Wirtschaft
anders denken.

Geldpolitik in Zeiten des Krieges

20.10.2022

Inflationsgetriebene Finanzministerien und Zentralbanken brauchen eine engagierte und einfallsreiche Debatte der Geldpolitik. 

Krisen kosten Geld. Und an Krisen mangelt es unserer Gegenwart nicht: die ökonomischen Spätfolgen der keinesfalls überwundenen Covid-19-Pandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine, ihre militärische und finanzielle Unterstützung, Engpässe in der Gasversorgung, steigende Strompreise, überhaupt: Preisteuerungen und die sozialen Folgen, drohende Firmenpleiten angesichts unbeherrschbarer Kosten und schlechtem Konsumklima. Apropos Klima, die Prävention zukünftiger Krisen, die etwa durch lange Trockenperioden ausgelöst werden könnten, kostet leider auch Geld. Kurzum, es gibt einen Bedarf an großflächigen und koordinierten, also öffentlichen Investitionen.

In einer solchen Konstellation veröffentlicht Bundesfinanzminister Lindner einen Kommentar mit dem Titel: »Nie war die Schuldenbremse wichtiger«. Dort heißt es: »Die Schuldenbremse schafft Vertrauen darin, dass die Regierung gewissenhaft mit dem Geld umgeht, das ihr die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zur Verfügung stellen«. Das vertraute Argument des Ministers verkennt allerdings, dass das vom Fiskus eingesammelte Geld ursprünglich von einer staatlichen Institution hergestellt wurde: der Zentralbank. Man mag diese simple Feststellung unerhört finden, schließlich sind schon bloße Hinweise auf den öffentlichen Ursprung unserer Zahlungsmittel in den Bilanzen der Zentralbank lange tabuisiert worden. Das ändert allerdings nichts daran, dass der deutsche Finanzminister hier keineswegs einen simplen Tatbestand nennt, sondern genau genommen eine normative, das heißt: politische These vertritt. Wie das staatliche Geldschöpfungsprivileg hingegen in Krisenzeiten genutzt werden könnte, veranschaulicht die Geldpolitik der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg.

Im März 1942 versammelt sich der Finanzausschuss des Senats, um die »Öffentliche Schuldengrenze« zu diskutieren. Die Vereinigten Staaten sind zu diesem Zeitpunkt seit wenigen Monaten Kriegspartei. Hatte die US-amerikanische Rüstungsindustrie vor Pearl Harbor für das Lend-Lease-Programm und den Zweck der Kriegsvorbereitung produziert, so musste sie nun die eigenen Truppen für den Kampf ausstatten. Die Militärausgaben steigen rasant und stellen die Roosevelt-Regierung vor Zahlungsschwierigkeiten, schließlich hat sich die US-Regierung ihre Kreditaufnahme selbst erschwert: durch eine gesetzliche Schuldenbremse. Ihr Limit liegt im März 1942 bei 65 Milliarden US-Dollar. Krisenbewältigung und Schuldengrenze erweisen sich schnell als unvereinbar. Welche Aufgabe Priorität hat, steht im Kongress außer Frage: »Was immer es auch koste, wir müssen es zahlen, um diesen Krieg zu gewinnen«, stellte etwa Senator Vandenberg nüchtern fest. Die rechtliche Begrenzung der Verschuldungskapazität verliert angesichts der Krise an Autorität – wie folgende Passage aus dem Finanzausschuss verdeutlicht:  Senator Clark: »Herr Finanzminister, was nützt es überhaupt, eine Schuldengrenze zu haben?« Finanzminister Morgenthau: »Ich denke, es ist halt der rechtlich vorgesehene Weg.« Senator Clark: »Ich hatte immer große Ehrfurcht vor der Schuldengrenze, aber in den letzten Jahren haben wir sie immer dann geändert, wenn es notwendig war, mehr Geld bereitzustellen.« An dieser Stelle schaltet sich Senator Vandenberg ein: »Die Schuldengrenze bietet dem Kongress und dem Finanzminister die Gelegenheit für ein Rendezvous.« Daraufhin Finanzminister Morgenthau: »Es ist immer ein nützliches und angenehmes Rendezvous«. Die Schuldengrenze wird hier nicht nur hinsichtlich ihrer Funktionalität infrage gestellt, sondern durch die Antwort, sie böte vor allem die Gelegenheit für ein Rendezvous, ironisiert. Damit ist sie zudem als Schönwetterregel entlarvt, die im Ernstfall natürlich einer gesamtgesellschaftlichen ultima ratio geopfert werden kann. So verwundert es nicht, dass die Schuldengrenze in den Kriegsjahren periodisch verschoben und die Zahlungsfähigkeit der Regierung ausgeweitet wird. Der »Public Debt Act« von 1942 hebt die Schuldengrenze von 65 Milliarden auf 125 Milliarden US-Dollar. Auf ihn folgen der Public Debt Act von 1943, 1944 und 1945, die das erlaubte Schuldenvolumen zunächst auf 210, dann auf 260 und schließlich auf 300 Milliarden US-Dollar erhöhen.

Im Rückblick liegt es nahe, eine solche Ausweitung öffentlicher Zahlungsfähigkeit als historische Naivität abzutun. Doch die Geldpolitik jener Jahre ist raffinierter als es zunächst scheint. Eine erste und unvoreingenommene Rückfrage könnte lauten: Wer soll all die Schuldtitel der US-Regierung kaufen? Auch hierzu macht sich die Politik Gedanken: Die ausgeschriebene Zielgruppe des Finanzministeriums ist die eigene Bevölkerung. Ein umfangreiches Kriegsanleihen-Programm soll die Zahlungsversprechen der Regierung ganz bewusst in die Hände des Volkes legen. Die Kriegsanleihen unterscheiden sich dabei in ihrem Volumen und ihrer Laufzeit und adressieren so große und kleine Geldbeutel gleichermaßen. Doch auch wenn nach dem Krieg fast jeder Haushalt einen öffentlichen Schuldtitel erworben hat, wird ein Großteil der Staatsschulden von einem anderen Akteur gehalten. Denn im Gegenzug dafür, dass sich das Finanzministerium zur Verschuldung bei der eigenen Bevölkerung verpflichtet, garantiert die Federal Reserve günstige Verschuldungsbedingungen. Kein Geringerer als der Vorsitzende des Federal Reserve Board, Marriner Eccles, stellt seine Institution in den Dienst des Finanzministeriums und präsentiert dementsprechend eine eigene Definition von Zentralbankunabhängigkeit, die aus heutiger Sicht zwar kurios erscheinen mag, aber bedenkenswert ist: »Die Unabhängigkeit einer Zentralbank sollte darin bestehen, dass sie die Möglichkeit hat, ihre Ansichten im Zusammenhang mit der Festlegung der Politik zu äußern, und sie sollte, nachdem sie angehört wurde, nicht versuchen, ihren Willen durchzusetzen, sondern bei der Durchführung des mit der Regierung vereinbarten Programms mitarbeiten«. Konkret verspricht die Fed dem Finanzministerium, die Zinsen kurzfristiger Treasury-Bills auf 0,38 % und langfristiger Government-Bonds auf 2,5 % festzusetzen. Um ein solches Versprechen einzuhalten, kauft sie Schuldtitel zu den genannten Konditionen vom Markt oder erwirbt sie seit dem »Second War Powers Act« (1942) direkt von dem Finanzministerium. Das Geld, was die Fed für den Erwerb verwendet, hat sie vorher nicht erwirtschaftet, sondern durch Bilanzeinträge neu geschaffen. Sie kann deswegen praktisch immer anbieten, Schuldtitel zu einem bestimmten Preis zu kaufen und den Markt damit nachdrücklich beeinflussen. Der Wirtschaftshistoriker Hugh Rockoff schätzt, dass die Regierungsausgaben in den Vereinigten Staaten während des Krieges zu 26% durch Geldschöpfung finanziert werden.

An dieser Stelle folgt spätestens die zweite und skeptische Rückfrage: Heizt eine solche Geldpolitik nicht die Inflation an? Expansive Regierungsausgaben lassen doch immerhin die Nachfrage wachsen, während die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft das Angebot gar reduziert. Wer jedoch die Inflationsstatistiken während des Zweiten Weltkrieges konsultiert, wird feststellen, dass sich das Preisniveau ab 1942 stabilisiert und die jährliche Inflation für die verbleibenden Kriegsjahre auf ein niedriges Niveau gesenkt werden kann. Da die Militärausgaben als Notwendigkeit begriffen werden, greift die US-Regierung auf außergewöhnliche Mittel in der Inflationsbekämpfung zurück. Kurz gesagt: sie begreift die Inflation im Krisenfall als politische Steuerungsaufgabe. Erstens sollen die Kriegsanleihen in den Händen des Volkes nicht nur öffentliche Zahlungsfähigkeit herstellen, sondern der Bevölkerung Kaufkraft entziehen und ihr gleichzeitig eine Anlagemöglichkeit bieten. Als die Inflation davon unbeeindruckt zu steigen droht, installiert die Regierung zweitens eine Politik der Preiskontrollen. Spätestens mit der »General Maximum Price Regulation« (1942) werden die Preise vom Office of Price Administration gedeckelt. Rationierungen und Sanktionen von Verstößen ergänzen die staatliche Marktintervention. Hieran wird deutlich: Die Geldpolitik der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg erfordert ökonomische Opfer. Nur ist es eben bemerkenswert, wessen Opferbereitschaft eingeklagt wird. So sehen sich etwa Unternehmen, die vom Krieg außerordentlich profitieren, seit dem »Tax Revenue Act« (1942) mit einer Übergewinnsteuer in Höhe von 90% konfrontiert. Neben der Ausweitung öffentlicher Zahlungsfähigkeit, der Kooperation zwischen Finanzministerium und Fed komplementieren staatliche Markinterventionen die Trias einer außergewöhnlichen Geldpolitik während des Zweiten Weltkriegs. Nicht trotz, sondern aufgrund einer solchen Kriegsgeldpolitik wächst der Wohlstand der Vereinigten Staaten.

Zwei drohende Missverständnisse gilt es nun zu vermeiden: Zum einen erfolgte die Umsetzung einer solchen Geldpolitik keinesfalls reibungslos. Es gab politische Widerstände gegen die Maßnahmen und ihre ökonomischen Kosten. Ob letztere allerdings größer waren als ihre Alternative – ein Verzicht auf den politischen Einsatz der Geldschöpfung – ist mehr als zweifelhaft. Vor allem verdeutlicht uns das Beispiel der USA, wie Geldpolitik in Zeiten einer Krise aus seinem »technischen Schleier« gerissen und tatsächlich als politisches Thema verhandelt wurde. Fragen nach den Zwecken der Geldpolitik, der Ausgestaltung monetärer Institutionen und ihrer Aufgaben und die Verteilung geldpolitischer Kosten wurden auf legislativer und exekutiver Ebene diskutiert – und nicht an eine vermeintlich neutrale und unpolitische Organisation ausgelagert. Das historische Beispiel der Kriegsgeldpolitik lässt keinen Zweifel daran, dass »Geld«, wie es bei dem Politikwissenschaftler Jonathan Kirshner heißt, »immer politisch ist«.  Zum anderen lässt sich eine Geldpolitik, die vor 80 Jahren auf der anderen Seite des Atlantiks verwirklicht wurde, nicht einfach als Modell für unsere Gegenwart anwenden. Was das historische Beispiel jedoch vermag, ist das Feld des geldpolitisch Denkbaren zu erweitern. Damit ruft es in Zeiten von inflationsgebannten Finanzministerien und Zentralbanken auf der Suche nach ihrer institutionellen Identität zur engagierten und einfallsreichen Debatte der Geldpolitik auf.

Geschrieben von:

Florian Schmidt

Student

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