Wirtschaft
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Bekommt Athen Schuldenerleichterungen? Oder bleibt Griechenland im Griff der »Hilfspakete«? Der OXI-Überblick

05.04.2018
Ggia,Lizenz: CC BY-SA 4.0

Im August endet das, was gemeinhin als drittes »Hilfspaket« für Griechenland bezeichnet wird. Es geht um die milliardenschweren europäischen Kredite, mit denen Athen vor allem alte Schulden bedient, und für die im Gegenzug im Sommer 2015 gravierende Auflagen zugestanden werden mussten, die soziale Kürzungen, Privatisierungen und andere »Reformen« von der SYRIZA-Administration verlangten. Wie ist der Stand der Dinge?

Neue Debatte über die Zukunft der Schulden

Laut einem Bericht des »Handelsblattes« wollen die Euro-Finanzminister Ende April in informeller Runde in Sofia über »Schuldenerleichterungen für Athen diskutieren«. Das hat Athen lange gefordert, die SYRIZA-Regierung war dabei bisweilen auch von anderen Regierungschefs unterstützt worden. Auch der Internationale Währungsfonds, der in der Frage der Kürzungsforderungen immer sehr radikal war, stand in Sachen Schuldenfrage eher auf Seiten Griechenlands – weil die Tragfähigkeit der Schulden, also die eigene ökonomische Kraft des Landes, die Rückzahlung zu erwirtschaften, für den IWF in Frage steht.

Schuldenerleichterungen wurden bisher vor allem in Berlin vehement abgelehnt. Argumente waren vor allem die bereits erfolgten Schuldenschnitte und der Hinweis, dass Athen erst in vielen Jahren mit der Rückzahlung der gegenwärtig laufenden Kredite beginnen müsse. »Doch nun kann Griechenland hoffen, dass die Berliner Blockade sich dem Ende zuneigt«, schreibt das »Handelsblatt«. Die Vorarbeiten für mögliche Schuldenerleichterungen hätten längst begonnen, bereits im Februar seien Experten gebeten worden, »Optionen durchzuspielen«. Diese würden zeigen, »wie weitgehend die Schuldenerleichterungen ausfallen könnten«. Es gibt verschiedene Vorschläge: vom ESM und von der französischen Regierung.

Angedacht sind in dem Papier unter anderem Verlängerungen der Laufzeiten einiger Kredite um im Schnitt sieben Jahre, die noch der frühere EFSF-Rettungsschirm ausgezahlt hatte. Auch wurde überlegt, Zinszahlungen von insgesamt 13 Milliarden Euro für fünf Jahre  zu stunden. Die Regierung in Frankreich, in Sachen Kreditprogramme stets mit mehr Rücksicht auf die Sicht der Griechen als die Hardliner in Berlin, habe vorgeschlagen, »Kredite von 25 Milliarden Euro teilweise (zu) stunden und so eine durchschnittliche Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren (zu) erreichen. Zudem sollen die Zinsen auf Rettungskredite für Athen bei zwei Prozent gedeckelt werden, was einer Erleichterung von 18 Milliarden Euro entspräche«, so das »Handelsblatt«.

ESM und Paris schlagen darüber hinaus vor, »Schuldenerleichterungen bis zum Jahr 2050 an die Wirtschaftsentwicklung des Landes koppeln«. Bei einem durchschnittlichen BIP-Wachstum innerhalb fünf Jahren unter 2,8 Prozent, soll Athen laut der Initiative aus Paris von der Rückzahlung ganz und bei etwas höheren Wachstumsraten teilweise befreit werden. Die Vorschläge des ESM laufen darauf hinaus, die Rückzahlungen auf bestimmte Prozentanteile der Wirtschaftsleistung festzuschreiben, wenn die BIP-Entwicklung unter eine bestimmte Marke fällt.

Bisher wurden an die Regierung in Athen in drei Tranchen 40,2 Milliarden Euro überwiesen. Zwei Milliarden Euro hat Griechenland bereits zurückgezahlt, wie aus einer Unterrichtung des Bundestags hervorgeht. Ursprünglich war ein Rahmen für die Kredite im Umfang von bis zu 86 Milliarden Euro vorgesehen. Davon wird Athen nun etwa die Hälfte beanspruchen. Die durchschnittliche Laufzeit der bisher gewährten Kredite für Griechenland beträgt 30,2 Jahre. Athen muss diese Kredite ab dem Jahr 2034 tilgen.

Hier gibt es eine Zusammenfassung zur ökonomischen Lage derzeit. Zu verweisen ist auch auf zwei Überblicksdarstellungen der KollegInnen der Zeitschrift »Sozialismus«, in denen es unter anderem heißt: »Griechenland hat seit 2015 einen enorm schwierigen Rekonstruktionsprozess zurückgelegt. Aber alle positiven Signale können nicht verdecken, dass die Beendigung der Herrschaft der Troika von der weiteren Aufwärtsbewegung der Ökonomie im Rahmen des Konjunkturaufschwunges in der Eurozone abhängt.« Ein sehr kritischer Punkt seien die griechischen Investitionen: »Die Bruttoanlageinvestitionen gingen im dritten Quartal 2017 um 8,5 Prozent zurück, im Vergleich zum entsprechenden Quartal 2016.«

Und weiter heißt es: »Die Zurückhaltung der Wirtschaft im ersten Wachstumsjahr seit Beginn der Krise zeigt, dass die Unternehmer von den Erfolgsperspektiven Griechenlands noch nicht vollends überzeugt sind. Die griechische Regierung ist aber optimistisch, dass sich Griechenland nach Auslaufen des Hilfsprogramms im August 2018 aus eigenen Kräften finanzieren kann. Alexis Tsipras will aus politischen Gründen nach dem Ende des Hilfsprogramms behaupten dürfen, dass er derjenige sei, der Griechenland aus dem erniedrigenden Zustand beschränkter Finanzsouveränität herausgeholt habe 

Vierte Tranche, dritte Überprüfung

Vor ein paar Tagen lief die Auszahlung der vierten Tranche der Gelder im Rahmen des so genannten ESM-Anpassungsprogrammes an – sie umfasst 6,7 Milliarden Euro. Die Bereitstellung wurde auch im Bundestag verhandelt, der dortige Haushaltausschuss nahm eine entsprechende Vorlage des Bundesfinanzministeriums zur Kenntnis. Gegen die Auszahlung hatte es Anträge von FDP und der rechtsradikalen AfD gegeben. Interessant ist hier, dass die üblichen Stimmen aus der Union, die auf eine Beteiligung des Internationalen Währungsfonds pochen, die Angela Merkel bei den seinerzeitigen Verhandlungen um die Zustimmung ihrer Regierungsmehrheit versprochen hatte, diesmal weitgehend ausblieben.

Zuvor hatten die »Institutionen« ihre »dritte Überprüfung« abgeschlossen – Maßnahmen, mit denen die Kreditgeber die Umsetzung jener umstrittenen Forderungen evaluieren, gegen die sich die SYRIZA-geführte Regierung so lange gestemmt hatte. Auch die Eurogruppe war im März zu der Auffassung gelangt, dass Griechenland alle ausstehenden Vorabmaßnahmen umgesetzt habe. Die Logik: keine »Reformen«, keine Kredite.

Die Tragik: Die SYRIZA-geführte Regierung hatte das dritte »Hilfsprogramm« ursprünglich gar nicht angestrebt, sondern zunächst auf eine andere, umfassendere Lösung des Schuldenproblems gedrängt. Dies auch, weil die erfolgreiche Wahl von SYRIZA ein Votum gegen die »Memoranden« und ihre verheerenden sozialen und ökonomischen Folgen waren. Dass sich SYRIZA hier nicht durchsetzen konnte, hat in der europäischen Linken zu vielen Vorwürfen Vorwurf geführt, die bis zu Ausschlussgedanken aus der Europäischen Linkspartei reichten. Rentenkürzungen und Privatisierungen oder die Änderungen am Streikrecht wurden als Verrat an den ursprünglichen Zielen kritisiert. Hier gibt es einen guten Überblick darüber, was da wirklich reformiert wurde.

50 Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor bekommen unter 800 Euro netto

Unterdessen zeigen neue Zahlen der größten Gewerkschaft des Landes, der INE/GSEE, wie stark die »Hilfsprogramm« durchschlugen: Die Hälfte der Beschäftigten im privaten Sektor Griechenlands habe 2017 weniger als 800 Euro im Monat verdient, so eine Umfrage der Gewerkschaft. Entfielen 2009 nur 21 Prozent der Neueinstellungen auf Teilzeitarbeitsplätze, waren es 2017 schon fast 55 Prozent.

Laut einem Bericht der Zeitung »Kathimerini« lag der  Anteil der Geringverdiener mit einem Nettomonatslohn von weniger als 499 Euro im privaten Sektor im vergangenen Jahr bei 14,5 Prozent, fast 30 Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor verdienten nur zwischen 500 und 699 Euro pro Monat, knapp 13 Prozent erhielten zwischen 700 und 799 Euro monatlich. Im öffentlichen Sektor sah die Lage etwas besser aus, hier lag der Anteil der Beschäftigten mit Nettomonatslöhnen unter 800 Euro im vergangenen Jahr bei etwas über 10 Prozent.

Bleibt Athen weiter im Griff der »Institutionen«?

Inzwischen läuft die vierte Programmüberprüfung – also die Kontrolle der Athener Politik durch die »Institutionen«. Dabei muss die linksgeführte Regierung 88 zentrale Punkte erfüllen, so genannte »prior deliverables«, wie aus einem Bericht des Bundesfinanzministeriums über das Eurogruppentreffen Mitte März hervorgeht. Außerdem wird es eine so genannte Nachprogrammüberwachung nach August 2018 geben, hierbei stehe Griechenland nach den Angaben der Europäischen Kommission aber »nicht in einem neuen Anpassungsprogramm«.

Aus einem Nachbericht zu den Treffen der technischen Arbeitsgruppe »Task Force on Coordinated Action«, die sich aus Regierungsvertretern der Euroländer zusammensetzt, geht hervor, dass dort »die deutsche Delegation und andere Mitgliedstaaten die Verbindlichkeit des Rahmens für die zu erfolgende Ausgestaltung des Mechanismus« betont hätten. Dieser »BIP-Anpassungsmechanismus zu möglichen schuldenbezogenen Maßnahmen für Griechenland« soll »nach erfolgreichem Programmabschluss bei Bedarf die mögliche, falls notwendige, im Rahmen der Mittelfristmaßnahmen erfolgende Änderung des Darlehensprofils der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) an die tatsächliche Entwicklung des Wirtschaftswachstums nach Programmablauf« anpassen. Wie aus dem Bericht hervorgeht, sollen »mehrere Länder (auch Deutschland)« in der Arbeitsgruppe auf die »Frage, ob die Anwendung eines solchen Mechanismus an Konditionalität zur Umsetzung der vereinbarten Reformen geknüpft werden solle«, auf die bisherige Praxis verwiesen haben.

Steigt der Internationale Währungsfonds ein?

Hinzu kommt die alte offene Frage, ob der IWF »einsteigt«. Ein Kreditprogramm über rund 1,6 Milliarden Euro ist in Aussicht gestellt, es könnte aktiviert werden, wenn der Fonds »die Schulden Griechenlands für tragfähig hält«. Hierzu wird eine neue Analyse für den Sommer erwartet. Das »Handelsblatt« schreibt: »Nicht nur IWF, auch andere Euro-Staaten wie Frankreich und die EU fordern, die Schuldenlast der Griechen zu senken. Schließlich wurde Athen das mehrmals in Aussicht gestellt. Und mit einem Sozialdemokraten im Finanzministerium dürften die Chancen für eine Umsetzung gestiegen sein, so die verbreitete Hoffnung.«

Man wird allerdings abwarten müssen. Politisch stellt sich zum Beispiel die Frage, ob innerhalb der Bundesregierung durchsetzbar ist, dass gravierende Schuldenerleichterungen für Athen kommen, damit der IWF mit einer eher kleinen Kreditsumme dazustößt, die nach Ansicht einiger Ökonomen von Griechenland gar nicht mehr gebraucht wird.

Die üblichen Verdächtigen hierzulande lehnten Änderungen gegenüber Athen bereits ab. Der so genannte Wirtschaftsrat der CDU zum Beispiel sagte laut »Spiegel online«, es gebe »nach gut zehn Jahren Rettungspolitik« keinerlei Anlass »für ein solches Vorgehen«. Verbunden wird das in der Regel mit abfälliger Kritik an der SYRIZA-geführten Regierung, deren Versuche, »notwendige Reformen und die Privatisierungen voranzutreiben, können nur als halbherzig bezeichnet werden«. Die Freidemokraten äußerten sich ähnlich, Griechenland dürfe »nicht auf weitere Hilfen oder Schuldenerleichterungen hoffen«, die neue Bundesregierung müsse »dem Drang der französischen Regierung nach einer Schuldenunion« widerstehen.

Warten auf die Analyse der Schuldentragfähigkeit

Bisher hat sich Olaf Scholz ausweichend zu der Frage geäußert. In der »Süddeutschen Zeitung« sagte er auf die Frage, »ob spürbar Schulden gestrichen werden«, man müsse »die weitere Entwicklung abwarten«. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sagte dagegen in einem Interview, Schuldenerleichterungen für Griechenland seien »nicht der Schlüssel zur Lösung der grundlegenden Probleme«. Die Bundesregierung verweist auf die bisherigen Vereinbarungen, laut denen »mittelfristige schuldenerleichternde Maßnahmen nach Programmende erwogen werden, wenn eine dann zu erstellende Schuldentragfähigkeitsanalyse die Notwendigkeit hierfür zeigt«.

Vorgriffe darauf finden sich in Analysen von Ökonomen. Das Fazit-Blog der »Frankfurter Allgemeinen« berichtet über eine Studie einer Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern zu den Schulden Griechenlands, die die These aufstellen: »Athen wird auf Dauer mit der Schuldenlast nicht umgehen können.« In dem Papier werden die Positionen der Eurogruppe kritisiert und drei alternative Wege vorgeschlagen, »mit der griechischen Staatsverschuldung umzugehen, von denen aus der Sicht der Autoren aber nur einer gangbar ist: Griechenland braucht irgendeine Form der Umschuldung«. Eingeschränkt werden muss aber generell, »dass langfristige Schuldentragfähigkeitsanalysen schwierig sind«.

Anders liest sich, was die »Welt« berichtet: Der Freiburger Thinktank CEP warne in einer aktuellen Studie vor einem Ende der Kreditprogramme und also auch vor einer Schuldenerleichterung. Griechenland sei nach wie vor nicht kreditfähig, so das Blatt, das aus dem Papier zitiert: »Daran haben die drei Rettungspakete seit 2010 nichts geändert. Griechenland wird daher nicht ohne ein viertes Rettungspaket auskommen.« Die Freiburger Ökonomen – die sich in der Tradition von Eucken und Hayek sehen – verweisen auf ihren cepDefault-Index, der die Kreditfähigkeit einer Volkswirtschaft messen soll. »Für das erste Halbjahr 2017 weist das Barometer einen Rückgang von minus sechs Prozent aus – eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr und gleichzeitig der niedrigste Stand seit 2012«, so die »Welt«.

Was will die Regierung in Athen?

Zu berücksichtigen ist, dass praktisch alle ökonomischen Ratschläge, Prognosen und Bilanzen ihrerseits von politischen Normativen ausgehen – so wird die Wirkung von »Reformen« unterschiedlich bewertet und es werden wirtschaftspolitische Maßnahmen in unterschiedlichen Grundrastern gedacht, es macht eben einen Unterschied, ob man angebotstheoretisch an die Sache rangeht oder nachfrageorientiert.

Die SYRIZA-geführte Regierung setzt derweil auf einen Ausstieg aus den Kreditprogrammen ohne weitere »Hilfen« und die damit verbundenen politischen Auflagen. Worauf Athen pocht, sind die praktisch ja schon zugesagten Schuldenerleichterungen bezüglich der bereits ausgezahlten Kredite. Ministerpräsident Alexis Tsipras wird mit den Worten zitiert: »Um es klarzumachen: Das Gerede über eine vorsorgliche Kreditlinie, die manche sich vorbehalten wollten, hat sich erledigt.«

Natürlich spielen hier auch innenpolitische Fragen eine Rolle, worauf die »Welt« auch hinweist. »Dass Tsipras so auf den Ausstieg aus dem Rettungsprogrammen versessen ist, hat zum Teil auch rein innenpolitische Gründe. Spätestens im Oktober kommenden Jahres muss in Griechenland gewählt werden. Aktuellen Umfragen zufolge aber liegt der Premier mit seinem linken SYRIZA-Bündnis deutlich hinter der konservativen Nea Demokratia.«

Das ist auch nach der jüngsten Umfrage von Kapa Research so, allerdings fiel die Nea Demokratia hier erstmals in diesem Jahr unter 30 Prozent. SYRIZA liegt mit 23,3 Prozent dahinter. Auf dem dritten Platz liegt das Bündnis sozialdemokratischer Parteien (Pasok, Dimar, To Potami) mit knapp über 10 Prozent, die »Bewegung für Wandel« (Kinima Allagis) wird dabei genauso stark bewertet wie die neofaschistische Chrysí Avgí. Die kommunistische KKE kommt in dieser Umfrage mit 8,5 Prozent auf den besten Wert seit längerem, die von SYRIZA abgespaltene Formation Laïkí Enótita erreicht nur 2 Prozent.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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