wie jene bezeichnet werden, die geben und die, die nehmen. Denn »die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig«, sagte schon Bertolt Brecht: »Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.«
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