Wirtschaft
anders denken.

Es ist so einfach, Nein zur GroKo zu sagen. Aber es ist nicht so einfach

19.01.2018
Olaf Kosinsky, Lizenz: CC BY-SA 3.0Sonderparteitag der SPD in Bonn 1987.

Würden »wir das aushalten«, wenn die SPD untergeht? Und wäre wirklich für die Sozialdemokratie »auf längere Sicht viel mehr zu gewinnen«, wenn sie jetzt Nein zur GroKo sagt? Ein paar ziemlich niedergeschlagene Anmerkungen zur Lage der Sozialdemokratie.

Fangen wir mit den Fakten an: Flüchtlingspolitisch ist das Sondierungsergebnis eine Katastrophe; sozialpolitisch muss von einem Reinfall gesprochen werden. Das haben sich nicht Gegner der SPD ausgedacht, sondern Leute, die davon Ahnung haben. Umverteilungspolitisch bleibt das Papier von Union und SPD klar unterhalb des Möglichen, im besten Falle lässt sich sagen, dass die Steuerideen keinen größeren Schaden anrichten würden. Dass die Seite der Arbeit in hinreichender Weise zu Lasten der jahrzehntelang gepamperten Interessen des Kapitals wieder etwas gestärkt würde, kann man nicht gerade behaupten. Drei, vier Sachen wären dagegen zu begrüßen. Aber sonst?

Wäre es also nicht an der Zeit, in den Chor derer einzustimmen, die nun tönen, die SPD müsse mehr Mut zu diesem oder zu jenem haben. Zu einem Nein zu Koalitionsverhandlungen zum Beispiel, weil das Ergebnis in der nächsten Verhandlungsrunde wohl nicht viel besser wird.

Oder zu einem Ja zur Opposition, weil die große alte Sozialdemokratie sich dort nicht nur erholen, sondern sogar erneuern werde können. Oder mehr Mut, es auf eine Minderheitsregierung von Angela Merkel ankommen zu lassen, weil das demokratiepolitisch gut ist und man trotzdem progressive Sachen in einem zugleich repolitisierten Parlament durchbringen könnte.

Mehr Mut jedenfalls. Ehrlich gesagt: Die Lage, in dieser Überzeugung ist der Text geschrieben, bietet doch in Wahrheit viel mehr Anlass, mutlos zu sein. Man kann das feige oder ängstlich nennen, wenn hier jetzt nicht gleich »NoGroKo« gerufen wird. Es ist aber wohl besser als eine Position beschrieben, die derzeit ohne große Zuversicht auskommen muss, eine Position, die einzunehmen man sich niedergeschlagen, hoffnungslos fühlt. Und auch ein bisschen einsam.

Man möchte ja schließlich gern Teil einer NoGroKo-Bewegung sein. Oder einer GroKo-Bewegung. Aber es geht nicht. Beides nicht.

Dauerton im Kopf

Man kann über die Argumente jener, die nun bedenkenswerte Gründe vorschlagen, aufgrund der Lage doch erst einmal in Koalitionsverhandlungen zu gehen, eben nicht gut nachdenken, wenn man zugleich einen erpresserisch klingenden Dauerton im Kopf hat: Wer jetzt Nein zur GroKo sagt, der zerstört die SPD, hat keine staatspolitische Verantwortung, sei blöde oder ein Milchgesicht.

Das gilt übrigens auch deshalb, weil da noch dieser andere Dauerton im Kopf ist, laut dem die SPD zerstört, wer jetzt Ja zur GroKo sagt, weil er kein sozialdemokratisches Herz hat, neoliberal sei oder ein Seeheimer. Wahrscheinlich weiß jeder, dass beide Chöre nicht überzeugen. Dass die Lieder schief klingen. Dass die Strophen nicht stimmen. Und weil das so ist, singen alle um so lauter. Von angeblichen Erfolgen. Von drohenden Untergängen. Von kommenden Erneuerungen.

Hoffnung machende Antworten noch Mangelware

Die Alternative wäre, sich ein paar Fragen zu stellen. Und es erst einmal auszuhalten, dass darauf überzeugende, mitreißende, Hoffnung machende Antworten noch Mangelware sind.

Warum zum Beispiel sollte die SPD in der Opposition zu einer neuen Politik finden? Passiert das automatisch? Sind durch den Prozess, den die Sozialdemokraten jetzt durchmachen, schon irgendwelche Weichen tatsächlich gestellt, die diese Annahme rechtfertigen?

Und was hieße das eigentlich: Erneuerung? Was wären denn die programmatischen Kerne einer solchen Renaissance, was die strukturellen Konsequenzen? Und wer würde da erneuern? Die SPD wird nach einem Gang in die Opposition nicht unbedingt eine andere sein als jetzt. Ein paar Köpfe würden rollen, aber so etwas ändert in aller Regel nichts am System.

Minderheitsregierung? Echt jetzt?

Oder die Sache mit der Minderheitsregierung. Der Autor dieser mutlosen Zeilen gehört zu den Befürwortern solch flexibler Modelle. Aber seien wir ehrlich: Nicht in dieser Lage.

Wäre es nicht so, dass eine Minderheits-Kanzlerin Merkel europapolitisch in den meisten Belangen nach eigenem Belieben agieren könnte, was in der gegenwärtigen Situation der EU nicht eben ein Garant für solidarische Europareformen wäre? Ist es nicht so, dass wichtige Fragen auf der Ebene des Europäischen Rates entschieden werden und die Beteiligung des Parlaments auf bestimmte Bereiche begrenzt ist?

Und haben wir nicht alle schon dreimal nachgerechnet, wie dort die Stimmverhältnisse aktuell sind? Die Debatte um die Option Minderheitsregierung wird mit Argumenten der Vergangenheit im Kopf geführt, was verständlich ist. Aber es gibt nun einmal derzeit keine rechnerischen Mehrheiten im Bundestag mehr für »linke« Projekte wie in vergangenen Wahlperioden. Eher würde im Falle wechselnder Mehrheiten die Wahrscheinlichkeit zunehmen, dass sich ein bürgerlich-rechter Block Entscheidungen durchsetzt – durchaus wäre auch an Zustimmung der AfD im Parlament zu denken. Mit welchen praktisch-politischen Ergebnissen ist dabei zu rechnen?

Jedenfalls mit keinen, die im Sinne der linken Befürworter einer Minderheitsregierung wären. Denn für eine solche Option wäre man ja nicht der Minderheitsregierung wegen, sondern weil damit etwas erreicht werden könnte, was sonst schlechter zu erreichen ist. Nehmen wir noch einmal die Fakten vom Beginn des Textes: Was wäre flüchtlingspolitisch, sozialpolitisch, umverteilungspolitisch derzeit mehr herauszuholen, wenn es eine Minderheitsregierung gebe?

Links von der SPD wird niemand profitieren

Der Punkt ist, dass die Sozialdemokratie in der gegenwärtigen Lage praktisch nur verlieren kann. Das gilt zuallererst für die SPD und für Neuwahlen: in Prozenten. Denn so richtig die Kritik am Sondierungsergebnis ist, so anders gelagert werden die Wahlentscheidungen der Leute sein. Auch derer, die zuletzt bei Martin Schulz angekreuzt haben. Der medial-politische Betrieb wird seinen Beitrag dazu leisten. Und die in der SPD, die sich Hoffnungen machen für die übernächste Wahl.

Links von der SPD wird niemand davon profitieren und selbst wenn die dort nun als Sammlungsziel ausgegebenen 15 Prozent erreicht würden, wäre es wohl nicht mehr als ein Einsammeln derer, die von der SPD weggehen. Geht noch eine andere Sammlungsbewegung an den Start, dürfte das eher die Chancen eines doppelten Scheiterns an der Sperrklausel erhöhen. Die Grünen? Auch gerade kein wachsendes Bollwerk. Die sozialdemokratische Matrix: ein mürber Flickenteppich.

Wer ist wir und was halten die Leute aus?

Im »Freitag« konnte man jetzt lesen, dass »wenn die deutsche Sozialdemokratie sich ihren europäischen Schwestern anschließen und den Weg in die Selbstvernichtung antreten möchte«, in diesem Falle »wir auch das aushalten« werden. Der das schreibt, Jakob Augstein, gehört wahrscheinlich zu diesem »Wir« und würde es also auch aushalten. Aber tun das alle anderen ebenso? Ist, so sehr man die Sozialdemokratie nicht aus der Verantwortung für ihre frühere Politik lassen darf, eine Welt ohne sie schon gleich und auch wirklich eine bessere?

Oder der Kollege Stephan Hebel, der glaubt, »wenn die SPD Nein sagen würde, würde sie zwar jetzt etwas ›liegen lassen‹. Aber sie – und das Land, das dringend echte Reformen braucht – könnte auf längere Sicht viel mehr gewinnen.« Könnten die beiden das? Echte Gewinner werden durch ein bloßes Nein zur GroKo?

Dass es allen Grund zu einem sozial-ökologischen Umbau gibt, von mir aus auch mit einer Perspektive, die viel weiter geht, bestreitet auf Seiten der gesellschaftlichen Linken, im progressiven Lager eigentlich niemand. Dass die SPD eine andere, das heißt auch: eine stärkere politische Kraft werden könnte, wenn sie dies zu ihrem Programm machte und noch einen utopischen Überschuss dazu anbietet, stimmt sicher auch. Oder wäre jedenfalls eine Überprüfung in der Praxis wert.

Mehr als das Programm oder der Wille

Aber woher wird die Überzeugung genommen, mit einem Nein am Sonntag wäre die Tür dorthin offen? Oder gar bereits durchschritten? Um nicht noch einmal das Personalproblem anzuführen – vielleicht ist es eines der Substanz? Und damit ist hier mehr gemeint als das Programm oder der Wille.

Hebel hat vorgeschlagen, »die Ergebnisse der Sondierung an den eigentlichen Zielen der Sozialdemokratie (oder auch der Gewerkschaften) zu messen«. Liegt hier vielleicht das Problem? Dass die real existierende SPD derzeit eben nicht mehr will und auch der DGB nicht? Und dass es so lange spekulative Hoffnung bleibt, auf »die eigentlichen Ziele« zu setzen?

Wenn die zentrale Ressource verschwindet

Müsste man nicht erst einmal der Frage nachgehen, die ausgerechnet Sigmar Gabriel zuletzt gestellt hat? Ausgerechnet in einem Text, der dann wegen der Benutzung der Begriffe Heimat, Leitkultur und Postmoderne ins Gerede kam. Aber leider nicht wegen des Satzes: »Fast alle Bedingungen für den sozialdemokratischen Erfolg in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sind verschwunden.«

Was bedeutet das eigentlich für alles, was zuvor gesagt wurde? Für die Position derer, die glauben machen wollen, in einer Großen Koalition etwas herauszuholen zu können? Und für die, die sagen, eine Wiederauferstehung der Sozialdemokratie gelinge nur in der Opposition? Der Kapitalismus ist hier wie dort derselbe. Und auch seine Veränderung wirkt hier wie dort.

Oliver Nachtwey hat einmal über die längst vergangenen Zeiten des verteilungspolitisch günstigen langen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben: »Wachstum bildete in der Vergangenheit die zentrale Ressource für eine Moderation struktureller Ungleichheiten, indem bei steigender Produktivität Beschäftigung und gesellschaftliche Integration durch sozialen Aufstieg ermöglicht wurden.« Man darf hinzufügen: Dies war nationalstaatlich organisiert.

Kein Irrtum, der einfach korrigiert werden könnte

Könnte es sein, dass Thomas Sablowski recht hat, der die sozialdemokratische Frage einmal ganz fernab von GroKo und NoGroKo, von »Verräter«-Polemik und der Psychologisierung von Politik, in der es nur noch Versager, Lichtgestalten und Apparatschiks gibt (und die immerzu gute Basis, warten wir den Mitgliederentscheid ab) zu beantworten versuchte?

Das, was Sablowski »die neoliberale Wendung der Sozialdemokratie« nennt, war demnach »nicht lediglich ein politischer Fehler, ein Irrtum, der einfach korrigiert werden könnte. Vielmehr war sie ein Resultat der Erkenntnis, dass die traditionellen sozialdemokratischen Positionen unter den Bedingungen freier Kapitalmobilität und verschärfter Weltmarktkonkurrenz nicht mehr aufrechterhalten werden können.«

Worauf aber gründet sozialdemokratische Politik dann? Worauf kann sie noch gründen?

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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