Wirtschaft
anders denken.

Geplante Unterhaltsreform

29.10.2023
UnterhaltsreformFoto: Myléne auf Pixabay

Wenn Entlastungen der Unterhaltsreform für Väter zur Belastung für Mütter werden, ist dies eine Lösung nach patriarchalen Mustern.

Wer Care-Arbeit bei der Erziehung seiner Kinder leistet, soll finanzielle »Anreize« dafür erhalten. Was auf den ersten Blick wie eine Forderung der feministischen Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne der 70er Jahre erscheinen könnte, kommt im Jahr 2023 als Reformvorschlag des Unterhaltsrechts aus dem FDP-geführten Bundesjustizministerium. »Entlastet« werden sollen hierdurch allerdings nicht Frauen, die laut allen Zeitverwendungsstudien einen Großteil der unbezahlten Care-Arbeit leisten, sondern »mitbetreuende« Elternteile, im Kern also Männer. Eltern, ob »mitbetreuend« oder »hauptbetreuend«, zu entlasten, ist prinzipiell kein Anlass für Kritik. Das Problem besteht darin, dass die hier de facto Männer auf Kosten von Frauen »entlastet« werden sollen. Die ohnehin bestehenden patriarchalen Verhältnisse werden mit dieser Unterhaltsreform zusätzlich verstärkt. Überdies sollte in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden, wieso Männer eigentlich »Anreize« benötigen, um ihre eigenen Kinder zu betreuen.

Die bisherige Rechtslage

Nach einer Trennung der Eltern unterscheidet das bisherige Unterhaltsrecht zwischen dem Residenzmodell, in dem die Kinder vornehmlich von einem Elternteil betreut werden, und dem symmetrischen Wechselmodell, in dem die Betreuungszeit zu genau 50 Prozent zwischen den Eltern aufgeteilt ist. Bei Elternteilen mit gleichen Einkommen würde hier kein Unterhalt gezahlt. Im Residenzmodell spielt gegenwärtig die Anzahl der Betreuungstage durch den Elternteil, der die geringere Betreuungszeit erbringt, keine Rolle für die Bemessung des Unterhaltes. Ob ein Elternteil also einen oder 49 Prozent des Betreuungszeit übernimmt, wirkt sich nach derzeitigem Recht nicht auf dessen Unterhaltsverpflichtung aus. Der Unterhalt wird dann unter Berücksichtigung von Einkommen und Schulden auf Basis der Düsseldorfer Tabelle errechnet, wobei die Verpflichtung besteht, das eigene Einkommen möglichst zu optimieren.

Der Vorschlag aus dem Justizministerium

Den Status quo findet Bundesjustizminister Marco Buschmann »unfair«. Er wirke der gleichberechtigten Betreuung von gemeinsamen Kindern nach einer Trennung durch falsche »Anreize« entgegen. Sein Reformvorschlag möchte das sogenannte asymmetrische Wechselmodell als Kategorie im Unterhaltsrecht berücksichtigen. In Zukunft soll ein Modell mit einem Betreuungsanteil zwischen 30 und 49 Prozent der weniger betreuenden Elternteils als asymmetrisches Wechselmodell gelten. Betreut ein Elternteil zu weniger als 30 Prozent der Zeit die Kinder, wird das Modell weiterhin als Residenzmodell klassifiziert. Elternteile, die einen Großteil der Sorgearbeit und Betreuungszeit übernehmen, gelten damit in Zukunft nicht mehr als alleinerziehend, wenn der andere Elternteil mehr als 29 Prozent der Betreuungszeit übernimmt.

Im Fall des nun enger definierten Residenzmodells und des symmetrischen Wechselmodells soll sich nichts ändern. Das neu konstruierte asymmetrische Wechselmodell hingegen soll eine 15-prozentige Verringerung des zu zahlenden Unterhaltes im Vergleich zum Residenzmodell beinhalten. Damit solle, so das Ministerium, die Betreuungsleistung »beider Eltern angemessen berücksichtigt« werden.

Wer braucht finanzielle Anreize?

Buschmann spricht im Zuge seiner Öffentlichkeitsarbeit von »Anreizen« für die Betreuung der eigenen Kinder. Was klingt wie eine ironische Verkehrung der feministischen Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne, zielt in Wirklichkeit auf etwas anderes ab. Der Begriff des Anreizes impliziert nicht die Deckung der direkten und indirekten Kosten von Care-Arbeit, sondern die Idee, dass Eltern erst ökonomisch zur Sorge für ihre Kinder motiviert werden müssten. Während der deutsche Staat unterstellt, dass Frauen intrinsisch zu derartiger Arbeit motiviert seien, wird für Männer (denn, let‘s face it: Nichts anderes soll der Begriff »mitbetreuender Elternteil« im Slang des Ministeriums bedeuten) angenommen, dass diese erst dann Verantwortung übernähmen, wenn ein Anreiz vorläge. Diese Annahme ist nicht einmal unrealistisch. Schließlich unterliegen Männer im Patriarchat keiner ökonomischen Abhängigkeit, die sie dazu zwingt, unbezahlte Care-Arbeit zu übernehmen, um ökonomisch abgesichert und sozial anerkannt zu sein. Ob sie Sorgetätigkeiten ausführen oder nicht, bleibt für sie eine Frage der Freiwilligkeit und kann somit durchaus an Anreize geknüpft sein.

Verschwiegen wird bei diesem Verweis auf Anreize, dass das Aufziehen von Kindern in der BRD den ökonomischen Interessen der Eltern, vor allem der Mütter, zuwiderläuft. Die Opportunitätskosten unbezahlter Sorgearbeit in Kombination mit den hohen Lebenshaltungskosten für Kinder werden zum großen Teil den Privathaushalten überlassen, während der ökonomische Output von erwachsenen Kindern nicht mehr wie in vorkapitalistischen Zeiten deren Eltern zugutekommt. Das Produkt ihrer Arbeitskraft wird in Form von Arbeitslohn an die erwachsenen Kinder selbst, in Form von Profit an die Kapitalist:innen und in Form von Rentenversicherungsbeiträgen an die vorhergehende Generation, ungeachtet der individuell von ihnen aufgezogenen Kinder, verteilt. Die Annahme der klassischen Ökonomen des 19. Jahrhunderts, dass steigende Reallöhne zu steigenden Fertilitätsraten führen würden, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar. Die Ökonomin Nancy Folbre erläuterte im Jahr 1983, dass entwickelte kapitalistische Ökonomien in der Regel negative Anreize für das Bekommen und das Aufziehen von Kindern bereitstellen. Kanzler Konrad Adenauer verließ sich angesichts damals noch stabilerer patriarchaler Familienverhältnisse darauf, dass diese negativen Anreizstrukturen schon keine reale Auswirkung haben würden: »Kinder kriegen die Leute immer«, soll er Wirtschaftsminister Erhard entgegengehalten haben, als dieser Bedenken gegen die Umlagefinanzierung der Renten äußerte. Die tendenzielle Invertierung der demografischen Pyramiden westlicher Industrienationen bezeugt, wie schlecht Adenauers Satz gealtert ist.

Dieser Tendenz wird Buschmanns Anreiz für »mitbetreuende Elternteile« nicht entgegenwirken. Die einzige Steuerungswirkung, die zu erwarten ist, wird die zunehmende Weigerung von Männern sein, Sorgeverantwortung zu übernehmen, wenn ihnen hierfür kein Anreiz geboten wird. Für Frauen hingegen bleibt das Bekommen von Kindern unter kapitalistisch-patriarchalen Verhältnissen definitiv ein Minusgeschäft.

Zeitinput und Care-Output

Erschwerend kommt ein weiterer Punkt hinzu, der Buschmann entweder nicht bekannt oder gleichgültig ist. Selbst wenn die in Aussicht gestellte Anreizwirkung einen Effekt zeigt, muss dieser nicht in einer Erhöhung der tatsächlich geleisteten Care-Arbeit seitens der Männer bestehen. Um einen solchen Effekt zu erzielen, müsste die Annahme zutreffend sein, dass eine Erhöhung der Betreuungszeit mit einer Vermehrung der geleisteten Sorgetätigkeiten einhergeht. Der Zeitinput für einen Arbeitsprozess korreliert allerdings nur dann mit der Erhöhung von dessen Output, wenn die Arbeitsintensität konstant bleibt. Davon kann unter den gegebenen patriarchalen Bedingungen keinesfalls ausgegangen werden. Stellen wir uns einen Mann vor, der sich seit Geburt des Kindes nicht um Arzttermine, Bekleidung und Elternarbeit in KiTa und Schule gekümmert hat. Wenn dieser das Kind nun zu 30 statt 20 Prozent der Zeit betreut, ist nicht davon auszugehen, dass er nun auch 30 Prozent dieser Aufgaben erledigt.

Einer der konkreten Mechanismen, die zur Auflastung der Sorgearbeit an Frauen führen, ist die sogenannte »weaponized incompetence«. Männer nutzen bewusst und unbewusst tatsächliche oder empfundene Inkompetenz bei Sorgetätigkeiten, um deren Erledigung durch Frauen effizienter erscheinen zu lassen. Damit entledigen sie sich lästiger Pflichten, ohne dies als patriarchale Verteilung unbezahlter Arbeit transparent machen zu müssen. Neben der Arbeitszeit, die für die Ausführung der verschiedenen Sorgetätigkeiten anfällt, erzeugt deren Organisation und Koordination zusätzlich einen »mental load«. Die mentale Belastung, alle Tätigkeiten im Blick halten zu müssen, kann sich für Frauen sogar erhöhen, wenn Männer zusätzliche Sorgetätigkeiten übernehmen. Nämlich dann, wenn diese Tätigkeiten fehlerhaft oder unsorgfältig ausgeführt werden und die mit der Arbeitsteilung notwendige Kommunikationsarbeit den Frauen überlassen wird. Auf diese Weise bleibt auch in Abwesenheit des Kindes im Haushalt der Frau Sorgearbeit bei ihr.

Verbleibt man in der ökonomischen Anreizlogik des Justizministeriums, wäre es nun im Interesse der Männer, ihre Betreuungszeiten zu erhöhen, dabei aber möglichst viele Sorgetätigkeiten und den »mental load« bei den Frauen zu lassen. Hierfür werden schließlich keine Anreize gesetzt. Die praktische Folge dieser Unterhaltsreform wird eine erhöhte Zahl von Klagen vor Familiengerichten sein, mit denen Männer ein asymmetrisches Wechselmodell erzwingen wollen. Der Blick wird hierbei weg von der materiell geleisteten Sorgearbeit und damit auch weg vom Kindeswohl gelenkt.

Schwächung des Gewaltschutzes und Väterrechte-Spin

Die angestrebte Unterhaltsreform wird die Lage der Frauen noch an einer weiteren Front verschlechtern. Wenn jetzt vermehrt Männer aus ökonomischen Motiven vor Gericht ziehen, um ihren Betreuungsanteil auf 30 Prozent zu erhöhen, werden auch vermehrt gewalttätige Väter höhere Betreuungszeiten erreichen. Der Gewaltschutz vor deutschen Familiengerichten ist, wie journalistische Recherchen zeigen, bereits jetzt nicht wirklich existent. Dies gilt jedenfalls, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind. Im Gegenteil muss eher davon ausgegangen werden, dass Familiengerichte regelmäßig die Position gewalttätiger Männer gegenüber Müttern stärken. Der Reformvorschlag eröffnet außerdem ein weiteres Einfallstor für finanzielle Gewalt. Im Wechselmodell müssen, anders als im Residenzmodell, Mütter ihre Gehaltsbelege offenlegen, um den Unterhalt berechnen zu können. Damit erhalten gewalttätige Ex-Partner Zugang zu wichtigen und privaten Informationen, die ihnen eine fortgesetzte Kontrolle ihrer Ex-Partnerinnen nach der Trennung ermöglichen können. Frauen mit gewalttätigen Ex-Partnern fordern deshalb in vielen Fällen gar nicht erst den ihnen zustehenden Unterhalt ein, wenn das Wechselmodell gerichtlich verordnet wurde. Die Gewaltproblematik wird mutmaßlich jedoch kein Argument für das Justizministerium sein, die Reform des Unterhaltsrechts zu überdenken. Schließlich haben Journalist_innen von correctiv gezeigt, dass die »Männerrechtler« bei Justizminister Buschmann gern gesehene Gäste sind. Der väterrechtliche Spin des Ampel-Koalitionsvertrages, der das Wechselmodell in Familienberatung priorisieren möchte, ohne dabei konkrete Maßnahmen zur Umverteilung von Sorgearbeit von Kindesgeburt an einzuplanen, wird vor diesem Hintergrund offenkundig.

Das reale ökonomische Problem

Bei all dem sollte nicht vergessen werden, dass dem Thema Unterhalt ein reales ökonomisches Problem zugrunde liegt. Kinder sind für viele Eltern in Deutschland zu teuer. Vor allem Trennungsfamilien, die sich die Betreuung teilen möchten, haben oft hohe Kosten für das Anmieten von zusätzlichem Wohnraum zu stemmen. In vielen Fällen kommen Fahrtkosten erschwerend hinzu. Viele Männer, die den Mindestlohn verdienen, sind tatsächlich finanziell nicht in der Lage, ihren Unterhaltspflichten nachzukommen. Männer, die ihrer Verantwortung in Bezug auf Unterhalt und Betreuungszeit für ihre Kinder nachkommen möchten, sind entsprechend oft hohen ökonomischen Belastungen ausgesetzt. Es wäre politisch begrüßenswert, für deren ökonomische Besserstellung ebenso zu kämpfen wie für die Abschaffung der Armutsrisiken für Frauen, die durch das Patriarchat geschaffen werden. Beides ist allerdings gleichzeitig nur dann zu erreichen, wenn Männer nicht auf Kosten von Frauen entlastet werden, indem der zu zahlende Unterhalt einfach gesenkt wird.

Die soziale Frage feministisch beantworten
Wenn der gesamtökonomische Output von Kindern die Finanzierung der Renten ist, stellt sich die Frage, auf wessen Kosten der notwendige Input bereitgestellt wird. Unter kapitalistisch-patriarchalen Verhältnissen sind Frauen diejenigen, die diese Kosten größtenteils tragen. Der »Anreiz«, der Frauen geboten wird, um Kinder zu bekommen, ist hier kein monetärer. Es ist letztlich die Abhängigkeit von Männern, die durch die geschlechtliche Lohnlücke nach wie vor aufrechterhalten wird. Wenn Sorgearbeit nicht durch Abhängigkeit, sondern durch den Eigenantrieb der Individuen motiviert sein soll, müsste dies mit Reduktion von Arbeitszeiten, höheren Einkommen und Ausbau von öffentlichen Institutionen einhergehen. Das wäre die Alternative zu Buschmanns Unterhaltsreform. Lohnerhöhungen und zusätzliche Bereitstellung öffentlicher Gelder würden letztlich auf Kosten der Profitrate gehen. Wer die soziale Frage nicht mit patriarchalen Mechanismen lösen möchte, muss für Umverteilung kämpfen. Feminismus und Arbeiter:innenkämpfe haben viel zu gewinnen, wenn sie in der Frage der Sorgearbeit zusammen kämpfen.

Geschrieben von:

Sarah Wichmann

Sarah Wichmann ist Juristin und hat als Familienrechtsanwältin gearbeitet.

Kristofer-Daniel Pitz

Kristofer Pitz promoviert zur Modellierung patriarchaler Ausbeutungsverhältnisse in der kapitalistischen...

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