Wirtschaft
anders denken.

Griechenland, die Schlagzeile von den »Drogen« und welche Wachstumsidee SYRIZA wirklich hat

10.05.2018
Cannabis Training University Lizenz: CC BY-SA 3.0

»Griechenland setzt auf Wachstum durch Drogen«, schlagzeilt eine deutsche Zeitschrift – und sendet eine Botschaft aus, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird: Was macht diese linksgeführte Regierung in Athen denn jetzt schon wieder!? Drogen?! Was wirklich dahinter steckt? Stimmungsmache gegen die eigenständigen Wachstumspläne von SYRIZA.

Im August läuft das dritte Kreditprogramm für Griechenland aus, die Debatte über die Zeit danach läuft auf Hochtouren. Es geht um die Frage, wie eng die SYRIZA-geführte Regierung in Athen an der Leine der Gläubiger gehalten wird, ob und welche Spielräume für eigenständige Kursentscheidungen größer werden, wie es mit dem horrenden Schuldenstand weitergeht und wer sich an der Fortsetzung der Krisenpolitik in welcher Weise beteiligt. Auch die Medien bringen sich bereits in Stellung, mitunter läuft das in altbewährter Weise.

»Griechenland setzt auf Wachstum durch Drogen«, schlagzeilt jetzt zum Beispiel die »Wirtschaftswoche« – damit eine Botschaft aussendend, die ihre Wirkung vor allem in der Bundesrepublik nicht verfehlen wird: Was macht diese Regierung in Athen denn jetzt schon wieder!? Drogen?! Das Blatt weiß seine Antwort, es handele sich um »eine kuriose Wachstumsstrategie«, an anderer Stelle wird diese als »einigermaßen kurios« bezeichnet.

Worum geht es eigentlich? Die »Wirtschaftswoche« will exklusiv aus einem »75-seitigen Papier« erfahren haben, dass Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Efklidis Tsakalotos der EU-Kommission »eine Wachstumsstrategie vorgelegt« hätten, »die unter anderem auf Drogen setzt«. Liest man genauer, erhofft sich die SYRIZA-geführte Regierung »von der Legalisierung von Cannabis für medizinische Zwecke« viel wirtschaftliches Volumen, man verspreche »sich Milliarden«. 

Irgendwas wird schon hängen bleiben

Und was sagt Brüssel dazu: Dort stoße »das Dokument bisher auf wenig Begeisterung«, ein namentlich nicht genannter »hoher EU-Beamter« wird mit den Worten zitiert: »Die Vorschläge sind das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben ist.« Ob das den Teil der Strategie betrifft, der auf die ökonomischen Potenziale der Legalisierung von Cannabis setzt, bleibt ein Rätsel. Kein Rätsel ist, auf welche Wirkung hier abgezielt wird: Griechen, Drogen, kuriose Vorschläge, Brüssel lehnt ab – irgendwas wird schon hängen bleiben.

Aber ist die Sache eigentlich so kurios, wie die »Wirtschaftswoche« meint? Oder hat sich das Blatt vor den Karren jener Kreise spannen lassen, die noch jede SYRIZA-Position ablehnten?

In diesem Frühjahr hat das Parlament in Athen ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Herstellung von Cannabis für medizinische Zwecke erlaubt und der Anbau sowie die Produktion bestimmter Erzeugnisse für pharmazeutische Zwecke geregelt wird. Die Novelle fand Zustimmung nicht nur bei den Regierungsparteien, sondern auch bei den eher in der Mitte angesiedelten Parteien To Potami und dem Bündnis Dimokratiki Symparataxi, in dem unter anderem die Reste der sozialdemokratischen Pasok und der Dimar mitmachen. 

Fünf Konsortien mit Investitionsplänen

Einen Trend zur Legalisierung von Cannabis, mindestens für medizinische Zwecke, kann man weltweit beobachten. Es geht dabei nicht nur um persönliche Freiheitsrechte oder pharmazeutische Wirkungen, sondern auch um einen riesigen Markt, der bisher vielerorts illegalisiert ist, damit unkontrolliert – und unbesteuert.

Einnahmen kann Athen gut gebrauchen, zumal, wenn es sich um »Einnahmen« handelt, die nicht durch Sozialkürzungen oder gravierende Eingriffe in die Ökonomie erzielt werden, sondern durch Förderung einer eigenständigen Wirtschaft. Kurz nach dem Parlamentsbeschluss wurde Anfang März bekannt, dass fünf Konsortien mit Investitionsplänen für den Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke in den Startlöchern stehen, die zumindest in der Planphase ein Volumen von über eine Milliarde Euro haben. 

Die Unternehmen seien bereits bei Vizewirtschaftsministers Stergios Pitsiorlas vorstellig geworden. Die konservative Zeitung »Kathimerini« äußerte zwar Zweifel: Es bleibe »abzuwarten, ob sich das anfänglich starke Interesse in tatsächliche Investitionen verwandelt«. Aber das Blatt steht auch der Nea Dimokratie nahe, die sich gegen die Herstellung von Cannabis für medizinische Zwecke ausgesprochen hatte.

Nun wird man nicht auf die Idee kommen, dass Griechenland unter SYRIZA seine wirtschaftliche Zukunft auf den Anbau von medizinischem Cannabis bauen will. Dass dies aber Teil einer Strategie sein kann, die nicht »einigermaßen kurios« ist, sondern sinnvoll und den Möglichkeiten des Landes entsprechend, sollte man doch mindestens erwägen. 

Sozial, inklusiv, nachhaltig: Athens Wachstumsstrategie

Der künftige Wirtschaftskurs Griechenlandes spielte zuletzt auch beim Treffen der Eurogruppe und des informellen ECOFIN-Rates Ende April 2018 in Sofia eine Rolle. Dort bekamen die Minister einen Einblick in die Pläne Athena. »Tsakalotos präsentierte die künftige griechische Wachstumsstrategie«, heißt es in einer Unterrichtung der Bundesregierung an den zuständigen Finanzausschuss des Bundestags. Die Abgeordneten bekamen zwar nicht das 75-seitige Papier zu Gesicht, aus dem die »Wirtschaftswoche« angeblich schöpfte. Dafür aber eine Kurzpräsentation mit Stand Ende April – Titel: »A Growth Strategy for the Future«. 

Aus der groben Zusammenstellung lassen sich immerhin die politischen Ziele verstehen, die die SYRIZA-geführte Regierung verfolgen will: Es soll ein Wachstum sein, das eine nachhaltige Haushaltspolitik ermöglicht, es sollen strukturelle Voraussetzungen für eine ökonomische Entwicklung geschaffen werden, die nicht von »Hilfsmaßnahmen«, äußeren Vorgaben oder Strohfeuerpolitik geprägt ist. Und es geht um die Gewährleistung eines fairen und inklusiven Wachstums, das nicht die ohne bestehende Ungleichheit noch zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit verstärkt, sondern die gesellschaftliche Reichtumsproduktion auch denen zugute kommen lässt, die zu ihr zuvörderst beitragen.

SYRIZA will deshalb unter anderem sich öffnende fiskalische Spielräume »zur Senkung der Steuerlast und Erhöhung der Sozialausgaben« nutzen, sie will dafür sorgen, dass »mehr und bessere Jobs« geschaffen werden, der Mindestlohn soll mit den Erfordernissen einer Ökonomie steigen, die Binnennachfrage braucht und so weiter. Es gehe, heißt es in dem Papier, um die »Entwicklung einer gesunden und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Zukunft«, bei der integrative Bildung sichergestellt ist, der Sozialschutz ausgeweitet wird, es eine universelle und effektive Gesundheitsversorgung gibt, und in der eine »sozial orientierte Wirtschaft« gefördert wird. 

Aus einer bestimmten Denkweise heraus mag das als »eine kuriose Wachstumsstrategie« interpretiert werden. Man könnte zurückfragen, wie man denn dann jene Krisenpolitik nennen müsste, die unter der Parole von »Hilfsprogrammen« viel Schaden angerichtet hat und nach Ansicht von nicht wenigen Experten viel zu lange auf einen »Berliner« Austeritätspfad gezwungen wurde, bei dem man sich die Frage könnte, ob der nicht viel eher was mit Drogen zu tun hat. 

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