Wirtschaft
anders denken.

Welche Rolle spielt die Globalisierung beim Rechtsruck?

30.10.2017
Modlem, Lizenz: CC BY-SA 3.0

Welche Rolle spielen die Folgen der herrschenden Wirtschaftsweise bei der Zustimmung zu rechten Parteien? Kleine Anmerkung zu einer Veranstaltung des Instituts der deutschen Wirtschaft und zu Studien über die politische Tendenz unter Globalisierungsverlierern. 

Am Donnerstag wird in Berlin auf einem »wirtschaftsethischen Forum« über »Populismus und Ökonomik in Zeiten neuer Marktkritik« diskutiert. Federführend mit dabei ist das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft – und dort kündigt man die Veranstaltung mit einem Zweifel an: dass die »Erklärung für den Zuwachs populistischer Parteien« in »zunehmender sozialer Ungleichheit und Abstiegsängsten der Mittelschicht gesehen« werden kann. »Geht es, zugespitzt gesagt, überhaupt um eine Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik und den existierenden sozialen Sicherungssystemen oder geht es in erster Linie um die Abwehr der Partizipation neuer Zuwanderer an diesem Sozialstaat?«, so die Frage des IW Köln, die in den Raum gestellt wird nicht zuletzt, weil heutzutage »moralische Dimensionen des Wirtschaftens wieder stärker beachtet werden«.

Nun sind eindimensionale Erklärungen sicher ohnehin nicht besonders tauglich, um den politischen Rechtsruck zu ergründen. Die Skepsis des IW Köln markiert aber eine Unterscheidung zu anderen Analysen, vor allem denen, die auf einen Zusammenhang zwischen der Produktion von »Verlierern« durch die Globalisierung und der Zustimmung zu rechten Parteien hinweisen.

Populär zugespitzt hat diese Sichtweise gerade Thomas Fricke in seiner Kolumne: »Wer den Aufstieg der Rechten stoppen will, braucht eine neue Wirtschaftspolitik – und Regeln für die Globalisierung.« Wenn es einen »stark gewachsenen Hang gibt, rechte Parteien zu wählen, hat das weniger mit der (sicher auch wichtigen) Frage zu tun, wie wir Leute von anderswo bei uns unterkriegen – und viel mit den tiefer liegenden Schäden, die das gelobte Globalisieren im Laufe der Zeit vielerorts im Land hinterlassen hat«, so Fricke mit Blick auf Studien.

Globalisierung und Zustimmung zu rechten Parteien

Eine davon kommt von Stephan Heblich, Christian Dippel und Robert Gold. Diese haben untersucht, »wie stark die einzelnen deutschen Kreise vom zunehmenden Welthandel betroffen sind«, welche Folgen also in den vergangenen 30 Jahren die neue Konkurrenz aus Osteuropa und China auf lokale Arbeitsmärkte hatte und welche politischen Ausschläge sich danach zeigten. Das Ergebnis: »Ausschließlich die Wahlergebnisse rechter Randparteien sind signifikant vom internationalen Handel beeinflusst. Eine Zunahme der regionalen Betroffenheit von Handelsintegration führt zu einer Zunahme der politischen Unterstützung für rechte Randparteien.«

Und weiter: »Es sind vor allem geringqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem Verarbeitenden Gewerbe, die rechte Randparteien unterstützen, wenn sie von Handelsintegration betroffen sind. Das ist exakt die Gruppe von Individuen, die gemäß der Literatur am ehesten mit negativen Arbeitsmarkteffekten durch Handelsintegration konfrontiert ist.« Und das gilt auch umgekehrt: »Wenn Regionen von verbesserten Export-Möglichkeiten profitieren werden Jobs geschaffen und die Stimmanteile rechter Randparteien gehen zurück.« (Mehr dazu: Globalization and its (dis-)content: Trade shocks and voting behavior. NBER Working Paper 21812, Dez. 2015)

Ein Jahr nach der Studie von Gold und anderen veröffentlichte Jens Südekum, ein Ökonom, der sich in Düsseldorf schwerpunktmäßig mit Regionalforschung befasst, zusammen mit Wolfgang Dauth von der Universität Würzburg und Sebastian Findeisen  von der Universität Mannheim eine Forschungsarbeit unter der Überschrift »Verlierer(-regionen) der Globalisierung in Deutschland: Wer? Warum? Was tun?« Darin werden der »Einfluss der Globalisierung auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt« beschrieben und »als Verliererregionen« das Ruhrgebiet, die Pfalz und Oberfranken identifiziert. Zwar habe »unter dem Strich« das verarbeitende Gewerbe hierzulande »durch den intensivierten Handel mit China und Osteuropa gewonnen«, was einen Unterschied zur Entwicklung in den USA zeigt. »Dennoch sollte die Wirtschaftspolitik die Kompensation von Globalisierungsverlierern ernster nehmen als bisher«, hieß es Ende 2016 in der Studie.

Inzwischen hat Südekum die Ergebnisse und das Ergebnis der Bundestagswahl in einen Zusammenhang gebracht. Die »Frankfurter Allgemeine« spricht von »einem spannenden ersten Befund«, denn, so Südekum, »die am stärksten von Handel getroffenen Regionen, also das Ruhrgebiet, die Pfalz und Ostbayern, neigten bis dato nicht zu mehr AfD oder zu radikaleren Wahlentscheidungen« – das habe sich aber am 24. September verändert.

Ähnliche Analysen zu Trump-Erfolg und Brexit-Zustimmung

»Stark von Schocks getroffene Regionen scheinen sich von der SPD und der Union jetzt doch ein Stück weit abgewendet zu haben und wählen jetzt mehr AfD.« Zwar sei es richtig, dass sich eindimensional nicht die »relativ guten Ergebnisse« der Rechtsaußenpartei AfD »in wirtschaftlich starken Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern« erklären ließen. »Doch den Wahlerfolg mit dem Unmut über den Zuwanderungskurs der Bundesregierung allein zu begründen, greift nach Einschätzung des Regionalforschers trotzdem zu kurz«, so die FAZ.

Man könnte sagen, der Zusammenhang zwischen nicht politisch kompensierten Globalisierungsfolgen und Rechtsruck wird etwas verspätet zur Erklärung auch der hiesigen politischen Verschiebungen. In den USA und Großbritannien galt er bereits als einschlägig zur Analyse von Trump-Erfolg und Brexit-Zustimmung. Wobei es weniger um die absoluten Einkommensverhältnisse geht, sondern eher darum, wie stark sich das Einkommen verändert. »Industriell geprägte Regionen, die von einem guten Mittelfeldplatz durch große ökonomische Schocks wie die Globalisierung oder Automatisierung abgestiegen sind, neigten stärker zum Brexit und Trump«, wird Südekum zitiert.

Die Gegenposition: Es geht nicht so sehr um Wirtschaft

Eine andere, derzeit auch populäre These zielt dagegen stärker auf die kulturelle Dimension von Veränderung. Der Soziologe Holger Lengfeld zum Beispiel hat mehrfach daran erinnert, dass die meisten AfD-Anhänger in Wahrheit gar keine Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung seien. Einen tag vor der Bundestagswahl sagte er dem »Spiegel«, 29 Prozent der AfD-Sympathisanten seien »Bezieher eines mittleren Einkommens, 39 Prozent verdienen sogar deutlich überdurchschnittlich. Weder formal gering Gebildete, noch Arbeiter oder Bezieher von geringen Einkommen neigen besonders stark dazu, AfD zu wählen«.

Es sei also »nicht die objektive wirtschaftliche Position, die Menschen zur AfD treibt. Es ist das Gefühl, kulturell zurück gesetzt zu werden. Es geht ihnen um die grundsätzliche Frage, wie die Gesellschaft und das Land in Zukunft aussehen sollen.« Wobei Lengfeld Fragen der gesellschaftlichen Modernisierung meint, also »der Wandel zu Weltoffenheit, Multikulturalismus und Kosmopolitismus«. Eine Minderheit hege aber »den Wunsch nach der Bewahrung eher traditionellerer Ideale, nach Abgeschlossenheit und einem Staat, der für kulturelle Homogenität sorgt. Ihr Unbehagen richtet sich nicht so sehr auf die Wirtschaft, sondern auf die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt.«

Der eingangs zitierte Thomas Fricke übrigens kommt zu dem Schluss, es müssten schon bald »die Lehren aus den Tücken des Schocks namens Globalisierung gezogen« werden – nötig sei »eine ganz neue Wirtschaftspolitik«. Diese müsse unter anderem »viel besser darin werden muss, früh zu erkennen, wenn regionale industrielle Desaster entstehen«. Und dann nicht nur Almosen verteilen, »sondern am besten gleich mit Alternativen« kommen.

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