Wirtschaft
anders denken.

Die Grünen, die neue Doppelspitze und die Reaktionen: Ist irgendwas passiert?

28.01.2018
Die neue Doppelspitze der Grünen Anna-Lena Baerbrock und Robert Habeck am 27.01.2018 in Hannover

Die Grünen haben eine neue Doppelspitze. Journalisten jubeln und Linkspolitiker machen den Türsteher für Mitte-Links: Kein Eintritt mehr für die Ökopartei? Ein Plädoyer für mehr Gelassenheit.

Die Grünen haben eine neue Doppelspitze. Man könnte das zunächst einmal für unspektakulär halten. Der Personalwechsel kam schließlich nicht überraschend, die Sache mit der Flügellogik und was sie überhaupt noch repräsentiert ist auch ein eher alter Zopf. Es sah zudem nicht so aus, als ob sich linke Grüne einer politischen Überrumpelungsaktion der Realos erwehren müssten. Jürgen Trittin sprach vor der Bundesdelegiertenkonferenz von einer »neuen Zeitrechnung« – und er traute Robert Habeck zu, »diese Partei als eine progressive ökologische, linke Kraft neu zu profilieren«. Dass Anja Piel nicht gewählt wurde, wird man auch nicht als große Richtungsentscheidung ansehen können. Und was die Beschlüsse angeht – einer gegen Rüstungsexporte in die Türkei, einer mit der üblichen Standortbestimmung, aus der man nun auch keine programmatische Kurswende herauslesen kann. Die naheliegende Reaktion könnte also heißen: Mal gucken, was das jetzt wird.

Mit Ironie und grünen Herzen

Umso auffälliger sind zwei Reaktionsmuster – bei der Linkspartei und unter Journalisten. Aus dem Lager der letztgenannten tropfte bereits reichlich Lob, manche Analyse trat gar in der Verkleidung überschwänglicher Begeisterung auf. »Aufbruchstimmung«, »wichtiges Signal«, »Verantwortung kann auch Spaß machen« … und eine neue Doppelspitze, »die nicht nur viel Leidenschaft mitbringt, sondern das größte Problem im Land zentral in den Blick nimmt: den bedrohten Zusammenhalt in der Gesellschaft«. Hier und da wurde mit galliger Ironie dagegengehalten: »Diese Begeisterung, die aus den Tweets vieler Journalisten spricht, möchte ich auch einmal empfinden«. Komischer geht es nur mit grünen Herzen.

Der unverhohlene mediale Jubel lässt sich leicht erklären. Aus Studien über die politischen Ansichten wissen wir, dass viele Medienarbeiter den Grünen zuneigen, was bei einem Blick auf die soziale Lage und die damit üblicherweise in Verbindung gebrachten Ansichten keine Überraschung ist. Und wenn in diesen Zeiten der politische Betrieb dann als so eine eher traurige Angelegenheit erscheint, freut man sich eben auf ein bisschen gut inszenierten »Aufbruch«. Es ist nicht das erste Mal, dass diese Art von psychologischem Mitläufereffekt die Grünen trifft. Aber die SPD saß ja auch schon im »Schulzzug«, das lief ganz ähnlich – als Praxis, die vor allem die Schmerzen überdecken sollte, die beim Blick auf andere Parteien ausgelöst werden.

Phantomschmerz bei der Linkspartei

Was die Linkspartei angeht, muss man wohl auch von einem Phantomschmerz ausgehen: Mit großer Geste wird nun hier und da festgestellt, auf welchen Weg sich die Grünen am Wochenende angeblich »endgültig« gemacht haben. Zwei Sachen fallen auf – das große Grüne-sind-nicht-mehr-links-erklären ist ein flügelübergreifendes Problem, das mag mit taktischen Hintergedanken zu tun haben, die auf die Konkurrenz der beiden kleinsten Oppositionsparteien im großen Rennen um Sichtbarkeit zurückgehen.

Zum zweiten entdeckt man Spurenelemente einer neuen Parteienkultur, dass nämlich, läuft es bei anderen grad kontrovers, sehr viel Bemühen darin gesetzt wird, womöglich von den aktuellen Entwicklungen in anderen Parteien enttäuschte Anhänger für sich zu gewinnen. Wer sehr laut ruft, die Grünen hätten »den linken Teil ihrer Geschichte hinter sich gelassen«, sagt ja leise auch: Bei uns könnt ihr diese Geschichte weiterspinnen.

Natürlich spielen noch andere Elemente in die Reaktionen aus der Linkspartei hinein. Wer zum Beispiel vom »Ökowohlfühlwohlstandsbürgertum« spricht, will damit etwas über den Stellenwert aussagen, den die ökologische Frage im eigenen Denken hat, und ein bisschen von der Anti-progressive-Mittelschichten-Stimmung einstreichen. Und wer den Abschied einer Partei aus einem »Lager« erklärt, denkt wohl auch daran, wie zuvor innerhalb dieses Lagers übereinander gesprochen wurde. Und nun also weiter wird. Was neue Fragen hervorbringen könnte, nämlich die, wie man eigene politische Ziele eigentlich aus einer Zehn-Prozent-Position durchsetzen möchte. (Es geht übrigens, was linke Reaktionen auf die Grünen angeht, auch anders, wie sich hier zeigt.)

Die Grünen haben also eine neue Doppelspitze. Ist irgendwas passiert? Nun, einige Journalisten haben sich vor lauter Schulz-Schmerzen, Merkel-Überdruss und mangelnden Alternativen ein bisschen euphorisch geäußert. Mal sehen, wie lange der Habeck-Baerbrock-Zug auf den medialen Jubelgleisen bleibt. Und einige von der linken Parteienkonkurrenz haben sich so geäußert, wie es diese Konkurrenz nun einmal zu erfordern scheint.

Und was sagen eigentlich die linken Grünen? Hans-Christian Ströbele wird mit den Worten zitiert: »Die Grünen waren immer auch eine linke Partei und werden es auch bleiben.« Das »immer auch« hat etwas schön Realistisches mit Hoffnungsanteil. Jürgen Trittin sagt, was da auf dem Parteitag ablief, sei ziemlich normal für »eine ökologische Partei der linken Mitte«. Und der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold meint, schon lange nicht mehr »so viel Kapitalismuskritik wie bei den Bewerbungsreden« von Parteivorsitzenden gehört zu haben.

Wie wäre es mit: Das einerseits nicht zu überschätzen, weil die Probe aufs Exempel in der Praxis noch aussteht; und das andererseits nicht wegzureden, weil keine Hoffnung darin liegt für die Erfolgsaussichten einer anderen Politik?

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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