Wirtschaft
anders denken.

Gleichwertigkeit von Lebensformen mit Kindern?

23.02.2024
Familie aus Kuscheltiere nFoto: Bild von Gabi auf Pixabay

13 Prozent der staatlichen Familienleistungen fließen hierzulande an die reichsten zehn Prozent der Privathaushalte, für die untersten zehn Prozent bleiben jämmerliche sieben Prozent der familienpolitischen Ausgaben.

Zum Selbstbild der Deutschen gehört, dass heutzutage eine Art tolerante Koexistenz von unterschiedlichen Familienformen existiert: Neben den klassischen Kernfamilien finden sich nicht eheliche Lebensgemeinschaften, Patchwork-, Stief- und Regenbogenfamilien mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch die Lebensform von Alleinerziehenden, in 9 von 10 Fällen sind es Mütter mit ihren Kindern.

Auf den ersten Blick erscheint die Buntheit dieser Lebensformen als ein Zugewinn an Freiheit, selbst entscheiden zu können, wie man den Alltag mit Kindern gestaltet. Tatsache ist jedoch, dass 13 Prozent der staatlichen Familienleistungen in Deutschland an die reichsten zehn Prozent der Privathaushalte fließen, den untersten zehn Prozent der Privathaushalte in Armutslagen dagegen aber lediglich sieben Prozent der familienpolitischen Ausgaben zu Gute kommen (Holger Stichnoth, Verteilungswirkungen ehe- und familienbezogener Leistungen und Maßnahmen. Kurzexpertise HBS, 2016).

Hier liegen wesentliche Gründe dafür, dass Paarfamilien mit Geringverdienst und noch stärker alleinerziehende Mütter und ihre Kinder in Deutschland im europäischen Vergleich seit vielen Jahren ein besonders hohes Zugangs- und Verbleibsrisiko in Armutslagen aufweisen.

Darüber hinaus zeigen viele wissenschaftliche Studien, dass sich der Übergang von der Partnerschaft zur Elternschaft oder das Eintreten eines Hilfe- und Pflegebedarfs bei älteren Familienangehörigen als ein Knotenpunkt erweist, an dem es im Deutschland immer wieder zu einer »Retraditionalisierung« von Geschlechterrollen kommt: Frauen übernehmen dann hauptverantwortlich die Haus- und Sorgearbeit, begnügen sich mit einem Minijob oder arbeiten in kleiner Teilzeit (10 bis 15 Wochenstunden), während Männer wieder in die Rolle des Allein- oder Haupternährers geraten und eine Art »Vaterschaftsbonus« generieren (Claudia Goldin, Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften 2023). Das wird durch die Ehe- und Erwerbszentrierung der Sozialversicherungen in Deutschland immer noch stark befördert.

Steilvorlage für eine rückwärtsgewandte Familien- und Geschlechterpolitik

Der österreichische Bundeskanzler Nehammer hat gerade – angelehnt an die bundesdeutsche Praxis – ein automatisches Ehegattensplitting vorgeschlagen, also das ideale Steuermodell für Vielverdiener mit einer nicht oder kaum berufstätigen Partnerin. Zudem soll eine Großeltern-Karenz zu einer zweiten Erwerbsunterbrechung nach dem Aufziehen der Kinder motivieren, diesmal zum Zweck der Enkelbetreuung, der biographisch als dritte Phase der Erwerbsunterbrechung dann die Übernahme der häuslichen Pflege älterer Familienangehöriger durch die Frauen nachfolgen soll. So entledigt man sich der staatlichen Ausgaben für Care im System der öffentlichen Daseinsvorsoge im großen Stil.

An Konzepten zu einem familien- und gleichstellungspolitischen Backlash wird also auch in unserem Nachbarland politisch intensiv gearbeitet. Was das für die Renten der Frauen, insbesondere im Fall einer Trennung oder Scheidung bedeutet, liegt auf der Hand. Sie geraten mit ihren Kindern immer häufiger in Armutslagen.

Die Bertelsmann Stiftung hat das wiederholt analysiert: 2014 veröffentlichte sie den ersten Bericht »Alleinerziehende unter Druck. Rechtliche Rahmenbedingungen, finanzielle Lage und Reformbedarf«. 2021 trug der inzwischen dritte Bericht die Überschrift »Alleinerziehende weiter unter Druck«. Möglicherweise wird gerade eine nächste Analyse erstellt, die dann unter der Headline »Alleinerziehende auch in Zukunft weiter unter Druck« publiziert werden könnte.

Ist das etwa zu pessimistisch gedacht?

Am 28. Januar 2024 haben circa zwei Millionen Menschen in der Sendung »Hart aber fair« anhand von Beispielhaushalten – berechnet vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft in Köln (IW) – verfolgen können, dass die Ampelregierung die soziale und finanzielle Ungleichheit von familialen Lebensformen sehenden Auges und in neoliberaler Manier fortschreibt. So profitieren 2024 von der viel gepriesenen Einkommenssteuersenkung eindeutig vor allem Gutverdiener (bei einem Jahreseinkommen von 130.000 Euro sind es immerhin 262 Euro plus pro Jahr). Dagegen verschlechtert sich die finanzielle Situation von Geringverdienerpaaren mit einem Jahreseinkommen von 42.000 Euro und noch deutlicher die von Alleinerziehenden mit einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro. Vor ihrer Gesamtbilanz steht ein dickes Minus. Nicht der Abbau von ungleichen Lebenslagen nach Geschlecht und Lebensform wird demnach politisch angestrebt, sondern ihre weitere Spreizung befördert. Selbst Tobias Hentze vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft kommt nicht umhin festzustellen: »Das Jahr 2024 wird für Familien mit geringem Einkommen sehr teuer. Von der Entlastung bei der Einkommensteuer haben sie nur wenig, dafür langt der Staat bei Gas, Strom und Sprit ordentlich zu. Gerecht ist das nicht.« Dazu kommen die Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, steigende Mieten, die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und, und, und.

Wundert sich eigentlich wirklich noch jemand über die zunehmende Politikverdrossenheit, Wut und Demokratiemüdigkeit von relevanten Teilen der Bevölkerung, die ihre Interessen in dieser Art von liberalem Demokratiemodell einfach nicht mehr berücksichtigt sehen? Ganz gleich, ob es um bezahlbaren Wohnraum, um fehlende Aufnahmekapazitäten in der Notaufnahme oder um KiTa- und Pflegeplätze geht: Dienstleistungen dieser Art werden immer mehr zur Mangelware in einem der reichsten Länder Europas. Stattdessen werden Care-Tätigkeiten massiv in den Privatbereich zurück verlagert.

Folglich reicht es einfach nicht, gegen Rechtsextremismus auf die Straße zu gehen. Stattdessen müssen sich Menschen entschlossen gegen die überbordende sozio-ökonomische und geschlechtsspezifische Ungleichheit in Deutschland auflehnen und eine politische Umkehr einfordern. Dem Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke ist zuzustimmen, wenn er sagt: »Zwei Jahre Ampelregierung entpuppen sich als ein Wachstumsprogramm für die AfD.« (Blätter 2/2024).

Geschrieben von:

Uta Meier-Gräwe

Soziologin und Haushaltsökonomin

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