Wirtschaft
anders denken.

Gesellschaftskritik nach Marx, Corbynomics, Weltwirtschaft: Neue Zeitschriften im OXI-Überblick

29.11.2017

Die »Prokla« blickt auf Gesellschaftskritik und 150 Jahre Kritik der politischen Ökonomie, die Zeitschrift »Z« fragt nach dem Zustand der Weltwirtschaft und die »Sozialismus« wirft unter anderem einen Blick auf »Corbynomics vor dem Härtetest«. Neue Zeitschriften im OXI-Überblick.

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen steht nicht zuletzt die Frage nach der Zukunft der politischen Linken im Raum – aktuell geht es vor allem um die Strategie einer Sozialdemokratie. Dabei wird hierzulande immer einmal wieder auf Jeremy Corbyn in Großbritannien angesprochen. Hinrich Kuhls nimmt sich in der Dezember-Ausgabe von »Sozialismus« Labours Wirtschafts- und Sozialpolitik vor – und beginnt »Corbynomics vor dem Härtetest« mit einer kleinen Skizze über die verschiedenen Echos auf Corbyn hierzulande.

»In der politischen Linken hierzulande sind drei Positionen zur programmatischen Erneuerung der Labour Party festzustellen. Erstens die Nichtbeachtung, wie etwa bei Thomas Oppermann zu seiner Zeit als SPD-Fraktionsvorsitzender, als er denselben parlamentarischen Status innehatte wie Corbyn. Zweitens die Behauptung der Irrelevanz: Der transformative und mobilisierende Gehalt des Programms wird zwar von Henning Meyer, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, betont, aber »Positionen wie Steuergerechtigkeit, bezahlbares Wohnen oder mehr freie Kinderbetreuung werden von der SPD längst vertreten«. Daher gelte: »Bitte nicht zu viel von Labour lernen«. Drittens Enthusiasmus: Wie bei Sanders in den USA stehe Corbyns Programmatik für eine echte soziale Alternative zum neoliberalen Mainstream – so einträchtig die Auffassung aller Strömungen der LINKEN auf ihrem diesjährigen Bundesparteitag, um sogleich daraus unterschiedliche Schlüsse für Kooperationsmöglichkeiten mit der Sozialdemokratie zu ziehen. Die abgrenzende Variante darunter lautet: »Die Sozialdemokratie kann offenbar nur mit einem sozialdemokratischen Programm und glaubwürdigen Personal Wahlen gewinnen.«

Die Frage, was ein »sozialdemokratisches Programm« auf der Höhe der Zeit und auf einem belastbaren Fundament ökonomischer Analyse sein könnte, steht im Zentrum des Beitrags von Kuhls. Er schreitet ausführlich die programmatischen Vorschläge ab, nimmt die aktuelle Wirtschaftslage, die langfristigen Aussichten und die Folgen des Brexits in den Blick – und kommt zu dem Schluss: »Mit dem Entwurf einer Wirtschafts- und Sozialpolitik für die Vielen, nicht für die Wenigen, hat die Labour Party als Regierungspartei im Wartestand einen flexiblen Kompass in der Hand, um eine Richtungsänderung der gesellschaftlichen Entwicklung einzuleiten. Die Maßnahmen zur Überwindung der Austerität sind verbunden mit dem Vorschlag für eine Neustrukturierung der gesellschaftlichen Betriebsweise, wodurch eine Transformationsperspektive eröffnet wird.« Und weiter: »Mit den Corbynomics wird kein Weg in eine sozialistische Marktwirtschaft skizziert. Aber gerade das macht sie für breite Gesellschaftsschichten anschlussfähig. Angesichts der sich abzeichnenden Krise der wirtschaftlichen Entwicklung und der Verwerfungen aufgrund des Brexit wird der Härtetest auf die Corbynomics vermutlich früh zukommen. Ob sie ihn besteht, hängt wie bei Griechenland und Portugal, wo die Regierungen einen sozialistisch inspirierten Pfad entgegen auferlegter Austerität und entgegen dem Vormarsch des Rechtspopulismus in Europa verteidigen, auch von der internationalen Solidarität der gesellschaftlichen Linken und der Progressiven Allianz politischer Kräfte in anderen Ländern ab.«

Dominant scheint derzeit freilich die andere politische Laufrichtung. Die »Zeitschrift für marxistische Erneuerung« befasst sich in ihrer Dezember-Ausgabe unter anderem mit dem Rechtstrend in Europa und seinen klassenpolitischen Ursachen sowie in zwei Beiträgen mit dem Thema Prostitution/Sexarbeit. Ein kleiner Schwerpunkt ist zudem der Weltwirtschaft und den G20 gewidmet. »Die Weltwirtschaft blickt auf eine seit 2010 anhaltende konjunkturelle Aufwärtsbewegung zurück, die sich wohl auch im kommenden Jahr fortsetzen wird«, heißt es im Editorial. Doch der Aufschwung ist prekär, Jörg Goldberg skizziert »drei Unsicherheitsmomente: In den entwickelten Ländern stagnieren die Investitionen trotz (oder wegen?) der Digitalisierung. Die Expansion der Schwellenländer setzt sich fort, Ungleichgewichte verweisen auf eine zunehmende Fragilität des Aufstiegsprozesses. Auf den boomenden Finanzmärkten wächst die Angst vor den Folgen des möglichen Abschieds der Notenbanken von der expansiven Geldpolitik.«

Darüber hinaus geht es um den Aufstieg wichtiger Schwellenländer, von dem hier angenommen wird, dass er »auch die bislang von den USA und vom Westen dominierte Weltwirtschaftsordnung in Frage« stellt. Allerdings kommt Andrés Musacchio am Beispiel der G20 zu dem Schluss, »dass bislang weder die Krise des Neoliberalismus noch das Auftreten neuer Akteure die alten Strukturen und deren Politik grundlegend verändert haben. Angesichts von Krisen in einigen Schwellenländern (Brasilien, Russland) und dem politischen Richtungswechsel in Teilen Lateinamerikas erscheinen die Chancen für eine neue, multilaterale Weltwirtschaftsordnung eher gering.« Indes: »China mit seiner überragenden Wirtschaftskraft könne sich auch in der alten, neoliberal und westlich geprägten Ordnung durchsetzen.«

Das aktuelle Heft der »Prokla« liegt schon etwas länger vor – es widmet sich Fragen der »Gesellschaftskritik« und kommt auf ein Must have linker Publizistik im Jubiläumszyklus zu sprechen: 150 Jahre Kritik der politischen Ökonomie. »Das Kapital«, schreibt die Redaktion um Ingo Stützle in ihrem Editorial, sei »noch immer eine Herausforderung«. Erst seit wenigen Jahren seien »alle Manuskripte, die dem Kapital zugrunde liegen« in der MEGA zugänglich, das hat einerseits die »Bedingungen für eine textkritische Lektüre« verbessert, andererseits findet diese in einem Umfeld zahlreicher »Interpretationen« statt: »Jede Lektüre ist durch Traditionen vorgeprägt, deren Linien kaum mehr sichtbar oder gar bekannt sind.«

Hier setzen Michael Heinrichs Überlegungen zu den Bedingungen der paradoxen Rezeption des Kapital an; es geht darin unter anderem um »einige stereotype Beispiele einer zeitgenössischen Marx-Kritik«. Da »Das Kapital« unvollendet blieb, fragt Heinrich auch danach, »was wir von den kommenden Publikationen in der immer noch unabgeschlossenen MEGA erwarten können«. Lukas Egger befasst sich in einem weiteren Beitrag mit Louis Althussers Kritik an der Marxschen Werttheorie, Hans-Peter Büttner stellt mit Blick auf das Marxsche »Transformationsproblem« die im angelsächischen Raum diskutierte und hierzulande kaum bekannte »Temporal Single-System Interpretation« (TSSI) vor.

Die Verbindung von Marx zu heutiger Gesellschaftskritik ist im Jubiläumszyklus »150 Jahre Kapital/200 Jahre Marx« Gegenstand vieler Beiträge, im »Prokla«-Schwerpunkt zur Gesellschaftskritik führt sie auf die Spur einer neuen Konjunktur der Soziologie. Das Heft widmet sich in mehreren Beiträgen denn auch »der Frage, ob die neueren Debatten über sozialwissenschaftliche Kritik in der gegenwärtigen Situation veränderte Bedeutung erhalten. Ausgangspunkt hierfür ist zunächst eine doppelte Wahrnehmung: Zum einen, dass es in Teilen des akademischen Diskurses – nachdem Gesellschaftskritik der etablierten Soziologie jahrelang als anrüchige Tätigkeit galt – zu einer erfreulichen Wiederkehr der Gesellschaftskritik gekommen ist; zum anderen jedoch die entsprechenden Debatten häufig merkwürdig formal und abstrakt bleiben.«

Geschrieben von:

Svenja Glaser

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