Wirtschaft
anders denken.

Lehren aus dem Trump-Sieg

Woher kommt der Erfolg der AfD? Welche Gemeinsamkeiten haben Rechts- und Linkspopulismus? Und ist die Verteilungsfrage der Schlüssel im Kampf gegen den Aufstieg der Rechten? Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Interview.

24.01.2017
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder arbeitete viele Jahre beim Vorstand der IG Metall, unter anderem als Leiter der Bereiche Sozialpolitik und Grundsatzfragen. Seit Mai 2006 ist er Inhaber des Lehrstuhls »Politisches System der BRD - Staatlichkeit im Wandel« an der Universität Kassel. Im November 2009 wurde er Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium des Landes Brandenburg. Wolfgang Schroeder kehrte 2014 nach Kassel zurück. Er ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

OXI: Gibt es in Deutschland eine vergleichbare nennenswerte Wählerschicht wie die, die in den USA Donald Trump gewählt hat? Also angelernte bis qualifizierte Arbeiter und Angestellte, die ohne Arbeit sind oder die statt ihrer früher qualifizierten Produktionsarbeit heute nur noch einen miesen Dienstleistungsjob haben?

Wolfgang Schroeder: Es wäre ein Fehler, den Wahlerfolg von Trump auf den enttäuschten weißen Arbeiter zu reduzieren. In den USA stehen breitere Koalitionen hinter Trump, die eine breitere Sozialstruktur abbilden, als es das Bild von den »Abgehängten« signalisiert. Das gilt auch in Deutschland und für die AfD. Da spielen sicher soziale Motive eine Rolle, die sich auf der klassischen links-rechts-Achse oder der Staat-Markt-Achse abbilden lassen. Aber es geht auch immer um eine kulturelle Dimension. Nur wenn wir diese mitberücksichtigen, nähern wir uns den Antworten auf die Frage, warum Trump so erfolgreich ist und warum in Europa die (rechts-)populistischen Parteien so stark werden.

Wie belegen Sie Ihre These anhand der Wählerschaft von Donald Trump?

Es ist sehr interessant, dass Trump selbst unter Wählern mit College-Abschluss 43 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte; Clinton lag hier bei 52 Prozent. Bei Weißen mit College-Abschluss gewann Trump sogar gegen Clinton mit 49 zu 45 Prozent. Beide Zahlen belegen, der Erfolg von Trump beruht auf viel mehr als nur auf der Zustimmung der so genannten abgehängten Schichten. Gleichzeitig zeigt eine Umfrage in den Swing States, also in den US-Bundesstaaten, in denen es knapp zugeht, dass 40 Prozent der Befragten lieber Produktionsjobs zurückhaben möchten, die keine weitere Ausbildung oder Schulungen erfordern. Das ist bei den heutigen rasanten Veränderungen in der Industrie pure Illusion. Politik und Gesellschaft in den USA müssten also nicht nur eine Debatte über Zugangswege zu Bildung, sondern auch eine über die Attraktivität der Arbeit von morgen und über Beschäftigungssicherheit führen.

Es führt zu nichts, die Fragen der sozialen und der kulturellen Teilhabe gegeneinander auszuspielen.

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Und wie sieht das in Deutschland und bei der AfD aus?

Auch für die AfD zeigt sich, dass die Erzählung, sie sei die Partei der Abgehängten, nur einen Teil der Realität widergibt. In einer kürzlich publizierten Umfrage konnte gezeigt werden, dass vier von fünf Befragten, die sich vorstellen können, AfD zu wählen, ihre eigene wirtschaftliche Situation als sehr gut oder gut bezeichnen. Ich denke, die AfD bezieht ihre WählerInnen aus folgenden maßgeblichen Gruppen: erstens den sozial Abgehängten im unteren, aber auch in mittleren Segmenten unserer Sozialstruktur, zweitens unzufriedenen Kleinbürgern, die den sozialen und kulturellen Wandel ablehnen, wie er von der Politik in den letzten Jahren forciert wird. Und schließlich jene ideologischen Kräfte, die eine national-konservative bis völkische Option verfechten.

Es gibt die These, auch sozial eingestellte Parteien und Verbände kümmerten sich seit Jahren überwiegend oder »nur noch« um Fragen der kulturellen Gleichberechtigung, beispielsweise der sexuellen Gleichberechtigung, aber viel zu wenig um die soziale Frage. Auch deshalb werde der Rechtspopulismus so stark. Stimmt das?

Tendenziell lässt sich beobachten, dass in bestimmten Bereichen Ungleichheiten abgebaut und Repräsentationslücken geschlossen wurden. Damit wurden Minderheitenrechte und die Anerkennung vielfältiger Lebensstile enorm verbessert. Daran hat übrigens auch die Politik der Europäischen Union einen wichtigen Anteil. Gleichzeitig ist es aber nicht von der Hand zu weisen, dass genau diese Politik der Anerkennung vielfältiger Minderheiten und Lebensstile auf gewisse Widerstände in den unteren Schichten und in Teilen kleinbürgerlicher Kreise stößt. Dass dies aber die Ursache dafür sein soll, dass über Jahre hinweg ein verteilungspolitisches Rollback stattfand, halte ich für abenteuerlich.

Die Kritik wird ja etwas anders formuliert. Sie lautet so: Parteien und Verbände haben die soziale Frage in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Sie kümmerten sich mehr um Fragen der kulturellen Gleichberechtigung denn um Fragen der sozialen Gleichheit. Ist diese Kritik berechtigt?

Ich kann das weder bei den Gewerkschaften noch bei der SPD oder der Linkspartei feststellen. Es führt auch nicht weiter, die beiden großen Fragen der sozialen und der kulturellen Teilhabe und Gleichberechtigung gegeneinander auszuspielen. Denn beide müssen gleichermaßen in den Blick genommen werden: Eine offene demokratische und solidarische Gesellschaft basiert auf einer Vielzahl an Lebensstilen und braucht dafür auch ausgeprägte Minderheitenrechte. Unser Verständnis von einer offenen und demokratischen Gesellschaft ist, dass alle so viel verdienen und sozial so gut abgesichert sind, dass sie sich in Freiheit und Sicherheit an diesem Leben beteiligen können. Da aber diese Norm, diese Voraussetzung für ein Viertel der Gesellschaft nicht zutrifft, muss gleichzeitig die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wieder stärker in den Blick genommen werden. Denn nicht nur die Einkommen der unteren, sondern auch der mittleren Einkommensgruppen müssen erhöht werden. Damit das gelingt, ist es wichtig, dass die Gewerkschaften stark sind und bereits in den Unternehmen die Weichen richtig stellen, wenn es darum geht, die Beschäftigten an den dort erwirtschafteten Werten angemessen zu beteiligen.

Höhere Löhne, geringere Steuern und Sozialbeiträge für die qualifizierten Beschäftigten und Mittelschichten – das Rezept um die Wählerschaft der AfD auf Dauer zu minimieren?

Wenn es so einfach wäre, dann wären die Gewerkschaften ein zentraler Schlüssel für den Kampf gegen die AfD. Damit würde man das Phänomen AfD zu sehr auf die wirtschaftliche Ebene einschränken und die kulturelle zu wenig würdigen. Richtig ist: Die wirtschaftliche Ebene ist elementar. Gute Arbeit, Stärkung der Sozialpartnerschaft, die Stärkung sozialer Bündnisse und Netzwerke, ein politischer Ansatz, der allen Bürgerinnen und Bürgern Chancen und Teilhabe bietet, das alles ist wichtig. Und diese Politik zeigt: Politik und Gewerkschaften tun etwas. Dazu zählt auch: eine angemessene Primärverteilung des erwirtschafteten Wohlstandes. Konkret: Gerade in den Dienstleistungsbereichen sind die Löhne und Gehälter noch viel zu niedrig. Der Nachholbedarf ist sehr hoch.

Wie soll dieser Nachholbedarf gestillt werden? Dienstleistungsbereich heißt konkret: Kommunen, Pflegeunternehmen, Handel, Gastronomie – diese Arbeitgeber machen nicht annähernd so hohe Profite wie Porsche oder Daimler, um ähnlich hohe Löhne bezahlen zu können.

Erstens werden auch in privatwirtschaftlichen Bereichen des Dienstleistungssektors zuweilen gute bis sehr gute Gewinne erzielt. Zweitens ist es ein Problem, dass die dort Beschäftigten gewerkschaftlich kaum organisiert sind. Entsprechend schwach sind die Gewerkschaften in diesen Bereichen. Drittens sind die Nutzer vieler Dienstleistungen nicht bereit, die damit verbundenen Leistungen angemessen zu würdigen und entsprechend zu bezahlen. Wir brauchen also weiterhin eine gesellschaftliche Aufwertung dieser Leistungen.

Geht da was voran?

Seit einigen Jahren wird eine Debatte über die Bedeutung der Qualität von Dienstleistungsarbeit geführt. Das führt allmählich zu einem zaghaften Umdenken. Dieser Prozess wird befördert, wenn die Betroffenen Konflikte eingehen. Die Kindererzieher haben dies vor zwei Jahren mit ihren Streiks sehr deutlich gemacht. Die Folge: eine höhere Bezahlung. Etwa ähnliches steht bei den Altenpflegern noch aus. Aber auch dort gibt es Signale, dass Beschäftigte daran denken, gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Letztlich muss erreicht werden, dass es in den Dienstleistungsbereichen nicht zu einem ruinösen Preis-, sondern zu einem Qualitätswettbewerb kommt.

Die AfD verbindet Kritik an der Flüchtlingspolitik mit einer pauschalen Eliten-Kritik.

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Das ist der Bereich der Sozial- und Lohnpolitik. Was muss denn über diesen materiellen Bereich hinaus getan werden, um die Attraktivität der AfD einzuschränken?

Die AfD ist auf zwei Feldern erfolgreich. Sie greift die Kritik an der Europa- und Flüchtlingspolitik auf, die in der Bevölkerung vorhanden ist, jedoch bisher von keiner Partei aufgegriffen wurde. Und sie greift die Kritik auf, die sich pauschal gegen das Establishment richtet. In diesen Fragen gibt es Repräsentationslücken, in welche die AfD geschickt hineinstößt. In der Frage der pauschalen Eliten-Kritik ist der sogenannte Rechts- und Linkspopulismus nahezu auf einer Linie. Das Ganze wird jedoch aus einem entscheidenden Grund zu einem rechtspopulistischen Projekt: Die Eliten-Kritik, also der Kampf des »Volkes gegen die da oben«, wird von der AfD erweitert, um den »Kampf gegen die da draußen«, also gegen schwache Ausländer und Flüchtlinge, »mit denen wir nichts zu tun haben wollen, die nicht zu uns gehören und die uns alles wegnehmen wollen«. In dieser rechtspopulistischen Perspektive werden die Fremden und Schwachen als Gefahr definiert, die es zu bekämpfen gilt. Das heißt konkret: Die Fragen von Gerechtigkeit und von Sicherheit werden national definiert, und nicht solidarisch oder gar international. Weil das so ist, komme ich zu dem Schluss: Allein mit einer gerechten Sozial- und Lohnpolitik werden wir die Probleme nicht lösen, die wesentlich zum Aufschwung der AfD beitragen. Aber ohne eine gerechte Sozialpolitik werden wir das auf gar keinen Fall schaffen.

Kommen wir noch einmal zur kulturellen Ebene. Was können Parteien und eine liberal gesinnte Öffentlichkeit den Bürgern anbieten, die sagen: Mir ist das viel zu viel Internationalität, zu wenig deutsche Homogenität, zu viel undurchsichtige EU und zu wenig homogener deutscher Nationalstaat? Für diese Gruppe ist ja die soziale Frage allein uninteressant.

Ich halte zunächst als Ausgangspunkt fest: Wir haben eine immer heterogenere und komplexere Gesellschaft. Damit wird es auch immer schwieriger, einen inhaltlichen kulturellen Konsens herzustellen, der jenseits von »Wohlstand für alle« liegt. Deutschland als Ganzes profitiert wirtschaftlich erheblich von der Globalisierung. Eines geht aber nicht: Die Früchte ernten und sich zugleich in ein homogenes, nach außen hin abgeschlossenes Gebilde zurückziehen. Übrigens: Dass dies nicht geht, wird bald das Beispiel Großbritannien zeigen. Und nun der zweite entscheidende Punkt: Solange aber die Früchte der Globalisierung innerhalb von Deutschland unter der Bevölkerung so ungleich verteilt werden wie heute, wird es politisch unheimlich schwer sein, diese Gesellschaft zusammenzuhalten.

Das ist aber wieder nur die eine Seite der Medaille, die rein materielle.

Richtig. Auf der Ebene der Kultur geht es um die Frage, was entfremdet die vielen AfD-Wähler von den politischen Parteien – oder wie es abwertend heißt: vom politischen Establishment. Und was entfremdet sie von dieser heutigen offenen, vergleichsweise sehr toleranten Gesellschaft. Diese Ablehnung hat wohl auch etwas mit der amtierenden Großen Koalition zu tun. Ich erinnere daran: Bereits Mitte der 1960er Jahre gab es wenige Jahre eine Große Koalition. Die Folge: Bei der Bundestagswahl scheiterte die rechtsradikale NPD mit 4,9 Prozent nur sehr knapp am Einzug in den Bundestag. Es liegt auf der Hand: Eine Große Koalition plus eine schwache parlamentarische Opposition erwecken den Eindruck von großer Alternativlosigkeit. Und seit 2005 haben wir es ja jetzt bereits mit der zweiten Großen Koalition in kurzer Zeit zu tun. Das erleichtert es populistischen Parteien wie der AfD, mit simplen Freund-Feind-Schemata – »Wir und das Volk gegen die da oben« – zu operieren und so eine simple kollektive Anti-Identität zu schaffen.

Es ist wichtig, öffentlich über politische Alternativen zu reden, die sich deutlich unterscheiden.

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Was tun? Die Große Koalition sofort auflösen?

Die bringt natürlich auch Gutes, beispielsweise eine Reihe sozialpolitischer Reformen und hohe politische Stabilität. Denken Sie nur an die momentan enormen internationalen Konfliktlagen, an die riskanten politischen Veränderungen in den USA und so weiter. Aber klar ist, es wird wichtiger, in der Öffentlichkeit über politische Alternativen zu reden, die sich deutlich unterscheiden, diese jeweils auch mit Leidenschaft zu vertreten und zu verkörpern. Das muss in einer Demokratie sowieso selbstverständlich sein. Das könnte helfen, dass sich mehr Bürger wieder mit etablierten Parteien identifizieren und die Anziehungskraft der anderen abnimmt.

Ist denn in Deutschland irgendwo eine Ecke zu erkennen, in der jemand »richtig« mit der AfD umgeht?

Bei aller Vorsicht mit Blick auf die Besonderheiten als Stadtstaat und den Unsicherheiten von Umfragen: Es kann sein, dass es in Hamburg Olaf Scholz gelingt, die AfD zu marginalisieren. Sie ist im Dezember in Umfragen unter die Fünfprozent-Hürde gefallen. Das würde als Konzept heißen: Unaufgeregt, kompetent und klar die eigene Politik vertreten, auch klar benennen, wo Bürger wie belastet werden. Bereits bei den vergangenen Landtagswahlen hat sich, abgesehen von dem Höhenflug der AfD, eines gezeigt: Es halten sich die Parteien gut, die von einer populären Person mit einem klar erkennbaren Programm repräsentiert werden.

Was sollte auf keinen Fall gemacht werden?

Es gehen mit Sicherheit diejenigen den falschen Weg, die inhaltlich und semantisch AfD-Positionen übernehmen. Wer das tut, wird noch mehr Wähler verlieren, und er leistet zudem der politischen Kultur insgesamt einen Bärendienst.

Das Interview führte:

Wolfgang Storz

Kommunikationsberater

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