Wirtschaft
anders denken.

177 Seiten, Rochaden bei der SPD und ein Heimat-Minister Seehofer: OXI-Überblick zur GroKo

07.02.2018

Hier nun also ist der Entwurf des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD. In der CDU macht sich bereits Ärger breit, weil zu wenige Ministerien rauskommen. Die SPD wird sich auf die Schulter klopfen, wichtige Ressorts bekommen zu haben. Aber da ist ja noch der politische Inhalt des Koalitionsvertrages. Da sieht es weniger günstig aus.

Zur sachgrundlosen Befristung heißt es im Entwurf, »Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung werden reduziert. Sachgrundlose Befristungen werden wieder zur Ausnahme, das unbefristete Arbeitsverhältnis soll wieder zur Regel werden in Deutschland. Endlose Kettenbefristungen werden abgeschafft«. Weiter hinten im Vertrag steht dann dazu: »Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich.«

Und weiter: »Wir wollen nicht länger unendlich lange Ketten von befristeten Arbeitsverhältnissen hinnehmen. Eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist dann nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben. Wir sind uns darüber einig, dass eine Ausnahmeregelung für den Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz wegen der Eigenart des Arbeitsverhältnisses (Künstler, Fußballer) zu treffen ist. Auf die Höchstdauer von fünf Jahren wird bzw. werden auch eine oder mehrere vorherige Entleihung(en) des nunmehr befristet eingestellten Arbeitnehmers durch ein oder mehrere Verleihunternehmen angerechnet. Ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ist erst nach Ablauf einer Karenzzeit von drei Jahren möglich.«

Was den Einstieg in die Bürgerversicherung angeht – der kommt erstmal nicht, der Schritt »Angleichung der Arzt-Honorare für gesetzlich und privat Versicherte« ist erst einmal in eine Kommission abgeschoben. Wörtlich heißt es im Entwurf des Vertrags: »Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM), als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden. Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet. Dies bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Bundesregierung wird dazu auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eine wissenschaftliche Kommission einsetzen, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.« Die Deutsche Presse-Agentur schreibt: »Ob der von der SPD geforderte Schritt auch realisiert werde, hänge auch von der Machbarkeit ab.«

Ein erheblicher Schlag ins Kontor der Sozialdemokraten, die dies nun kaum als »Nachbesserung« verkaufen können. Als »den hohen Erwartungen in weiten Teilen gerecht« werdend hat indes der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Einigung in dieser Sachfrage bezeichnet. Er verwies vor allem auf die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge. »Zwar konnte die Bürgerversicherung nicht erreicht werden«, so Lauterbach weiter, die Einsetzung der genannten Kommission zu den Ärztehonoraren nannte er aber einen »wichtigen Schritt« zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin. Dass der Ausgang völlig offen ist, macht Lauterbach nicht bange. Er zeigte sich »sicher«, dass man da »schnell zu einer Lösung kommen« werde.

Noch müssen diverse Gremien über den Entwurf des Koalitionsvertrages sich beugen. Und der Mitgliederentscheid bei den Sozialdemokraten steht ja auch noch aus. Was zunächst wie Antworten klingt, sind eigentlich neue Fragen: Reichen die »Nachbesserungen« der SPD-Basis? Was bedeutet es für die Personalien in der Partei, wenn die Sozialdemokraten sechs Ministerien bekommen? Schulz will Außenminister werden, was sagt Gabriel – und wie reagieren andere in der Parteispitze? Nahles soll künftig die Sozialdemokraten führen – aber was heißt das?

Nicht weniger spannend: Was kann die SPD anfangen in den Ressorts Außen und Finanzen sowie Arbeit/Soziales – mit diesem Koalitionsvertrag? Weitere Ressorts für die SPD übrigens: Familien-, Justiz- und das Umweltministerium. Und: Zunächst waren keine Namen von Frauen im Gespräch, das wird sich noch ändern. Aber die Tatsache, dass erstmal die Männer die zentralen Ministerien aufteilen, sagt auch was aus.

Eine Sache kann man jetzt schon sagen: Es darf mit einer innenpolitischen Diskursverschärfung gerechnet werden. Mindestens bis zur Landtagswahl in Bayern. CSU-Chef Horst Seehofer soll Innenminister in Berlin werden – und das Ministerium mit den Bereichen Bau und Heimat »aufgewertet werden«, wie es in Agenturmeldungen heißt. Die CDU bekommt unter anderem das Wirtschafts- und das Verteidigungsministerium.

Mittwoch, 6 Uhr: »Bild«-Chef: Die Ausländer, die Ausländer!

»Der Fortschritt ist eine Schnecke«, so wird SPD-Vize Ralf Stegner zitiert. Auch nach fast 20 Stunden Gesprächen gibt es noch keine Einigung in ihren Koalitionsverhandlungen. Die wartenden Journalisten hoffen auf den Besuch des italienischen Premierministers Paolo Gentiloni, der nach bisherigen Plänen um 12 Uhr von Kanzlerin Angela Merkel empfangen werden sollte – bis dahin müsste also ein Ende erreicht sein. Oder auch nicht.

Die Nachrichtenagentur AFP schreibt: »Den Abschluss der Gespräche soll die rund 90-köpfige große Runde der Verhandler von CDU, CSU und SPD bilden. Wann diese zusammentreten kann, war unklar.« Und es geht dem Vernehmen nach weiterhin um die beiden wichtigen SPD-Forderungen, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen einzudämmen sowie die unterschiedliche Bezahlung von Ärzten für die Behandlung von Kassen- und Privatpatienten abzuschaffen – als wenigstens kleinen Einstieg in die Bürgerversicherung. Ohne diese »Nachbesserungen« dürfte es für die Sozialdemokraten schwer werden, von den Mitgliedern ein sicheres Ja-Votum zu bekommen. Laut der SPD-Spitze sind seit Jahresanfang 24.339 neue Mitglieder eingetreten.

Unterdessen sorgen das größte Drecksblatt der Welt und ein Kommentar von »Bild«-Chef Julian Reichelt für Empörung – der machte gegen Nichtdeutsche Front, die nun als neue sozialdemokratische Mitglieder über die Regierung mitentscheiden dürften, obwohl sie kein Wahlrecht hier hätten. Dies sei »unanständig«, so Reichelt, der dafür Juso-Chef Kevin Kühnert verantwortlich machte. Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht fand die Sache ekelhaft. Ein Kollege der »Berliner Zeitung« kommentierte die »Bild«-Stimmungsmache mit den Worten: »Für so einen Schrott hat der Diekmann den Fest damals rausgeworfen. Zu Recht.« Nicolaus Fest war 2014 wegen eines als muslimfeindlich angesehenen Kommentars in die Kritik geraten und hatte das Boulevardblatt später verlassen und war AfD-Kandidat geworden.

Dienstag, 17 Uhr: ein Papier mit wichtigen Löchern

Die Verhandler von Union und SPD sind nun offenbar wirklich auf der Strecke angekommen, von der schon öfter die Rede war: auf der Zielgeraden. Auf Chefebene kommt noch am Dienstag eine Schlussrunde zusammen, es ist von einer Liste mit gut einem Dutzend Dissenspunkten die Rede, die noch ungelöst seien. Darunter die SPD-Kernanliegen Einstieg in die Bürgerversicherung und Ende der sachgrundlosen Befristungsmöglichkeiten. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es noch Debatten, hier sollen zum Beispiel die Finanzierung der Bundeswehr und der Entwicklungspolitik umstritten sein, auch beim Thema Rüstungsexporte gibt es dem Vernehmen nach noch Beratungsbedarf.

Unterdessen kursiert ein Entwurf des Koalitionsvertrages mit Stand von Montagmittag, der 167 Seiten umfasst – allerdings sind wichtige Passagen noch gar nicht in das Dokument eingearbeitet. So fehlt etwa in dieser Version noch die Präambel. Das »Handelsblatt« (hier) und »Spiegel« (hier) haben bereits erste Überblicke über das Papier auf ihren Seiten.

Interessant dürfte der Vergleich der derzeit für heute Nacht erwarteten Einigung mit dem Sondierungsergebnis werden – immerhin hatte die SPD erklärt, wichtige Nachbesserungen erreichen zu wollen. Am 12. Januar war in der SPD eine Positivliste herumgereichtworden. Die Sozialdemokraten würden für sich beanspruchen, »in den Sondierungen mit der Union 60 inhaltliche Punkte aus dem SPD-Parteitagsbeschluss durchgesetzt zu haben«, hieß es in Medienberichten. Darüber hinaus werden in dem Papier 19 weitere Punkte als Erfolge für die SPD aufgelistet. Eine weit kürzere Liste der »Erfolge« hat die SPD inzwischen auf ihrer Website veröffentlicht.

Über den seither erreichten neuen Stand der Gespräche hatten sich Verbände und Zivilgesellschaft eher zurückhaltend bis kritisch geäußert. Auch ein Vergleich mit dem letzten Stand der dann abgebrochenen Jamaika-Sondierungen könnte sich lohnen – das Ergebnis der Jamaika-Sondierungsgespräche findet sich hier. Die Verhandlungen von CDU, CSU, FDP und Grünen  waren in der Nacht zum 20. November 2017 geplatzt, nachdem die Freidemokraten die Gespräche als gescheitert hingestellt hatte.

Dienstag 16 Uhr: Die Jusos, NoGroKo und der Mitgliederentscheid

Ein großer Punkt in der öffentlichen Debatte ist auch kurz vor Ende der Koalitionsgespräche: Ist es in Ordnung, dass die SPD-Mitglieder über den Vertrag abstimmen? Und damit zusammenhängend wird auch immer wieder gefragt: Ist es in Ordnung, dass die Jusos zum Eintritt in die Sozialdemokratie mobilisieren, obwohl das so aussieht, als sollten die Neumitglieder bloß gegen das Regierungsbündnis stimmen?

Einmal abgesehen davon, dass die Jusos eine solche Kampagne dementieren und erklären, selbstredend sollten neue Genossen sich auch danach in der SPD engagieren, wird das Thema gern in Stellung gebracht: gegen die Kritiker einer GroKo. Der Mitgliederentscheid selbst wiederum, ähnliches Verfahren wie 2013, wird gegen die SPD und gegen deren Basisdemokratie positioniert. All dies stößt freilich auch auf Kritik.

Die Landesvorsitzende der SPD in Baden-Württemberg, Leni Breymaier, sagte, »wer sich jetzt darüber erregt, dass 440.000 SPD-Mitglieder über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen dürfen, sollte sich kurz klar machen: So was entscheidet in der FDP ein Mann alleine und in der Union zwei Vorstände.« Sie nenne das SPD-Vorgehen hingegen »Demokratie«.

In der Nachrichtenagentur AFP wird der Parteienforscher Hendrik Träger von der Universität Leipzig mit den Worten zitiert, die Parteien sollten bei der politischen Willensbildung mitwirken – und »das ist doch viel eher gegeben, wenn 450.000 SPD-Mitglieder entscheiden, als wenn 1.000 Delegierte oder 40 Vorstandsmitglieder entscheiden«.

Klar ist soviel: Vor dem Basisvotum verzeichnet die SPD eine Eintrittswelle. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die Zahl neuer Genossen beläuft sich auf mehrere Tausend. Wer bis Dienstag 18 Uhr seinen Eintritt erklärt, darf auch über den Koalitionsvertrag mit abstimmen. Juso-Chef Kevin Kühnert sagte, 2013 seien 6.000 Menschen vor dem Mitgliederentscheid der SPD eingetreten. »90 Prozent von ihnen sind heute noch an Bord«.

Derweil prüft das Bundesverfassungsgericht verschiedene Anträge, die sich gegen den Mitgliederentscheid richten. Zwei von fünf solcher Begehren seien bereits abschlägig beschieden worden. Karlsruhe hatte bereits 2013 einen Antrag auf einstweilige Anordnung gegen den damaligen Basisentscheid zurückgewiesen. Damals hieß es, »wie die politischen Parteien diesen parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliegt unter Beachtung der – jedenfalls hier – nicht verletzten Vorgaben aus Art. 21 und 38 GG sowie des Parteiengesetzes grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung«.

Übrigens: Die SPD-Spitze wird zweifellos den gesamten Apparat einsetzen, um die Basis in ihrem GroKo-Sinne zu bearbeiten. Die Taz schreibt: »Wie 2013 wird den Wahlunterlagen Werbung der Parteispitze für den Ko­ali­tions­vertrag beiliegen. Und keine Argumente der Gegner.« Die Jusos nannten dies ein grobes Foulspiel des Parteivorstands.

Dienstag 15 Uhr: Wie geht es ab morgen weiter?

Sollten sich die Parteien bis Mittwoch verständigen, würden danach viele Gremien zusammenkommen. Haben Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz als Verhandlungsführer das Papier unterzeichnet, wird es erfahrungsgemäß den Fraktionen vorgestellt. Die Reaktionen – sowohl aus de eigenen Reihen als auch aus der Zivilgesellschaft – dürften dann vor allem für die SPD wichtig werden: bei der sollen die Mitglieder über den Vertrag entscheiden. Wie die Sache ausgehen könnte, darüber sind Prognosen schwierig. Auch der Parteitagsbeschluss zur Aufnahme von Verhandlungen fiel knapper aus als viele dachten. 2013 lag die Zustimmung zu dem Papier allerdings für viele höher als erwartet. Ende Februar stimmt die CDU auf einem Parteitag in Berlin über den Koalitionsvertrag ab. Anfang März dürften die Voten der SPD-Basis ausgezählt vorliegen.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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