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anders denken.

Gewerkschaft will »Druck aufbauen«: OXI-Überblick zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst

27.02.2018
Bernd Schwabe in Hannover ,Lizenz: CC BY-SA 4.0

Im öffentlichen Dienst stehen Warnstreiks vor Ostern an. Die Gewerkschaften wollen damit in der laufenden Tarifrunde Druck für ihre Forderungen machen, die Vertreter von Bund und Kommunen lehnen ab: »Sechs Prozent ist viel zu viel.« Der Überblick nach der ersten Verhandlungsrunde.

Die erste Verhandlungsrunde für die rund 2,3 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen ist am Montag ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Das ist sicher keine Überraschung, die Konfliktlage in dieser Tarifrunde ist allerdings geprägt von guten Einnahmen der öffentlichen Kassen und der noch laufenden Regierungsbildung in Berlin. Das Treffen sei »von den Tarifvertragsparteien dazu genutzt worden, die wechselseitigen Positionen vertiefend zu erörtern. Momentan liegen beide Parteien noch weit auseinander«, heißt es bei den kommunalen Arbeitgeberverbänden VKA. Der Chef der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, wies darauf hin, dass sich die Tarifparteien nicht angenähert hätten. »Bund und Kommunen profitieren stark vom Konjunkturboom, die Steuereinnahmen sprudeln, es ist also reichlich Geld vorhanden, um die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes angemessen für ihre gute Arbeit zu bezahlen«, sagte Bsirske.

Was fordern die Gewerkschaften?

Im Zentrum der Forderungen stehen sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt, mindestens aber 200 Euro pro Monat. Gleichzeitig sollen die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte um 100 Euro pro Monat angehoben werden. Die Vorschrift, Auszubildende nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung zu übernehmen, wollen die Gewerkschaften wieder in Kraft setzen. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll zwölf Monate betragen. Wie üblich soll der Bund das Ergebnis »zeit- und wirkungsgleich« auf die 344.000 Beamten, Richter, Soldaten sowie auf Versorgungsempfänger übertragen.

Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW, die unter anderem über die tarifliche Eingruppierung kommunaler angestellter Lehrkräfte verhandeln möchte, heißt es: »Die Einkommen der Beschäftigten müssen mit den steigenden Lebenshaltungskosten und der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten. Deshalb ist jetzt ein kräftiger Schub bei der Steigerung der Reallöhne notwendig. Die öffentliche Hand hat im vergangenen Jahr einen Rekordüberschuss von 38,4 Milliarden Euro eingefahren. Dafür haben die Beschäftigten mit ihrer Arbeit die Voraussetzungen geschaffen, jetzt müssen sie an dieser Entwicklung beteiligt werden«, so GEW-Verhandlungsführer Daniel Merbitz. Einen leistungsstarken öffentlichen Dienst könne es nur mit erheblichem Personalzuwachs geben, bekräftigte Merbitz. Dies sei durch mehrere Studien wie auch im Koalitionsvertrag einer möglichen Großen Koalition bestätigt worden. »Um junge Menschen für den öffentlichen Dienst zu gewinnen, muss aber auch die Bezahlung stimmen.«

Ein Punkt ist zudem die schlechtere Bezahlung der Beschäftigten im Tarifgebiet Ost – damit wollen die Gewerkschaften auch Schluss machen. Die Kommunen zahlen im Tarifgebiet Ost nur 75 Prozent des Jahressonderzahlung West. Auch dazu zeigen sich die kommunalen Arbeitgeber und der Bund offenbar nicht bereit. »Es ist schon eine Flucht aus der Wirklichkeit, wenn die öffentlichen Arbeitgeber der Kommunen fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit noch immer nicht verstanden haben, dass es gleiche Lebensverhältnisse nur geben kann, wenn die Menschen in den östlichen Bundesländern über das Jahr betrachtet genauso viel verdienen, wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen. Statt als Vorbild voranzugehen, verweisen die Arbeitgeber engstirnig auf die schwierige Finanzlage vieler Ost-Kommunen. Die wird sich aber nicht bessern, solange es finanziell attraktiver ist, im Westen zu leben und zu arbeiten«, so Merbitz.

Wie groß ist der Nachholbedarf im öffentlichen Dienst?

Eine Frage ist zum Auftakt der Tarifverhandlungen durch eine Studie des unternehmensnahen Instituts der deutschen Wirtschaft IW in Köln noch einmal auf die Vorderbühne geschoben worden: Wie groß ist der Nachholbedarf im öffentlichen Dienst? Die Gewerkschaften argumentieren seit langem, dass die Gehälter der Staatsbediensteten gegenüber denen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst zurückliegen und verlangen ein Schließen der Lücke. Die geringere Bezahlung hat Gründe: die Folgen einer auf reine Haushaltsdisziplin ausgerichteten Politik und die so begründeten jahrelangen Sparmaßnahmen gehören dazu.

Bei ver.di hat man immer wieder darauf verwiesen, dass die Beschäftigten nicht nur einen Rückstand auf die Tariflöhne in der Industrie hätten, sondern auch einen Rückstand auf die Tariflöhne im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Ver.di-Chef Bsirske bezifferte die Lücke auf etwa vier Prozentpunkte, so das IW in Köln.

Das Institut hat nun die ganze Angelegenheit einmal mit verschiedenen zeitlichen Bezugspunkten durchgerechnet. »Betrachtet man die Entwicklung seit der Wiedervereinigung, hinkt der öffentliche Dienst der Gesamtwirtschaft sogar um über elf Prozentpunkte hinterher. Beginnt man die Rechnung erst im Jahr 2000, schmilzt die Differenz allerdings auf magere 1,1 Prozentpunkte«, heißt es da. Mehr noch: »Wählt man jedoch – wie die kommunalen Arbeitgeber – einen noch späteren Zeitpunkt, hat der öffentliche Dienst sogar die Nase vorn: Seit 2008 sind die Tarifverdienste im öffentlichen Dienst um 28,5 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft aber nur um 25,3 Prozent.« Die Frage, ob »der öffentliche Dienst noch immer einen Lohnrückstand hat, liegt also im Auge des Betrachters«, so das IW in Köln. Und weiter: »Unbestritten ist jedoch, dass der öffentliche Dienst in den vergangen Jahren spürbar aufgeholt hat.« Wobei man dazu auch sagen muss: »Spürbar« ist schon eine Interpretation.

Was sagen die Arbeitgeber?

Sie plädieren nach eigenen Worten »für angemessene Entgelterhöhungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes«. VKA-Chef Thomas Böhle erklärte, »das Volumen der Forderungen in Höhe von über 6,5 Milliarden Euro im Jahr ist für uns aufgrund der prekären Haushaltslage vieler Kommunen und aufgrund der angespannten Lage in den Sparten, vor allem bei Krankenhäusern und Sparkassen, schlichtweg nicht zu stemmen«. Die Kommunen stemmen sich vor allem gegen den von den Gewerkschaften geforderten Mindestbetrag von 200 Euro. Begründung: Erstens würde er laut Arbeitgebern die Gesamtforderung auf 7 Prozent heraufschrauben, vor allem aber nennt Böhle »diese sogenannte soziale Komponente im Grunde alles andere als sozial«.

Warum? Weil sie dafür sorge, »dass Einkommen in den unteren Entgeltgruppen (bis EG 4) erneut überproportional steigen. Dies hat zur Folge, dass er vor allem die Einkommensgruppen verteuert, bei denen der öffentliche Dienst schon jetzt kaum noch wettbewerbsfähig ist – ganze Aufgabenfelder werden aus dem Tarifbereich ausgegliedert.« Auch beklagt die VKA, dass mit steigenden Niedrigeinkommen sich auch der »Unterschied zwischen den Gehältern von geringer und höher qualifizierten Beschäftigten weiter verringerte«. Im Öffentlichen Dienst müssten die Kommunen aber vor allem gut qualifiziertem Personal »attraktive Angebote machen. Sonst orientieren sie sich in Richtung Privatwirtschaft«.

Auf Bundesebene führt Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke die Verhandlungen – er vertritt den scheidenden Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU. Auch hier die Position: Die Forderungen der Gewerkschaften seien »so nicht umsetzbar«. Ein zügiger Abschluss werde angestrebt. »Wir glauben nicht, dass es dazu Warnstreiks bedarf.«

Wie geht es nun weiter?

Das sehen die Gewerkschaften anders. »Wir müssen schon vor der nächsten Verhandlungsrunde Druck aufbauen und die Kolleginnen und Kollegen zu Protestaktionen auf die Straße rufen«, wird der Vorsitzende des Beamtenbunds dbb, Ulrich Silberbach, zitiert. Warnstreiks im öffentlichen Dienst dürfte es noch vor Ostern geben sie seien »ab dem 1. März möglich. Wann und wo Warnstreiks stattfinden, legen die Gewerkschaften durch ihre Streikaufrufe fest, die vorher in den Einrichtungen verteilt oder per Aushang bekannt gemacht werden«, heißt es bei der GEW. »Die Kolleginnen und Kollegen in den Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen haben gezeigt, dass mit ihnen zu rechnen ist, wenn sie für ihre berechtigten Forderungen auf die Straße gehen.« Das dürfte auch für die anderen Bereiche im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gelten.

Die Verhandlungen werden am 12. und 13. März in Potsdam fortgesetzt. Weiter geht es dann am 16. oder 17. April – dann sollen die Tarifgespräche auch schon mit einem Ergebnis enden. »Zur Abschlussrunde wird im Fall des Zustandekommens einer Großen Koalition Horst Seehofer (CSU) als neuer Bundesinnenminister erwartet«, schreibt eine Nachrichtenagentur.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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