Geistige Defizite und Etatdefizite
Spanien und Portugal bekommen keine Strafe für das Nichteinhalten der Defizitgrenze – doch es bleibt bei der Drohung mit Kürzungen und dem Festhalten an der deutsch-orchestrierten Krisenpolitik.
»Die EU-Kommission hat gegen Spanien und Portugal keine Strafe verhängt und damit abermals bei Defizitsündern in der Euro-Zone ein Auge zugedrückt.« So formuliert es die Agentur Reuters. In dem Satz über die Empfehlung (die Euro-Finanzminister können die Vorschläge mit qualifizierter Mehrheit noch zurückweisen) stecken einige Wahrheiten über das politische Agieren in der Europäischen Union (EU).
Beiden Ländern drohten Bußgelder, weil diese mehr neue Schulden gemacht hatten, als es das herrschende Austeritätsdiktat vorsieht – die Vorgabe lautet, nur maximal drei Prozent Neuverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung zuzulassen. Weder in Lissabon noch in Madrid hat man diese Grenze eingehalten – den Verzicht auf Strafe begründete die Brüsseler Behörde unter anderem mit der Anti-EU-Stimmung in Teilen der Staatengemeinschaft. Dass diese Ablehnung genau damit zu tun hat, nämlich mit dem bisherigen Durchsetzen einer Politik, die auf Kürzungen setzt und sich davon Wachstum verspricht, obgleich diese Annahme durch die Wirklichkeit längst dementiert ist, ist das eine.
Das andere ist: Offenbar hat ausgerechnet »Mr. Austerität« Wolfgang Schäuble bei mehreren EU-Kommissaren für einen Verzicht auf eine Strafe geworben, so wird berichtet. Eben jener Bundesfinanzminister also, der sonst gern für die schonungslose Durchsetzung der Sparvorgaben auftritt – in diesem Fall aber offenbar seinem konservativen spanischen Parteikollegen Mariano Rajoy nicht in die Parade fahren wollte. Man stelle sich vor, es wäre um eine Entscheidung über die Staatsfinanzen der linksgeführten Regierung in Griechenland gegangen! Auch Frankreich hat in den vergangenen Jahren wiederholt die EU-Defizitvorgaben gebrochen, allerdings dafür nie eine Sanktion erhalten.
Davon abgesehen, hat die EU-Kommission gedroht, Spanien und Portugal einen Teil der Strukturmittel für das Jahr 2017 einzufrieren – was nicht zuletzt soziale und auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtete Maßnahmen treffen würde. Auf der einen Seite als politisch motivierte »Milde«, auf der anderen Seite bleibt es bei der Drohung mit Kürzungen, die mit Sicherheit eines zur Folge haben dürften: weitere ökonomische Schwächung. Kanzlerin Angela Merkel sah sich bemüßigt, »kein Ende der Anwendung des Stabilitätspakts« darin zu sehen. Aber weil genau das niemand zugeben will, so kommentierte es der linke Europaabgeordnete Fabio De Masi, werde weiter das Damoklesschwert der Austeritätspolitik geschwungen.
Dass vom anderen Ende der politischen Skala nun genau das Gegenteil erklärt wird, verwundert nicht. In der »Frankfurter Allgemeinen« verstieg man sich zu der Frage, ob es nicht gerade der Verzicht auf Strafgelder sei, wegen dem das Vertrauen in die Europäische Union sinke. Dass das Verhältnis der Bürger in ein Regelwerk, dessen jahrelange Anwendung offenkundig nicht dazu geführt hat, Wohlstand und Wachstum zu mehren, stärker bestimmt sein soll als von den als Brüsseler Werk verstandenen Lohn- und Rentenkürzungen infolge eben dieser Abmachungen, scheint dem Blatt nicht in den Sinn zu kommen. Man hat die deutsch-orchestrierte Krisenpolitik in Europa ja schließlich auch vorher immer schon verteidigt.
Der Europakorrespondent Eric Bonse reagierte inzwischen mit Sarkasmus: »Um den deutschen Ordnungspolitikern Rechnung zu tragen«, schrieb er am Donnerstag, schlage er statt Sanktionen auf Etatdefizite »eine neue Strafe für geistige Defizite vor – für die Erfinder schwachsinniger Reformen«. Dieses Geld könnte dann den Ländern mit überschuldeten Haushalten zugutekommen. »Ist das nicht eine geniale Idee?«, fragt Bonse.
Sie erscheint einem zumindest nicht weniger absurd als ein nach politischen Vorlieben ausgerichtete Festhalten an einer Regelung, die schwerwiegende soziale und ökonomische Folgen hat. Nicht nur in Spanien und Portugal. Dort hat der Sparkurs nicht zur Verringerung der Staatsverschuldung beigetragen, sondern nur die wirtschaftlichen Probleme vertieft. Ein Ausweg wäre möglich – dazu bräuchte es öffentliche Investitionen, Umverteilung von Oben nach Unten und ein Ende des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der genau das nicht ist.
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