Wirtschaft
anders denken.

Ein, zwei, viele Blickwinkel: Über Gerechtigkeit

09.09.2017
Bild: Albert Anker, gemeinfreiWer hat sie denn eingebrockt, "die Armensuppe"?

Aus dem Wahlkampf ist das Schlagwort »Gerechtigkeit« gar nicht wegzudenken. Aber wohin läuft die Debatte? Vier Lektüretipps zu Ungleichheit, Eigentumsfrage und einem Gerechtigkeitsbegriff, der Herrschaft legitimieren kann – oder nach radikaler Veränderung ruft.

Aus dem Wahlkampf ist das Schlagwort »Gerechtigkeit« gar nicht wegzudenken. Das ist einerseits gut, weil die Debatte über Ungleichheit, Armutsgefährdung und Reichtumsverteilung heuer breiter geführt wird als etwa zu Agenda-Zeiten. Andererseits taugt der Appell zu mehr Gerechtigkeit dann auch öfter als Motto für eine Politik, die an grundlegenden Problemen gar nichts ändern will. Oder es ist umstritten, wie groß das Maß der Ungleichheit ist und was die Leute so wahrnehmen. Fünf Lektüretipps zu einem Thema, bei dem es nicht nur darauf ankommt, dass darüber gesprochen wird – sondern auch: wie.

»Empirische Befunde legen nahe, dass eine hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit die Chancengleichheit einschränkt und damit leistungsfeindlich ist«, schreiben die Schweizer Ökonomen Volker Grossmann und Guy Kirsch in der »Süddeutschen«. Durch die in Zukunft anfallenden enormen Erbschaften werde »sich die Gesellschaft weiter spalten«. Den Autoren geht es schon um »Leistung«, es geht ihnen ebenso um die Sorge, dass Ungleichheit zu sozialer Unruhe führen könnte. Sie machen aber auch bei einer Kernfrage einen Punkt: »Umso erstaunlicher ist es, dass viele Menschen in Medien und Politik, die sich als Liberale verstehen, darin kein Problem sehen und, statt als Anwälte für die Entfaltung der Einzelnen aufzutreten, mit Verweis auf Eigentumsrechte die Partikularinteressen Vermögender schützen.«

In der »Zeit« hatte Jutta Allmendinger das zuvor auch schon aufgegriffen – in einer Wahlkampf-Kolumne. »Die viel zu hohe Spannbreite in der Verteilung der Einkommen«, so die Präsidentin des Wissen­schafts­zentrums Berlin für Sozial­forschung, werde »kaum thematisiert. Stattdessen begnügen sich die Parteien mit Konzepten zur sozialen Absicherung der Menschen nach unten. Das ist wichtig, ohne Frage. Grundlegende Verteilungsfragen aber löst das nicht.« Allmendinger verweist dazu auf Ergebnisse einer Studie, laut der die Bundesbürger »prinzipiell kein Problem mit Ungleichheit« haben: »Wer mehr leistet, da sind sich die allermeisten einig, soll auch mehr haben.« Diese Sichtweise bezeichnet man als Ergebnisgerechtigkeit. Ihre »Schwäche ist, dass es die Voraussetzungen nicht einbezieht, unter denen jemand überhaupt erst etwas leisten kann«. Das wiederum hat etwas mit den materiellen Voraussetzungen zu tun – und also mit der immer weiter klaffenden Lücke in der Einkommensverteilung. Etwas dagegen zu tun, wirft dann das Problem der »grundlegenden Verteilungsfragen« auf, das Allmendinger anspricht. Es geht unter dem Strich um Eingriff in Eigentumsrechte.

An dieser Stelle ein Blick ins Archiv – in eine Ausgabe von »analyse & kritik« aus dem Jahr 2013. Auch damals war im Wahlkampf von Gerechtigkeit die Rede. Anna Blume und Nick Sinakusch nahmen sich die Debatte vor und kamen zu einer ziemlich deutlichen Kritik: »Der Diskursstar Chancengerechtigkeit legitimiert jede Ungleichheit.« Die Gerechtigkeit sei »da angekommen, wo die Herrschaft sie haben will. Erstens wird sie auf Abstand gebracht von der Idee der Gleichheit und aufgefächert in viele Einzelgerechtigkeiten, von der Anforderungs- über die Verteilungs- zur Generationen- und Chancengerechtigkeit. Zweitens wird klargestellt: Chancengerechtigkeit hat Vorfahrt. Und hier gilt: mehr Wirtschaftswachstum gleich mehr Chancen«, so damals »analyse & kritik«. Dass »immer mehr Ungleichheit entsteht«, gelte den meisten »als unvermeidbar (weil die Wirtschaft nun mal so ist) und zweitens als nützlich (Ungleichheit motiviert zum Aufstieg und zur Leistung).« Die Wirtschaft und wie sie funktioniere, bleibe »bei alledem unbehelligt.«

Das bringt uns zu Karl Marx und zu der Frage, ob sich in dessen Werk eine Theorie der Gerechtigkeit finden lässt? Der Philosoph Michael Quante hat dazu im »nd« ausführliche Gedanken angestellt: »Marx hat sich stets geweigert, den Kapitalismus moralisch zu kritisieren. Er hielt dies politisch für wirkungslos und die Grundlagen der modernen Moral für einen bloßen Ausdruck der entfremdeten kapitalistischen Gesellschaftsform«, schreibt er. Die Integration einer Gerechtigkeitstheorie in das Denken des Alten aus Trier sei aber sehr wohl möglich – sie »erfordert allerdings Revisionen der Marxschen Theorie. Deren ethischen Gehalt lässt sich als Anerkennungstheorie entfalten. Gerechtigkeitstheoretische Aspekte müssen wir dabei ohne seine Hilfe integrieren. Es kommt also darauf an, Marx nicht nur zu interpretieren«, so Quante.

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