Faule Ausreden, Affenschande und Einhörner
Obsessed, also „Besessen“ – unter diesem Hashtag bewirbt der Lieferdienst „Gorillas“ sein unseriöses Angebot. Damit ist jener „ich weiß das ist eigentlich blöd aber ich brauch das jetzt“- Ton gesetzt, der im Neoliberalismus gerne genutzt wird, um denk- und kritikfähigen Menschen zu Kollaborateur:innen des herrschenden Murxes zu machen. „Noch mal Gorillas checken, dann leg ich das Handy aber wirkl… geil Zimtschnecken.“ Oder, auf einem Großplakat in der U-Bahn-Station, ein gutes dutzend Mal untereinander der Satz: „Ich will weniger bei Gorillas bestellen“. Auf das die willenlosen Konsument:innen ergänzen mögen „Aber ich schaff es einfach nicht“. Warum? Na weil der Onlinesupermarkt eben einfach schneller ist: „Faster than you“ ist die zweite unbewiesene Behauptung auf jeder Gorilla-Werbung.
Wieso sollte das jemand glauben? Schließlich versorgt der Dienst weder von jeder Infrastruktur abgehängte Dörfer, noch Alte und Gebrechliche. Vielmehr wendet er sich an fitte mobile Großstädter:innen in Berlin, Düsseldorf, Istanbul und andernorts, wo das Unternehmen genügend Warenlager einrichten kann, um in deren drei-Kilometer-Umkreis ausreichend Kundschaft zu versorgen. Denn nur dank dieser Nähe wird es möglich, das 10-Minuten-Lieferversprechen einzuhalten. Also genau da, wo es alle, die sich wohnen dort noch leisten können, es nie weiter als 10 Minuten bis zur nächsten Lebensmittelversorgungsstelle haben. Viertel in denen – wenn der Augenschein nicht trügt – selbst zu Höchst-Inzidenzzeiten sich nicht alle in ihren Homeoffice-Wohnungen verbarrikadiert haben, sondern an jeder Hafermilchcafe-Schaumschlägerei und Aperol-Spritz-Druckbetankungsanlage coronakonforme Schlangen bildeten. Auf dem Weg dorthin könnte jede:r, der oder die ungefähr weiß, was in den hauseigenen Kühlschrank soll, das auch einkaufen, ohne dass es länger dauern muss als die Auswahl auf der Gorilla-App, die ja schon auch in die Zeitkalkulation gehört. Wenn dann später beim Kochen irgendwas fehlt – „Aubergine vergessen“ ist auch so eine Werbebegründung des Lieferdienstes – dann vielleicht mal bei den Nachbarn fragen? Oder halt was anderes kochen? Oder raus zum Imbiss, wo ja „to go“ auch immer ging und geht.
Kurz gesagt: Mit wenigen Ausnahmen, aus denen sich aber kein Geschäftsmodell bauen ließe, sind die Gründe, Gorilla zu nutzen, fadenscheinig. Ganz ähnlich, wie bei allen anderen Essens-Lieferdiensten oder Andi Scheuers Behauptung, die Städte zumüllendes Elektrospielzeug würde zur Verkehrswende beitragen. Um Gebrauchswert geht es in all diesen Fällen nicht. Sondern um Anlagemöglichkeiten für das globale Kapital, wie Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt kürzlich im, Podcast „Wohlstand für Alle“ noch einmal sehr einleuchtend erläutert haben. Für dieses Geschäftsmodell, in dem Gorillas mit einem Börsenwert von über einer Milliarde Euro als „Einhorn“ gehandelt wird, ist es völlig egal, ob der Laden, der keiner ist, Gewinne erwirtschaftet, solange es dank entsprechendem Marketing einen Hype gibt, der die Kurse steigen lässt. Jedenfalls so lange, bis das Kapital ein neues Einhorn gefunden hat.
Nein, dieses System der Profitbesessenheit werden wir jetzt nicht sofort ändern können. Was aber noch lange nicht heißt, dass wir uns zu seinen Kompliz:innen machen müssen. Die selbst in der bürgerlichen Presse weidlich beschriebenen prekäre Arbeitsbedingungen, der Konkurrenzdruck auf traditionelle Supermärkte, der auch dort zu Lasten der Beschäftigten gehen wird, die Veränderung der Einzelhandelsstruktur in den Städten sind reale Folgen. Angesichts derer ist ein schulterzuckendes „ich brauch das und kann nicht anders“ bestenfalls eine faule Ausrede und schlimmstenfalls Zynismus. Sucht, also eine Krankheit, die als Befreiung von Verantwortung herhalten könnte, wie die vermeintlich kreative Obsessed-Kampagne suggerieren möchte, ist es jedenfalls nicht. Der dazugehörige Plakatslogan lautet: „Mutter, der Mann mit den Cokes ist da“. Schwarze Brause, sonst nix.
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