Wirtschaft
anders denken.

Geldpolitik ist Gesellschaftsgestaltung

15.10.2022
Ein Sicherungskasten mit vielen SchalternFoto: mostafa mahmoudi Geldpolitik sollte nicht nur der technokratische Sicherungskasten für die Wirtschaft sein.

Geldpolitik gehört zukünftig auf die Vorderbühne der Demokratie. Einleitung zum Thema »Geld« von OXI 10/22.

Die Verschwörung von Geld und Politik hat etwas Teuflisches an sich, davon wusste bereits Johann Wolfgang von Goethe zu berichten. Im Sequel zu Faust lässt er Mephisto einen Kaiser in finanzieller Not verführen, indem er ihn den Zauber des Papiergeldes lehrt. Begeistert von dem neuen Wissen beginnt der Herrscher, Zettel mit Ziffern zu bedrucken und sie als Zahlungsmittel unter sein Volk zu bringen. Anders als Münzen aus Edelmetall ist dieser Form der Finanzierung allerdings keine materielle Grenze gesetzt, so dass der Kaiser der Verlockung der Unendlichkeit erliegt und mehr und mehr Papiergeld bedrucken lässt, um seine auflaufenden Rechnungen zu begleichen und seine Untertanen zu beglücken.

Die Schwemme an Zahlungszetteln aber hat Folgen: Die Untertanen verlangen höhere Preise für ihre Dienste und Güter, da sie merken, wie zahlungsfähig ihr Oberhaupt ist. Der Kaiser muss nun noch mehr Papiergeld drucken und heizt damit eine inflationäre Spirale an. Ihm und seinen Untertanen zerrinnt die Kaufkraft zwischen den Fingern, gerade weil die Gelddruckerei auf Hochtouren läuft und es dadurch immer mehr und mehr Geld gibt. Mit dieser Pointierung kommt die mephistophelische Finanzberatung heute noch als Lehrerzählung zum Einsatz, um vor einer Teufelei zu warnen: der Unterordnung monetärer Belange unter das Primat der Politik.

Wer auf der Website der Europäischen Zentralbank nach einer Antwort auf die Frage sucht, warum diese so wichtige Institution den Wähler:innen der Euroländer nicht Rede und Antwort stehen muss, wird dort ein ähnliches Argument finden: Hätten Politiker:innen zu viel Einfluss auf die Geldpolitik, würden sie mit dieser Macht verantwortungslos umgehen und damit das Vermögen ihrer Bürger:innen durch Inflation verwässern. Besser also, man nimmt ihnen diese Macht weg. Dieses Misstrauen gegenüber einer Verschwörung von Geld und Politik beruht auf der Vorstellung, Geldpolitik im Sinne des Gemeinwohls sei eine fast schon technische und deswegen idealerweise unpolitisch umgesetzte Angelegenheit: Es geht schließlich nicht um das Begleichen hoheitlicher Rechnungen, sondern um die Sicherstellung eines stabilen Geldwertes zum Wohle aller.

Das Feld der Geldpolitik wird damit auf eine simple Sachfrage zusammendampft: Gelingt es, die Inflation so niedrig zu halten, dass fünf Euro im Portemonnaie auch morgen noch fünf Euro wert, private Vermögen also in ihrem Wert geschützt sind. Und diese Aufgabe vertrauen wir – das ist die Lehre von Goethe und der turbulenten Geschichte kriegsbedingter Druckerpressen im 20. Jahrhundert – am besten nicht den leichtfüßigen Volksvertreter:innen an, sondern einer unabhängigen Institution, die der technischen Logik verpflichtet ist. Die unabhängige Zentralbank soll durch die Sicherstellung von Preisstabilität private Vermögen bewahren – das ist das rechtlich manifestierte, gängige Bild von Geldpolitik.

Die so begründete Unabhängigkeit der Zentralbanken bildet die institutionelle Speerspitze einer weitreichenden Verdrängung des Geldes aus dem Reservoir demokratischer Willensbildung, die aus der Geldpolitik einen eng gefassten Verwaltungsakt werden ließ. In der Öffentlichkeit wird zwar häufig und kontrovers über die gerechte Verteilung von Geldvermögen und Einkommen gestritten, etwa dann, wenn es um Löhne, Steuern, wohlfahrtsstaatliche Vorsorge oder Zuschüsse in Notlagen geht. Seine Produktion aber, also zu welchen Konditionen und zu welchem Preis, in welchem Umfang und für wen und für was neues Geld zur Verfügung gestellt werden sollte, ist selten Thema in Talkshows, an Stammtischen oder in Familien-Whatsapp-Gruppen.

Das Problem: Genau diese ausgeblendeten Fragen sind ihrem Wesen nach politisch, bestimmen mit, wie sich unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft entwickeln, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir sowohl als Individuen als auch als demokratische Gemeinschaft haben, kurzum: was finanziell möglich und was unmöglich erscheint. All das ist (auch) Geldpolitik. Das Feld der Geldpolitik ist nicht nur wichtiger, sondern auch ausgreifender, vielschichtiger und konfliktreicher, als es die Verklärung zu einer technischen Frage für Finanzingenieur:innen auf der obersten Banketage vermittelt. Und das Politikfeld des Geldes ist in Bewegung – und mit ihm die Geldgesellschaft, in der wir alle leben. Immer wieder jedenfalls wird unsere Gegenwart als Beginn einer tektonischen Verschiebung gedeutet, in der das vertraute Geld des 20. Jahrhunderts – ungedeckte Fiat-Staatswährungen aus Banknoten und Bankkonten, international zunächst um das britische Pfund, dann um den US-Dollar kreisend – in seinen wohlverdienten Ruhestand tritt. Wenigstens fünf Hinsichten treten hier sofort ins Auge:

Erstens scheint der Ruhestand des alten Geldes nahe, weil selbstbewusste Konkurrenz auftritt; Fin-Tech-Start-ups wie Paypal, Mobilfunkanbieter wie Vodafone (mitverantwortlich für M-Pesa, ein mobiles Bezahlsystem mit mehr als 50 Millionen Nutzer:innen), Konzernkonglomerate wie die von Facebook angeführte Diem-Gruppe und zahllose regionale Initiativen fordern mit eigenen Zahlungsmitteln das (national-)staatliche Monopol heraus – und werden deswegen, wie in der Causa Zuckerberg, von den Institutionen des alten Geldes bekämpft. Hinzu kommen die nicht von einem oder mehreren Konzernen kontrollierten, sondern dezentral organisierten Kryptowährungen wie Bitcoin und ihre nahen Verwandten, die sogenannten »Stablecoins« (bei denen dann doch wieder einzelne Anbieter involviert sind). Sie alle scheinen die digitale Disruption von altbekanntem Bargeld und traditionellen Bankensystemen anzukündigen und inszenieren sich, in hyperliberaler Manier, als vaterlandsloses »Weltgeld«. Neben riskanten Anlagechancen versprechen die Kryptogelder inklusive Zahlungsmittel, die auch den Milliarden Menschen Teilhabe am Finanzsystem ermöglichen sollen, die kein Zugang zu einem Bankkonto haben. El Salvador (2021) und die Zentralafrikanische Republik (2022) haben medienwirksam Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt, mit bisher, freundlich gesagt, durchwachsenem Erfolg – schon aber mit der Absicht, sich auf dem US-dominierten Weltmarkt besser behaupten zu können. Sie bilden die Ausnahme: Nachdem Bit- und Stablecoins lange unter dem Radar flogen, haben sie inzwischen vielerorts nationalstaatliche Souveränitätsansprüche genug gereizt, um abwehrende Reaktionen zu provozieren. Wohin das führt, kann derzeit freilich niemand genau sagen, wohl aber, dass wir es hier mit Politik zu tun haben.

Zweitens befinden sich die traditionellen Geldinstitutionen auch von innen heraus im Wandel: Das Bargeld verliert offenbar nach und nach an Rückhalt und soll nicht zuletzt durch digitale Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies, CBDCs) ergänzt werden. Fast alle größeren Zentralbanken planen solche neuen Geldformen, einige haben mehr oder weniger fragwürdige Projekte bereits initiiert – hier sei etwa der ominöse »Petro« aus Venezuela zu nennen, aber auch der 2021 gestartete E-Yuan Chinas. Für den digitalen Euro ist ein Pilotprojekt geplant. Es scheint, als würden wir in Zukunft eine papierlose Bargeldalternative in kleinem Umfang zur Verfügung haben – so jedenfalls sehen die Pläne bisher aus. Aber genau hier liegt die Crux, könnten CBDCs doch so viel mehr sein als bloß virtuelle Bargeldergänzungen, eine neue Form der Staatsfinanzierung etwa oder ein Gegengewicht zur Macht des Bankensektors; jedenfalls sollte man aufmerken, wenn eine potenziell so weitreichende Gestaltungsentscheidung von einer formell unabhängigen Behörde und nicht von einem gewählten Parlament getroffen wird.

Drittens sehen viele Expert:innen in diesen virtuellen Bargeldalternativen (auch) geopolitische Manöver, die an westlich dominierten Zahlungsinfrastrukturen wie Swift vorbei auf die internationale Vorherrschaft des US-Dollars abzielen – ein monetäres Wettrüsten, das die globale Geografie des Geldes neu ordnen könnte. Die chinesische Digitalwährung könnte gerade in Kollaboration mit den als Neue Seidenstraße bezeichneten gewaltigen Investitionsprojekten in ausländische Infrastruktur zu einem begehrten Zahlungsmittel werden, so dass nicht mehr, wie derzeit, internationaler Handel (letztendlich) über New Yorker Banken abgewickelt werden müsste. Auf einer beständigen Nachfrage nach US-Dollars aber basieren nicht zuletzt die Stabilitätsmechaniken des globalen Geldsystems. Momentan scheinen die Finanzsanktionen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine den Trend zu einer stärkeren Regionalisierung der globalen Geldwirtschaft voranzutreiben, was zu einer Fragmentierung der Geldinfrastruktur des Weltmarkts führen könnte. Diese Entwicklungen könnten die wirtschaftspolitischen Spielräume vieler Länder, die Organisation von Wertschöpfungsketten und die Arbeit von Zentralbanken beeinflussen, was allein schon dagegen spricht, die Verfahren und Formen der Emittierung digitaler Zentralbankgelder als politisch randständig abzutun.

Viertens beschäftigt uns mit lebensweltlichem Nachdruck die Rückkehr der Inflation: Zentralbanken haben die Finanzmärkte seit der globalen Finanzkrise von 2008 mit Unmengen an günstigem Geld versorgt, um einen Kollaps des Systems zu verhindern (oder wenigstens zu verzögern). In der Eurozone dient diese expansive Geldpolitik außerdem dazu, die Zinsbelastungen der Mitgliedsländer auf ähnlichem Niveau zu halten (ökonomisch: das Fragmentierungsrisiko zu reduzieren) und damit wenigstens die monetären Spaltungskräfte der Union zu besänftigen. Diese »unkonventionellen« Maßnahmen wurden allerdings stets von Warnungen vor dem unbegrenzten »Gelddrucken« begleitet (Goethe lässt grüßen), obwohl vor 2021 eher Deflation – also sinkende Preise – als Inflation drohte. Mit den nun aber doch rasant steigenden Preisen wächst die Einsicht, dass die Zentralbanken die Stützung des Systems mit der Bekämpfung der Inflation vermitteln müssen – da hier keine einfachen Lösungen zu erwarten sind, werden Forderungen nach weiteren »unkonventionellen« Preispolitiken lauter, etwa die lange tabuisierten Preiskontrollen, wie der derzeit heiß diskutierte Gasdeckel. Kurzum: Das eingespielte monetäre Ordnungsmodell aus unabhängigen Zentralbanken, die Geld rationieren, und haushaltspolitisch zurückhaltenden Staaten, die sich in Austerität üben, scheint unter gewaltigem Reformdruck. Wir werden es hier mit politischen Spannungen zu tun haben, die durch (selektive) staatliche Sparsamkeit, ständig geforderte Lohnzurückhaltung (zur Drosselung der Preisanstiege) und steigende Energie- und Lebenshaltungskosten befeuert werden. Wie aber sollte ein neues monetäres Ordnungsmodell zwischen Preisdruck, finanzieller Instabilität und Eurozerfall vermitteln, was kann Geldpolitik hier leisten und was nicht – und welche Kosten sind wir bereit zu tragen?

Fünftens heizen insbesondere die zuletzt genannten Spannungen Kritik am Mandat und manchmal sogar an der Unabhängigkeit der Zentralbank und der in ihr verwirklichten Trennung von Geld- und Fiskalpolitik an. Einige wollen im Angesicht der klimabedingten Herausforderungen die Zentralbank mit einem grünen Mandat versehen, um die finanzielle Feuerkraft für eine Nachhaltigkeitstransformation zu nutzen. Im Angesicht der jahrzehntelangen unregulierten Geldschöpfung privater Banken, die vor allem zu Spekulationsblasen, aber kaum zu Wohlstandswachstum beigetragen hat, wollen andere die Geldschöpfungsmacht der Zentralbank wieder stärker unter fiskalische Hoheitsansprüche stellen. Zentralbanken sollen also in den Augen einiger Kritiker:innen wieder weniger »Banken der Banken« und mehr »Banken der Staaten« werden, um die offenkundig notwendigen fiskalischen Investitionen vom Druck einer Finanzierung über durch Steuern abgeschöpfte Marktgewinne zu befreien. Die Verschwörung der öffentlichen Hand mit den Magazinen der Geldschöpfung wird als politische Option sicher nicht weniger drängend, wenn sich die »multiplen Krisen« der Gegenwart weiter verdichten.

Diese hier bloß flüchtig skizzierte Landschaft möglicher politischer Zukünfte des Geldes – digitale Konkurrenz staatlicher Währungen und Zahlungsinfrastrukturen, die elektronischen Bargeldprojekte mit ihren geopolitischen Effekten, die Rückkehr der Inflation und die mit ihr überforderten Mandate der Zentralbanken und die Neuverhandlungen kollektiver Geldschöpfung in Zeiten klimatischer, sozialer und ökonomischer Notlagen – all das sind keine technischen Steuerungsfragen, die am Rande unserer politischen Aufmerksamkeit hinter verschlossenen Türen besprochen und entschieden werden dürfen. Geldpolitik ist mehr als die Leitzinsentscheidungen autarker Zentralbanken. Bei Geldpolitik geht es nicht nur darum, dass Zentralbanken individuelles Vermögen durch Preisstabilität bewahren. Es geht darum, wie wir alle und wie wir als politische Gemeinschaft in Zukunft zahlen werden, wofür gezahlt wird und was bezahlbar sein soll. Es geht darum, was Geld ist, sein wird und werden kann. Geldpolitik ist Gesellschaftsgestaltung. Deswegen gehört sie ganz nach vorne auf die Bühne der Demokratie.

Aaron Sahr hat den Schwerpunkt »Geld« von OXI 10/22 kuratiert. Zuletzt veröffentlichte er bei C.H. Beck das Buch »Die Monetäre Maschine« (2022). 

Geschrieben von:

Aaron Sahr

Wirtschaftssoziologe

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