Wirtschaft
anders denken.

Geschlechtsspezifische Lohnlücke besteht weiter

23.11.2023
Gender Pay GapCrreated by Melissa Schmitt from the Noun Project

Es reicht einfach nicht, wieder einmal lapidar eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie anzumahnen oder auf mehr qualifizierte Zuwanderung zu hoffen.

Die US-amerikanische Ökonomin Claudia Goldin erhielt in diesem Jahr für ihre langjährigen Forschungen zu Geschlechterdifferenzen am Arbeitsmarkt den Wirtschaftsnobelpreis. Ihren Arbeiten ist unter anderem zu verdanken, dass es inzwischen den Equal Pay Day gibt.

Dieser Aktionstag fiel 2023 in Deutschland auf den 7. März. Bis zu diesem Tag arbeiten Frauen – statistisch gesehen – umsonst, während Männer schon seit dem 1. Januar für ihre Erwerbsarbeit bezahlt werden. In Österreich rechnet man anders. Dort wurde der 31. Oktober 2023 als Equal Pay Day ausgewiesen. Das bedeutet: eine Frau arbeitet in Erwerbssektor durchschnittlich ab diesem Datum bis zum Jahresende gratis. Ob vom Anfang oder vom Ende des Jahres her gerechnet – es bestehen nach wie vor deutliche finanzielle Disparitäten zwischen den Geschlechtern. Die Lohnlücke beträgt in Österreich 15,5 Prozent, in Deutschland sogar 18 Prozent.
Gar nicht berücksichtigt ist dabei, dass Frauen außerdem den Löwenanteil der ihnen qua Geschlecht zugewiesenen Carearbeit weitestgehend unbezahlt übernehmen. Daraus ergeben sich hohe Zeitbindungen im Alltag, zumal es immer noch unfassbar große Lücken in der Infrastruktur der Kinderbetreuung, aber auch bei entlastenden und bezahlbaren Dienstleistungen im Alltag gibt. Vor allem deshalb suchen Frauen mit Sorgeverantwortung flexible Teilzeitjobs, möglichst am Wohnstandort, um ihre Wegezeiten gering zu halten und am Nachmittag für den Nachwuchs da zu sein. Das schränkt definitiv Karrierechancen ein, führt aber auch dazu, dass sie weniger Geld in ihre Altersvorsorge investieren (können).

Claudia Goldin und ihre Kolleginnen nennen das Motherhood penalty: Die »Mutterschaftsstrafe«. Diese steht im Gegensatz zur »Vaterschaftsprämie« (Fatherhood premium), der zufolge sich die Geburt eines Kindes positiv auf das Einkommen des Vaters auswirkt. Junge Väter leisten – vielen Studien zufolge – die meisten Überstunden und setzen ihre Karrierepläne uneingeschränkt fort. Den größten Gehaltsunterschied haben übrigens Frauen mit Hochschulabschluss – egal ob mit oder ohne Kind – gegenüber Männern mit Kindern.

Diese Lücke schließt sich auch später, wenn die Kinder groß sind, nicht mehr (Claudia Olivietti, Sari Pekkala Kerr, Claudia Goldin, When the kids grow up: Women’s employment and earnings across the family lifecycle. VOXEU Column vom 7.10.2022).

Doch nicht erst die Geburt eines Kindes hat nachteilige Folgen für das monatliche Bruttoeinkommen und in der Folge auch für das Lebenserwerbseinkommen von Frauen, so Goldin. Frauen werden von Arbeitgebern offensichtlich als potenzielle Mütter und damit als »unsichere Kandidatinnen« für berufliche Karrieren wahrgenommen: Sie gehen einfach davon aus, dass Frauen früher oder später Mütter werden, was zur signifikanten finanziellen Benachteiligung von Frauen führt. Das ist auch in Deutschland der Fall. Die Bertelsmann Stiftung hat 2020 eine Studie vorgelegt, die zeigt, dass Frauen ohne Kinder ein um 13 Prozent geringeres Lebenserwerbseinkommen erreichen wie die männliche Vergleichsgruppe (Timm Bönke et al.: Wer gewinnt? Wer verliert? Die Entwicklung und Prognose von Lebenserwerbseinkommen in Deutschland. Gütersloh).

Falsche Berufswahl?

Immer wieder wird auch die vermeintlich »falsche Berufswahl« von Frauen als Grund für ihre finanzielle Schlechterstellung beklagt. Damit wird ihnen letztlich persönlich die Schuld für geringe Einkommen zugeschoben. Sie würden leider schon als Mädchen für Berufe wie Erzieherin oder Krankenpflegerin begeistert statt für Männerberufe, heißt es.
Die strukturelle Schlechterstellung von dringend benötigten Care-Berufen für Wirtschaft und Gesellschaft erledigt sich mit der Wahl von Männerberufen jedoch keineswegs von selbst. Monika Köppl-Turyna, Direktorin des wirtschaftsnahen Forschungsinstituts Eco Austria, argumentiert vollkommen unlogisch, wenn sie einerseits den massiven Ausbau von Kinderbetreuung fordert, die Entscheidung für Careberufe, wie den einer Erzieherin, jedoch als nicht rational« bezeichnet (Zitiert nach: Karoline Heinemann, „Konservative Normen“ befördern Gehaltseinbußen von Frauen, profil.at vom 31.10.23).

Hier hilft wieder einmal der Blick nach Nordeuropa weiter.

Obwohl Island im Ländervergleich des Weltwirtschaftsforums 14 Jahre in Folge auf Platz 1 bei der Gleichstellung steht, wissen isländische Frauen nicht erst seit der #MeToo-Debatte am besten, dass sie davon weit entfernt sind: Jede Vierte wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer von sexualisierter Gewalt, meist in ihrer Partnerschaft oder in der Familie. Trotz Equal Pay Day, Lohntransparenz und Frauenquote werden sie systematisch schlechter bezahlt, am schlechtesten die eingewanderten Migrantinnen. Eine der Initiatorinnen des großen isländischen Frauenstreiks am 24. Oktober 2023, an der die Hälfte (!) der weiblichen Bevölkerung teilgenommen hat, betont zurecht, dass es nicht darum gehen könne, dass Frauen plötzlich nur noch Ingenieurinnen und Polizistinnen werden, damit sich das ändert. Vielmehr gelte es, die lebenswichtigen Frauenberufe im Care-Sektor endlich aufzuwerten und Fürsorgearbeit zwischen den Geschlechtern fair zu teilen (»Wenn hier das Frauenparadies ist, habe ich Angst, wie der Rest der Welt aussieht«. In: Der Spiegel, 26.10.23).

Und noch etwas gibt zu denken: Von den wenigen Frauen, die über einen IT-Hochschulabschluss verfügen, sich also bis dahin gegen gesellschaftliche Vorurteile durchgekämpft und ein Studium erfolgreich absolviert haben, verlassen europaweit neun von zehn Informatikerinnen die Branche im Laufe ihres Berufslebens wieder – und zwar für immer. Nur 20 Prozent der Frauen, die einen Abschluss im Bereich IT haben, arbeiten im Alter von 30 Jahren noch im erlernten Beruf, im Alter von 45 Jahren sind es nur noch neun Prozent (Netzwerk »Gender.Wissen.Informatik«).

Es reicht einfach nicht, wieder einmal lapidar eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie anzumahnen oder auf mehr qualifizierte Zuwanderung zu hoffen. Wer das Problem des Fachkräftemangels ursachengerecht angehen und Gleichstellung voranbringen will, muss toxische männliche Unternehmenskulturen und subtile Diskriminierungsstrukturen mit überlangen Arbeitszeiten konsequent auf den Prüfstand stellen.

Es ist der menschliche Normalfall, dass Frauen und Männer ihren ökonomischen Beitrag zum gemeinsamen Lebensunterhalt erbringen. Die Existenz als Hausfrau ist dagegen alles andere als die natürliche Bestimmung der Frau und der Müttermythos ein ideologisches Konstrukt, um Frauen klein zu halten und ihnen die unbezahlte Carearbeit auch weiterhin zuzuschieben.

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