Wirtschaft
anders denken.

»Goldener Boden« als »löchriger Tarifkäse«: Warum die Einkommen im Handwerk stagnieren

15.03.2018
Yoni Lerner, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Das Handwerk, so wird gemeldet, habe hierzulande »in den meisten Fällen weiterhin goldenen Boden«: die Umsätze sind 2017 um 3,6 Prozent gestiegen. Doch das ist nicht das ganze Bild, in manchen Sparten geht die Zahl der Beschäftigten zurück. Und eine Studie nimmt das Problem der deutlich geringeren Einkommen im Handwerk in den Blick.

Das Handwerk, so meldet es die Deutsche Presse-Agentur, habe hierzulande »in den meisten Fällen weiterhin goldenen Boden«. Laut neuer Zahlen des Statistischen Bundesamts sind die Umsätze im zulassungspflichtigen Handwerk 2017 im Vergleich zum Jahr davor um 3,6 Prozent gestiegen. Vor allem in den industrienahen Sparten wie etwa dem Metallbau oder der Feinwerkmechanik geht es vorwärts – jedenfalls in den Umsatzzahlen: plus 5,2 Prozent.

Nicht so stark wuchsen die Umsätze in Handwerksbetrieben für den privaten Bedarf wie Friseure, Schornsteinfeger und Steinmetze, hier gab es lediglich ein Plus von 1,4 Prozent. Und auch die Beschäftigtenzahl ging anders als in anderen Handwerkssparten zurück, auch im Lebensmittelgewerbe nahm die Zahl der Angestellten ab. Wichtiger Vergleichspunkt: Zwar hat es unter dem Strich über alle Handwerkssparten hinweg ein Beschäftigungszuwachs von 0,6 Prozent im Vergleich zu 2016 gegeben, das Niveau aus dem Jahr 2009 wurde aber noch nicht wieder erreicht.

Für wen läuft es im Handwerk wirklich?

Soweit die eine Meldung aus dem Handwerk – die andere geht der Frage nach, für wen es auf dem »goldenen Boden« denn da angeblich so gut läuft. Das »Handelsblatt« steht bisher ziemlich einsam mit dem Thema da, die Gewerkschaften hatten es praktisch zeitgleich mit den neuen Umsatzzahlen auf die Tagesordnung gesetzt: »Das Geschäft brummt – doch der Lohn der Handwerker stagniert.« Die Einkommen der Beschäftigten im Handwerk ist im Vergleich zu anderen Sektoren deutlich geringer – um rund ein Fünftel.

Anlass für den eher skeptischen Blick ist eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Instituts für Mittelstand und Handwerk der Uni Göttingen. »Fast 1.000 Euro verdient ein Arbeitnehmer, der in einem Handwerksbetrieb arbeitet, im Durchschnitt weniger als ein Beschäftigter in einem anderen Betrieb. Während der Handwerker im Schnitt 3.217 Euro brutto im Monat erhält, liegt das Durchschnittsentgelt über alle Wirtschaftsbereiche bei 4.180 Euro«, so die IG Metall über die Studie von Katarzyna Haverkamp und Kaja Fredriksen.

Es geht um insgesamt fünf Millionen Beschäftigte

Es geht immerhin um über fünf Millionen Beschäftigte, das sind 12,5 Prozent aller Beschäftigten. Und es geht um sehr unterschiedliche Berufe – vom Friseur und Metzger bis zum Maurer und Dachdecker, vom Kfz-Handwerker und Tischler bis zum Metallbauer und Zahntechniker. »Woher kommt die Lohnlücke zwischen ihnen und anderen Berufstätigen?«, fragt nun die IG Metall. Und sieht in der Studie eine Antwort: An einer möglicherweise geringen Qualifikation liegt es nicht. Jedenfalls ist das nicht der alleinige Grund.

»Nur sieben Prozent der Handwerker haben keine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss, in den anderen Betrieben gut acht Prozent.« Je höher die Qualifikation, desto größer wird der Lohnabstand zwischen Beschäftigten im Handwerk und in der Gesamtwirtschaft. Die Gewerkschaft: »Bei hochqualifizierten Fachleuten, wie Meistern, Technikern oder Fachwirten, beträgt die Lücke 20,54 zu 24,88 Euro.« Im »Handelsblatt« heißt es dazu: »Die Hälfte des Verdienstunterschieds, der sich von den 1980er- bis zur Mitte der 2000er-Jahre vergrößert hat und seither stabil ist, lässt sich durch das Qualifikationsniveau erklären«. Und weiter: »So hat jeder zweite Handwerker maximal die Hauptschule besucht, in der übrigen Wirtschaft liegt der Anteil bei 30 Prozent. Die Akademikerquote beträgt im Handwerk 3,8 Prozent, verglichen mit 19,4 Prozent.«

Die Lücke beim Lohn lässt sich laut Gewerkschaft auch nicht auf einen möglicherweise größeren Anteil an Frauen unter den Angestellten im Handwerk begründen. Eher ist der Frauenanteil hier mit nur 18 Prozent der Beschäftigten viel kleiner als in allen Sektoren, wo er bei knapp 38 Prozent liegt. Ein Gender Pay Gap müsste sich statistisch eher also »positiv« auf die Durchschnittsentgelte auswirken. Auch aus der Grüße der Betriebe kann der Abstand nicht hinreichend erklärt werden. »Zwar sind die Entgelte in großen Industriebetrieben in der Regel höher als in kleinen Firmen, aber im Handwerk sieht es auch hier anders aus: Je  größer der Handwerksbetrieb, desto mehr wächst der Lohnabstand gegenüber anderen Betrieben vergleichbarer Größe.«

Für weniger als 30 Prozent im Handwerk gilt ein Tarifvertrag

Woran liegt es dann? »Der wesentliche Grund ist, dass viele Firmen und Verbände sich heute immer weniger an Tarifverträge binden. Nur für weniger als 30 Prozent der Beschäftigten im Handwerk gilt ein Tarifvertrag«, wird Ralf Kutzner vom IG-Metall-Vorstand zitiert. In der Gesamtwirtschaft komme immerhin etwa die Hälfte der Beschäftigten »in den Genuss tariflicher Entgelte und Arbeitsbedingungen. Auch dass Fachkräfte im Handwerk weniger verdienen, lässt sich so erklären. Denn es sind die Tarifverträge, die dafür sorgen, dass sich Qualifikationen im Lohn angemessen widerspiegeln«, so die Gewerkschaft.

Wie stark der Faktor ist, hängt auch von der Interpretation ab. Die Gewerkschaft sieht die Tarifbindung aus naheliegenden Gründen als »wesentlich« an, die Studie erklärt laut »Handelsblatt« die geringe Tarifbindung für »etwa ein Fünftel der Differenz« verantwortlich. Zwar gelten im Handwerk viele Branchenmindestlöhne, aber es bleibt ein Fakt: Im Handwerk arbeiten nur noch rund 30 Prozent der Beschäftigten nach Tarif, in der Gesamtwirtschaft sind es 56 Prozent. »Der Tarifteppich gleicht eher einem löchrigen Käse«, wird Kutzner im »Handelsblatt« zitiert.

Die Folgen sind laut IG Metall unter anderem in Zeiten der guten Konjunktur zu spüren. Klagen über Fachkräftemangel, unbesetzte freie Stellen, fehlender Nachwuchs im Ausbildungsbereich. »Von denen, die eine Ausbildung im Handwerk absolvieren, wandern 35 Prozent nach der Abschlussprüfung direkt in die Industrie ab«, so die IG Metall – die für eine Mindestausbildungsvergütung eintritt, die kein Handwerksbetrieb unterschreiten dürfte.

IG Metall will mehr Tarifverträge

Entscheidend aber sei Tarifbindung. Dazu müssten die Innungen Flächentarifverträge abschließen. »Es ist für die Innungen eigentlich ein Privileg, mit Tarifverhandlungen eine sozialstaatliche Aufgabe erfüllen zu können. Wer das hinschmeißt, kündigt die Sozialpartnerschaft«, so Kutzner. Solange die Innungen aber hier blockieren, solle »der Gesetzgeber handeln. Kutzner fordert, dass Innungen, die ihren Job nicht machen, ihren Status als öffentlich-rechtliche Institutionen verlieren.«

Die Gewerkschaft will für ihren Organisationsbereich in dieser Lage Arbeitskämpfe nicht ausschließen. »Wenn die Firmen weiter auf stur schalten, sind wir aber auch bereit, Betrieb für Betrieb für Tarifverträge zu kämpfen. Um in den Firmen den nötigen Druck machen zu können, ist es aber wichtig, dass möglichst viele Beschäftigte im Handwerk Gewerkschaftsmitglieder werden«, sagte Kutzner.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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