Wirtschaft
anders denken.

Fifty Shades of Green

29.09.2021
Ein Beet mit grünen KleeblätternFoto: damesophie auf Pixabay

Über das Chamäleon in der politischen Ökonomie digitaler und ökologischer Transformation: Die Grünen. Eintrag ins Tagebuch des politischen Umbruchs. 

»der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe, sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.«
Friedrich Engels, Herrn Eugen Dühring’s Umwälzung der Wissenschaft, in: MEW, Bd. 20, S., 239-303, hier S. 260.

»Wir können garantieren, dass wir Ihr Geld vermehren und gleichzeitig, dass Ihre Anlage einen Wert für die Gesellschaft und für den Planeten hat. Uns […] ging es natürlich immer um maximalen Profit. Aber auch wir haben verstanden, dass es für die Menschen etwas gibt, dass für die Menschen viel wertvoller ist, als einfach nur’n paar Promille mehr Rendite aufm Konto. Nichts ist so wertvoll, wie das beruhigende Gefühl, das Richtige zu tun.«
Jana Liekam in ›Bad Banks‹, Staffel 2, Episode 2, ›Bankensterben‹

I. Einleitung

Im Mai 2021 hatten sich Bündnis 90/DIE GRÜNEN und die Unionsparteien in Umfragewerten bei ca. 25% getroffen. Danach ging es für die Bündnisgrünen bergab, für die Union eine Zeitlang bergauf. Bekanntlich begann dann im Sommer ein kontinuierlicher Aufholmarsch der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, bis die Sozialdemokratie vor den beiden genannten Konkurrentinnen lag. Doch schon bevor es mit den Grünen in den Umfragen bergab ging, wurden sie in vielen linken Kreisen abgekanzelt. Die linke Zurechtweisung der Grünen hat drei Aspekte und Stoßrichtungen. Einmal wird den Grünen oftmals abgesprochen, (noch) eine fortschrittliche Partei zu sein. Abgeleitet wird dies meist aus der sehr allgemeinen These, ein ›grüner Kapitalismus‹ sei nicht möglich. Eine andere Variante gibt sich eher verteilungspolitisch: Wenn man den Bündnisgrünen den Umbau der Industriegesellschaft auf ein neues, klimaneutrales Betriebssystem überließe, könne dies und werde nur auf Kosten der Arbeiter:innen geschehen – entweder direkt durch verlorene Arbeitsplätze oder indirekt durch erhöhte Verbraucherpreise, die sich der von den Grünen geforderten CO2-Bepreisung verdanken. Hinter dieser Entlarvungshaltung steht die Annahme: Von den Bündnisgrünen, ihrem Vorgehen und ihren Problemen ist auch für eine originär linke, kapitalismuskritische Herangehensweise an die ökologische Transformation nichts zu lernen. Letztlich aber sagt das moralisierend-denunzierende linke Aburteilen der Grünen mehr über die Hilflosigkeit der Linken, als über den Charakter der Grünen. Dabei werden die Argumente von einer sehr hohen Abstraktionsebene kommend bzw. mit maximalem Anspruch auf allgemeine Geltung vorgetragen: Es geht dann nicht um die Lage und Interessen bestimmter Unternehmen, Branchen oder Sektoren im Lichte der Klimaschutzpolitik, sondern immer gleich um DAS Kapital; nicht um verschiedene Gruppen von Beschäftigten, die durchaus unterschiedlich von den anstehenden Veränderungen getroffen werden, sondern um DIE Arbeiterklasse; nicht um spezifische Umstellungs- und Gerechtigkeitsprobleme von Allokation, Produktion oder Distribution , sondern stets schlicht um DEN Kapitalismus. Ich schlage hingegen vor, die Leiter der Abstraktionen ein stückweit herunter zu klettern, um ökologische Politik als zentrales Kampfterrain der Hegemonie und die Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN als Akteurin darin zu betrachten.

II. Zur Bedeutung technisch-ökonomischer Paradigmenwechsel

Worum wird im Zusammenhang mit Klimaschutzpolitik und Digitalisierung eigentlich gerungen? Die neo-schumpeterianische, britisch-venezolanische Ökonomin Carlota Perez hat für eine Lage wie die derzeitige den Begriff des ›technisch-ökonomischen Paradigmenwechsels‹ geprägt. Was diese technischen Sprünge so ›revolutionär‹ mache, sei nicht nur das Bündel zusammenhängender Innovationen, Industrien und Infrastrukturen, das sie mit sich brächten, sondern auch, wie sie gesamtwirtschaftlich die Produktivität erhöhten. Ihre Verbreitung verändere die relative Kostenstruktur der Produktion in den meisten Sektoren, indem sie wichtige und günstigere Inputs lieferten (wie in früheren solchen Umbrüchen Stahl, Öl und heute Mikroelektronik). »Die neuen Infrastrukturen – von Kanälen zu Eisenbahnschienen, zu Dampfbooten, zu Autobahnen und Elektrizität, bis zum Internet – erlauben weitere und tiefere Markterschließung zu sinkenden Kosten«. Haben wir es mit einem wirklichen Paradigmenwechsel zu tun, berührt er nicht nur die technischen Apparate, Organisationsweisen und Arbeitsteilungen des Wirtschaftens, sondern zieht auch »eine tiefgehende Transformation der Arbeits- und Konsumweisen, veränderte Lebensstile und Erwartungen in der Gesellschaft« nach sich. So war es jedenfalls beim ›American Way of Life‹, der durch große Sprünge in der industriellen Massenproduktion großen Bevölkerungsmehrheiten in den industriekapitalistischen Ländern zugänglich wurde. Heute muss man hinzufügen, dass der way of life auf massiver Vernutzung fossile rEnergien und natgürlicher Ressourcen gründete, wobei die entstehenden Schäden nicht den Verursachern auferlegt wurden und werden. Wie bei den damaligen Umbrüchen, so Perez, sei auch heute mit Widersprüchen und Konflikten als Nebenfolge des technisch-wirtschaftlichen Paradigmenwechsels zu rechnen. »Die Verbreitung des neuen Paradigmas führt zu einer erheblichen Verdrängung alter Fertigkeiten und Polarisierung zwischen alten und neuen Industrien, Regionen und Einkommen« – der Gegensatz von Detroit und Silicon Valley könne das verdeutlichen. Das ›disruptive‹ Potential der beginnenden Umbrüche sei wahrscheinlich noch gar nicht richtig absehbar. Perez schätzt, dass die Informationstechnologie erst die Hälfte ihres Verbreitungsweges zurückgelegt und hier noch 20-30 Jahre vor sich hat. Zwar hätten wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten Etablierung von Technik zur allgemeinen Verwendung erlebt, doch die Kapazität, jede einzelne Industrie und wirtschaftliche Aktivität zu verwandeln sei noch immer im Frühstadium. »Es gibt eine riesiges Potential für Innovation, das technologisch machbar, aber im Hinblick auf Märkte und Profitabilität noch immer riskant und unsicher ist. Was fehlt, ist eine Richtung, die in geeigneter Weise auf die derzeitigen Randbedingungen und besonderen, weitreichenden Innovationspotentiale antwortet, die jetzt eingerichtet sind«.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich heute anstehende Umbruch deutlich von den früheren. Der Einsatz anderer und neuer Technologie für Energieerzeugung, -transport und -speicherung, für Antriebe, zur Herstellung, Verarbeitung und Bewegung von Material zu Endprodukten soll nicht nur einfach produktiver, sondern vor allem soll der Output der wirtschaftlichen Kreisläufe klimaneutral werden. Das Ziel ist also, die bisher gegen ihre Randbedingungen und ihre natürliche Umwelt gleichgültige Ökonomie mit einer internen Feedbackschleife zu versehen, die sie für ihre eigenen Außenwirkungen oder Externalitäten empfindlich macht. Gleiches gilt für die Lebensweisen der Leute, deren ökologischer Fußabdruck auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden soll. Wettbewerb um Marktanteile ebenso wie private Haushaltsführung sollen die ökologischen Folgen ihres Tuns nicht mehr wie zuvor übergehen können. Erreicht werden soll dies durch Gebote, Verbote, (zeitlich begrenzte) Subventionen oder Bepreisung, wodurch die ›schmutzige‹ Lösung unerschwinglich wird, weil durch politischen Beschluss die Preise endlich Externalitäten ›abbilden‹. Diese Konstellation scheint sich von früheren technisch-ökonomischen Paradigmenwechseln durch eine erheblich höhere Reflexivität auszuzeichnen und der Gesellschaft mehr bewusste, auch kollektiv verbindliche Entscheidungen zur Durchsetzung abzuverlangen. Jedoch bemerkt Perez, dass jede wirtschaftliche ›Revolution‹ zum wirksam werden der Entscheidung für eine Richtung bedurft habe. »Für Politikmachende ist die Schlüsselerkenntnis, dass diese Richtung weder vorherbestimmt ist, noch automatisch durch die Technologien der Revolution bestimmt wird. Vielmehr ergab sie sich aus einer Kombination von Faktoren: der Konstellation lebensstil-prägender Güter und Dienstleistungen, die durch die Technologien ermöglicht wurden; der Fähigkeit von Investoren, Unternehmern und Regierungen, das Potential dieser Produkte zu erkennen; die politischen Ideologien derjenigen, die ihre Anwendung beeinflussen konnten; und der sozio-historische Kontext, in dem sie entstanden«. Wenn schon frühere technisch-wirtschaftliche auch politisch gestaltete Umbrüche waren, dann gilt dies für die ›doppelte Transformation‹ von Digitalisierung und Ökologisierung erst recht.

III.  Doppelte Transformation als Staatsaufgabe und die Bedeutung der Grünen

Verhandelt wird angesichts der doppelten Transformation von Digitalisierung und Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft als neue ›Staatsaufgabe‹ (Franz-Xaver Kaufmann), eben diese Prozesse im Sinne der Bevölkerung zu steuern. Was politisch durchgesetzt wird, lässt sich nicht einfach aus den Veränderungen und Anforderungen der kapitalistischen Produktionsweise ›ableiten‹. Selbst im Lichte von Sachzwängen, die sich aus der Ablösung alter, ›fossilistischer‹ oder analoger durch neue, klimaneutrale oder digitale Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte ergeben, handelt es sich nicht um einen Anpassungsprozess zu einem ›one best way‹ der Kapitalverwertung. Zum einen ist die beste technologische Option für beide Transformationen nicht von vornherein klar. Zum anderen bleibt die Durchsetzung einer neuen Produktionsweise immer ein gesamtgesellschaftlicher Prozess. Er muss durch das Nadelöhr zumindest der impliziten Akzeptanz der Leute in ihren Rollen als Wähler:innen (die Parteien wählen oder nicht wählen, die der Wirtschaft bestimmte Auflagen machen), als Arbeitskräfte und Unternehmer:innen (die neue Produktionsverhältnisse ersinnen und besser oder schneller darauf um- oder darin einsteigen), Konsument:innen (die die neuen Güter und Dienstleistungen annehmen müssen) sowie als Schuldner:innen oder Gläubiger:innen (die diese Umstiege auf der einen Seite wagen, auf der anderen Seite finanzieren müssen). Aus diesen Rollen heraus werden sich die Leute teils mehr, teils weniger mobilisieren lassen für oder gegen die Art und Weise, wie die doppelte Transformation geplant, verhandelt, angekündigt und umgesetzt wird. Die Rolle der Politik ist hierin zentral. In der Staatsaufgabe treffen sich auf der ›Vertikalen‹ die Erwartungen der Regierten gegenüber der Regierung – welche Probleme, Risiken und Herausforderungen sollen selbstverständlich staatliches Handeln auslösen und dauerhafte Institutionen begründen, die mit der Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen betraut sind? Aus der anderen Richtung, nämlich von oben nach unten betrachtet geht es darum, welche Verpflichtungen der Staat den Regierten auferlegen kann. In diesem Sinne prägt der Staat die ›Verkehrsformen‹, in denen sich die verschiedenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen auch untereinander, also ›horizontal‹ begegnen.

Genau an der Kreuzung von horizontaler und vertikaler Linie finden wir – die Parteien. Parteien sind mehrgesichtige Phänomene. Sie bewegen sich zu nahezu jedem Zeitpunkt immer auf mehreren Handlungsfeldern, die sie jeweils mit einem eigenen ›Gesicht‹ betreten und auf denen ihnen unterschiedliche Interaktionspartnerinnen jeweils Verschiedenes abfordern. Potentiellen Wählerinnen und Wählern am Infostand in der Innenstadt muss man anders begegnen als Teilnehmerinnen einer Museumseröffnung, und wieder anders begegnet man professionellen Funktionären von Verbänden und Gewerkschaften, Vertreterinnen der Ministerialbürokratie oder Repräsentanten anderer Länder oder internationaler Organisationen. Es begegnen den Vertreterinnen und Vertretern von Parteien Zuhörerschaften, die sich im Hinblick auf ihre Informiertheit über politische Sachverhalte, in den Beständigkeiten und Intensitäten ihrer politischen Interesse und Ansprüche gegenüber Parteien und nicht zuletzt in ihren Machtressourcen mitunter radikal unterscheiden. Die ständige Herausforderung für Parteien besteht insofern darin, mit der jeweiligen Zuhörerschaft adressaten- und problemadäquat sprechen zu können. Dabei stellt sich diese Aufgabe für keine zwei Parteien gleich, weil sie immer in Abhängigkeit von Anliegen, Handlungsumfeldern und Zuhörerschaften bleibt sowie von der ›historischen Mission‹, der sich die jeweiligen Parteien verschrieben haben. Das trifft gerade die Grü durch ihr Jahrhundert- und Generationenthema Klimaschutz Ihre historische Mission ist in der heutigen Politik im Begriff, zur Staatsaufgabe aufgewertet zu werden. Genau das jedoch stellt die Partei vor neue und erhebliche Anforderungen. »Weil es sich beim Klimaschutz um ein Querschnittsthema handelt, das die Landwirtschaft genauso umfasst wie die Automobil- oder Bauindustrie«, so in der FAZ, »ist es für die Grünen auf Bundesebene wesentlich anspruchsvoller, unterschiedlichste Lobbygruppen, wirtschaftliche Akteure und gesellschaftliche Gruppierungen an einen Tisch zu bringen als unter Rot-Grün beim Atomausstieg. Hinzu kommen die linken Akzente, die das Wahlprogramm setzt: Vermögensteuer, Kohleausstieg bis 2030, Ablösung von Hartz IV durch ein Grundsicherungssystem«. Auf der ›Angebotsseite‹ des politischen Prozesses um die Gestaltung der doppelten Transformation finden wir Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die nicht nur um die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler auf der ›Nachfrageseite‹ werben, sondern auch – und nicht zuletzt – um die Mitwirkung der Unternehmen.

IV. Warum das Kapital die Grünen umwirbt

Wie eingangs Friedrich Engels, würden heute nur noch die wenigsten Marxistinnen und Marxisten den Staat theoretisch bestimmen. Es spricht erdrückend zu viel historische Evidenz dagegen, dass der Staat den Kapitalisten stets sämtliche Wünsche erfüllt. Zu Recht würden Vertreterinnen marxistischer Staatstheorie aber weiterhin vertreten, dass Kapitalisten ›Staatsbedarf‹ haben. Dieser ist nicht immer und überall gleich. Er wird größer sein für Unternehmen in Branchen, deren Warenabsatz großskalige öffentliche Güter wie z.B. Schienennetze, Regelwerke wie einen strikt durchgesetzten Patentschutz oder Instrumente wie Exportkreditgarantien voraussetzt, für die es keine guten privatkapitalistischen Ersatzlösungen gibt. Im Engel’schen Zitat kommt das grundlegende Problem zur Sprache kommt jedoch das Bedürfnis nach einem ›Kollektivkapitalisten‹ oder ›ideellen Gesamtkapitalisten‹, welches gerade das aus der Handlungslogik der Einzelkapitale erwächst. In der Realität bekommen es Politikerinnen und Politiker nicht mit dem ›dem‹ Kapital zu tun, sondern mit vielen Einzelunternehmen, die außerhalb ihrer Verbandsorganisationen gegeneinander um Marktanteile konkurrieren. Weil sie dabei unter ganz unterschiedlichen Zeithorizonten handeln, kurzfristigen Nutzen zulasten langfristiger Vorteile vernachlässigen und oft genug politische Regulierungen ablehnen, die auf lange Frist in ihrem eigenen Interesse sein könnten, haben die Einzelkapitale keinen privilegierten Ort der Erkenntnis- oder Handlungsfähigkeit, von dem aus sie das wirtschaftliche Geschehen im Interesse ›des‹ Kapitals abstimmen und steuern könnten. Auch die Einzelkapitale müssen ihre Entscheidungen für Investitionen, Produktentwicklung, Markterschließung und Personalrekrutierung unter Bedingungen grundsätzlicher Ungewissheit, in einem unaufhörlichen Prozess von Trial and Error treffen.

In Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche verschärfen sich mitunter erheblich solche Ungewissheiten, unter denen die Einzelkapitale handeln müssen. Im Falle der heutigen doppelten Transformation betreffen sie mindestens die Reaktionen ihrer direkten Abnehmer:innen am Markt; auf Tempo; Tiefe und Reichweite der Digitalisierung; auf den Wandel des technologischen Paradigmas auch durch die hiesigen politischen, vor allem ökologischen Vorgaben; die Frage der Versorgungssicherheit und Kostenstruktur bei forcierter Energiewende; nicht zuletzt die Fragen, wie sich nationale Vorgaben im eigenen Land auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Waren sowie Vorgaben in anderen Ländern auf die Kosten benötigter Vorprodukte auswirken. Die ökologische Transformation bleibt eine riskante Wette wegen noch fehlender Klarheit über ihre Kosten und die Randbedingungen. Andererseits, lesen wir in der FAZ, winken im Erfolgsfalle große und zuverlässige Erträge. »Es kann sein, dass das alles sich wirtschaftlich lohnt. (…) Falls nämlich nicht nur Deutschland Ernst macht mit dem Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch eine hinreichende Zahl anderer Länder, wird man bald überall in der Welt klimafreundliche Technologie brauchen. Folgerung: Die enormen öffentlichen und privaten Investitionen, die jetzt nötig werden, bringen nicht nur Lasten mit sich, sondern auch ›eine Chance‹. Beim BDI sieht man das ähnlich, und man drängt zur Eile. [BDI-Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik Carsten] Rolle sieht einen gewaltigen weltweiten Zukunftsmarkt entstehen und mahnt, keine Zeit zu verlieren. ›Wer hier Marktführer sein will, muss jetzt schon investieren‹, fordert er. Seiner Studie zufolge kann aus alledem bis zum Jahr 2050 ganz realer Wohlstand entstehen. Durch die nötigen Reformen, heißt es dort, ›kann die Zunahme des gesamtwirtschaftlichen Einkommens größer sein als die ursprünglichen Mehrausgaben für Investitionen‹. Und wieder gibt es ein Aber. Rolle weist selbst darauf hin: Weil niemand wissen kann, ob der Rest der Welt wirklich mitziehen wird, und ob die kommenden Chancen nicht doch nur Illusion bleiben, sind die nötigen Großinvestitionen eine geradezu lebensgefährlich riskante Wette. Folgerung: Der Staat muss nicht nur wegen der hohen Kosten helfen, sondern auch wegen der Risiken. Nur dann würden Unternehmen es wagen, über viele Jahrzehnte Milliarden einzusetzen«.

Aus mehreren Gründen drängt diese Lage die Einzelkapitale dazu, die politisch bestimmenden Kräfte zu umwerben. Am ›rationalsten‹ ist dies sicherlich für diejenigen Unternehmen und Branchen, die am stärksten in ihrer wirtschaftlichen Ertragsfähigkeit, aber nicht weniger bedeutsam auch in ihrer politischen Konfliktfähigkeit durch den sich ankündigenden Wandel berührt sind. Bereits vor der anstehenden doppelten Transformation unterschieden sich Kapitalfraktionen bspw. durch unterschiedliche Größe, Fokus auf Export- oder Binnenmarkt, Monopolisierungsgrad und heimische versus transnational gestreute Produktionsstandorte. Mit unterschiedlichen Betroffenheiten durch und Bewältigungsressourcen für Digitalisierung und Ökologisierung kommen zwei gewichtige, mögliche Konfliktquellen zwischen den Einzelkapitalen und Kapitalfraktionen hinzu. Der Ruf nach der Politik dient insofern auch dazu, einen Schiedsrichter auf der Höhe der Zeit sicherzustellen. Es kommt hinzu, dass in Zeiten des Umbruchs wie der heutigen die klassischen Konfliktmittel des Kapitals wie Investitionsstreiks, Massenentlassungen oder Standortverlagerungen in Länder mit niedrigerem Lohnniveau stärker selbst- als fremdschädigend sind. Für den Wechsel auf einen ökologischen Akkumulationspfad ebenso wie für Digitalisierung von Produktion und Vertrieb bedarf es absehbar erheblicher zusätzlicher Investitionen, und ›Billiglohnländer‹ verfügen oft weder über die Mittel, noch die politischen Mehrheiten, hierfür finanzielle Unterstützung zu gewährleisten. In Mittel- und Osteuropa ist zudem noch auf Jahre mit Auswanderungsbewegungen zu rechnen, womit sie als ›verlängerte Werkbänke‹ des Westens unattraktiver werden. Auch Entlassungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt sind ein Schnitt ins eigene Fleisch, weil in vielen Sektoren bereits jetzt Fachkräftemangel und zudem Qualifizierungsbedarfe vorliegen, die Verhandlungsmacht der Beschäftigten also gestiegen ist.

Die organisierten Einzelkapitale und Kapitalfraktionen sind an belastbaren Vertrauensbeziehungen zu politischen Entscheidungsträgerinnen interessiert. Schon in ruhigeren Zeiten ist es für sie zu kostspielig und für viele Unternehmen schlicht nicht leistbar, neben dem Kerngeschäft, nämlich ihren jeweiligen Geschäften ein lückenloses Monitoring aller politischen Einzelmaßnahmen zu betreiben, die sie womöglich betreffen könnten. Das treibt Kapitalisten in Richtung einer Kontaktpflege zu den Parteien, und heute verstärkt zu den Bündnisgrünen. Dahinter mag durchaus bei vielen Unternehmerinnen und Unternehmen aufrichtige Überzeugung im Hinblick auf die Richtigkeit ökologischer Zielsetzungen stecken. Doch vor allem sind Kapitalisten auch immer gute Opportunisten, wie der britisch-amerikanische Machtsoziologe Michael Mann registrierte: »Wenn, sagen wir, ethnische Unterschiede als Apartheid institutionalisiert sind, oder das Patriarchat bereits institutionalisiert ist, dann bauen Kapitalisten diese in ihre Marktkalkulationen ein. Im anderen Fall kalkulieren sie mit Annahmen ethnischer und geschlechtsbezogener Gleichberechtigung«. Und so passen sich Kapitalisten auch anderen politischen Farben und deren Grundannahmen an. Die Grünen genießen seitens der Bevölkerung wahrscheinlich uneinholbar die stärkste Kompetenzzuschreibung in ökologischen Fragen. Doch die Bedeutung der Grünen reicht noch weiter. Carlota Perez beobachtet, dass jede erfolgreiche Umbruch- und Entwicklungsperiode angetrieben wurde vom Bedürfnis nach einem neuen Lebensstil, den die neu etablierten Güter und Dienstleistungen ermöglichten, wobei die Wohlhabenden sowie Hochqualifizierten voran marschierten und ihnen zunehmend mehr Gesellschaftsschichten folgten. Keine andere Partei wird in Deutschland so deutlich mit einem bestimmten Lebensstil, ja einer ganzen Lebensweise identifiziert, die in die Zeit zu passen scheint. Während sich CDU/CSU und SPD immer stärker ent-ideologisiert haben, atmen die Grünen auch ohne den Überbau der vormaligen Volksparteien wie Volkstümlichkeit, Religionsbezug oder Gemeinschaftsritualen wie Arbeiterliedersingen den Zeitgeist: »Grün ist (…) längst mehr als nur eine Parteifarbe. Es ist ein Lebensgefühl. Wer ein neues Produkt als zukunftsfähig, fair und gut bewerben will, nennt es grün. Selbst im CDU-Wirtschaftsrat wurde kürzlich mit Erstaunen festgestellt, dass immer mehr Geldanleger nach sustainable, also nachhaltigen investments fragten. So wie sich die Union in ihren besten Zeiten als Bannerträger der saturierten Mitte betrachten konnte, so wie die Sozialdemokraten in den 1970er- und 1990er Jahren den Wunsch nach Aufbruch verkörperten, sind es nun die Grünen, die für einen neuen gesellschaftlichen Mainstream stehen – oder es zumindest könnten«. Bezugnahmen auf Lebensgefühle haben den Vorteil, Leute in gleich mehreren ihrer Rollen ansprechen zu können; nicht nur als Konsumentinnen, sondern auch als Beschäftigte, Wählerinnen oder eben als Schuldner oder Gläubigerinnen, wie es eingangs zitiert die Hauptfigur Jana Liekam in der Serie ›Bad Banks‹ versucht, um Anleger vom Ökologie-bewussten Startup ›Green Wallet‹ zu überzeugen. Der Vertrauensvorschuss der Leute in ihren diversen Rollen begründet den Vertrauensvorschuss der Kapitale in die Grünen als Partei.

V. Shades of Green: Widersprüche und Konflikte im Prozess der doppelten Transformation

Mit der grün-kapitalistischen Freundschaftspflege jedoch sind jedoch keineswegs alle Probleme geklärt. Im Gegenteil eröffnet sich erst jetzt ein Raum regulierungs- und verteilungspolitischer Konflikte um die Belastungen und Gewinne der doppelten Transformation, die sich erstens materiell, zweitens aber auch im Hinblick auf ihre Wahrnehmbarkeit sehr unterschiedlich auf wirtschaftliche Einheiten (Staat, Privatunternehmen, Privathaushalte), geographische Einheiten (Boomregionen und vom Strukturwandel geplagte Gebiete) sowie unterschiedliche Sektoren (Produktion, Verkehr, Verbrauch) verteilen. In diesen Konflikten wird konkret ausgefochten, was die neue Staatsaufgabe der Ökologie oder Nachhaltigkeit bedeuten und worauf sie verpflichten soll. Wir können sehr grob einige der erwartbaren Konflikte anhand eines Schemas der US-amerikanischen Politolog:innen James Q. Wilson und Deborah Stone in den Blick nehmen. Dabei werden Kosten und Nutzen unterschieden danach, ob sie diffuse oder konzentrierte Betroffenheit bewirken. Je konzentrierter wahrnehmbar und spürbar, desto eher ist bei Kosten mit Abwehrreaktionen, bei Nutzen hingegen mit Akzeptanz und Gewöhnungseffekten zu rechnen. Wohlgemerkt – dieser Hinweis darf bei ökologischen Fragen nie fehlen – zielen diese Anmerkungen auf einen Zeithorizont politischer Mobilisierungsfähigkeit, nicht jedoch auf die ökologischen Folgekosten der Unterlassung oder Unterbietung des hinreichenden ökologischen Umbaus, die auch mittelfristig Bevorteilte langfristig negativ treffen. Ausgeblendet werden auch Probleme wie das sog. Carbon Leakage, wonach die Emissionsersparnisse eines Landes durch Zusatzemissionen anderer Länder im Ergebnis annulliert werden.

Konflikte um die politische Ökonomie der doppelten Transformation

(nach James Q. Wilson und Deborah Stone)

Kosten/ BelastungenVorteile/ Wohlfahrtsgewinne
 Verstreut/ diffusKonzentriert
Verstreut/ diffus(1) CO2-Preis, Energiegeld, Ausbau der Solarenergie(2) ›Contracts for Difference‹, Subventionen für ökologische Produkte und Dienstleistungen
Konzentriert (3) Schneller Kohleausstieg, Ausbau der Windenergie, Netzausbau beschleunigen, Ausbau des Schienennetzes, schärfere Regulierung, Endlagersuche Atomausstieg, Ausbau ÖPNV, Verbot von Inlandsflügen(4) Verdrängung von alten, Bedarf nach neuen Qualifikationen und Berufsbildern in stark transformierten Branchen; Entstehung neuer, Ablösung alter Technologien für Produktion, Zulieferung, Vertrieb usw.

Eine so angelegte Matrix legt vier Arten von Konflikten nahe, die die Politik, und gerade die Grünen als die Partei der Nachhaltigkeit bewältigen müssten.

(1) Am wenigsten problematisch erscheint eine Konstellation, in der sowohl die Kosten, als auch die Vorteile bzw. ökologischen diffus bleiben. Ein höherer CO2-Preis bleibt verkraftbar, wenn er nicht die ökonomisch Unterprivilegierten belastet, was bspw. durch Auszahlung eines Energiegeldes in gleicher Höhe, etwa in Form einer negativen Einkommenssteuer zu erreichen wäre. Ebenso wird der Ausbau der Solarenergie wenig Widerstände hervorrufen, zumal sich die konkrete Umsetzung der Aufgabe an Länder und kommunale Gebietskörperschaften delegieren lässt.

(2) Wenig Gegenwehr provozieren dürften auch die sog. Klimaschutzverträge oder ›Carbon Contracts for Difference‹. Sie sind Kernstück eines ›Pakts‹ zwischen CO2-intensiver Industrie und Politik. Letztere soll Ersterer Planungssicherheit beim Umstieg auf klimaneutrale Produktion für Erstere herstellen, indem sie die Mehrkosten beim Umstieg von den alten auf die neuen Herstellungsverfahren ausgleichen. Sie werden nötig, weil die Preise für CO2-Zertifikate zu langsam steigen, als dass sich ein Umstieg der Industrie ohne diese Ausgleichszahlungen lohnte. Eigens zur Finanzierung solcher Investitionen sprechen sich die Bündnisgrünen für die Aufweichung der Schuldenbremse aus, und da der Bund mit seinen Krediten nachweislich Geld verdient, könnten außer den konservativen Ajatollahs der Sparpolitik nur Wenige aufbegehren. Ähnlich indifferent werden sich Öffentlichkeit und Interessenverbände vermutlich bei Subventionierungen ökologischer Waren zeigen.

(3) Konfliktreicher wird es vermutlich bei großformatigeren Umbauvorhaben vor sich gehen, die eine untereinander kommunikations- und mobilisierungsfähige Klientel treffen. Beim Kohleausstieg sind es die betroffenen Reviere, beim Ausbau der Windenergie sowie beim Ausbau des Strom- sowie des Schienennetzes und des ÖPNV die Anwohnerinnen und Anwohner. Man darf gespannt bleiben, ob dieses ›Tal der Tränen‹, durch das einige, wenn auch örtlich und in Anzahl begrenzte Betroffene müssen, tatsächlich mit einem gleich viel oder gar mehr an Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung tatsächlich zu machen ist, wie es die Grünen bislang in Aussicht stellen. Womöglich schlägt an diesen Orten die Stunde radikal-rechtspopulistischer Protestunternehmer. Zu Widerstand können auch schärfere Regulierungen führen, die einige Branchen und Unternehmen schärfer treffen als andere, oder wie im Falle von verteuerten oder verbotenen Inlandsflügen gar die Verbraucherin direkt.

(4) Vergleichsweise wenig Konflikte werden Konstellationen heraufbeschwören, wo Kosten und Nutzen der Transformationen nur für begrenzte Kreise wahrnehmbar sind. Das wird einerseits die Verdrängung von alten und Bedarf nach neuen Qualifikationen und Berufsbildern betreffen. Da das Personal des alten und des neuen ökonomisch-technischen Paradigmas nicht direkt miteinander zu tun haben müssen, werden sich deren Begehrlichkeiten oft an den Staat oder Tarifparteien richten im Sinne ausreichender sozialer Abfederung und Möglichkeiten zur Weiterbildung. Wird das neue Paradigma in einer Branche schnell und mit wenig Rücksicht auf althergebrachte Verfahren und Hierarchen durchgesetzt, werden die Konflikte vermutlich zwischen dem fokalen und den mit ihm netzwerkartig verbundenen Unternehmen, oder aber innerhalb der Unternehmen ausgetragen. Auch dort müsste dann ggf. die Politik als befriedende Schiedsrichterin eingreifen und durch Ko-Finanzierung von Umschulungen, Frühverrentungen oder Ersatzarbeitsplätzen den Konflikt besänftigen.

Eine sich abzeichnende Interessenkonvergenz von Unternehmen und Wählerinnen und Wählern kann Konflikte wie die o.g. entschärfen, und hierbei wird die Digitalisierung voraussichtlich eine entscheidende Rolle spielen: Werden die Innovationen, die zur Sicherung einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft befördert werden, defensiven oder  disruptiven Charakter haben? ›Defensiv‹ sind Innovationen dann, wenn sie gegenüber der bisherigen Wirtschafts- und Lebensweise besitzstandswahrenden Charakter haben. Ein neues Netz für Hochgeschwindigkeitszügen braucht lange, bis es seine Vorteile für jede und jeden sichtbar werden, und bedeutet eine andere Art von Mobilität. Ein elektrisches Auto als neuer Standard hingegen hat den Charme, nicht nur die Konsum- und Siedlungsgewohnheiten (Pendler) dagegen allenfalls minimal zu verändern, sondern den Umstieg zu individualisieren und als gesellschaftlich zu bewältigenden Konflikt zu stillzulegen.

VI. Schluss: Grüne Dilemmata des Kapitals

Viele Linke würden die hier angesprochenen Aspekte wegwischen mit dem Hinweis, dass es einen ›grünen‹ Kapitalismus nicht geben könne, die Ausgangsfrage mithin falsch gestellt sei. Eine klimaneutrale Wirtschaftsweise sei nur durch die Überwindung des Kapitalismus, seiner Strukturimperative und Prozessgesetze möglich. Ich finde diese Entgegnung so langweilig, wie sie politisch nutzlos bleibt. Erstens würden sich die o.g. Probleme sich auch in einem demokratischen Sozialismus stellen. Vermutlich stellten sie sich sogar verschärft, weil mehr demokratische und soziale Rechte auch mehr Möglichkeiten zur Folge hätten, den ökologischen Umbau auszubremsen, wenn er den kurz- und mittelfristigen Interessen als Beschäftigte, als Anwohnerin, Autofahrerin oder Vielfliegerin zu widersprechen scheint. Auch heute genießt der Klimaschutz in höheren Einkommensschichten größere Priorität als in niedrigen. Zweitens hätte auch ein Öko-Sozialismus nicht nur auf der Input-Seite, sondern auch auf der Output-Seite des Wirtschaftens das Doppelproblem zu lösen, dass die ökologisch transformierten Güter und Dienstleistungen einerseits hinreichend Abnehmerinnen und Abnehmer finden müssen, sie aber andererseits nicht so erfolgreich ausfallen sollen, dass die Gewinne an Ressourcenproduktivität und Energieeffizienz durch zusätzlichen Konsum überkompensiert werden (sog. ›Rebound-Effekt‹). Solche Effekte könnte ein Öko-Sozialismus auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene durch eine Form ökologischer Investitionslenkung sicherlich begrenzen. ›Ökosozialismus‹ soll allerdings meist nicht gleichbedeutend sein mit einer politisch verfügten Preissetzung. Deswegen hat auch er bislang kein Konzept, um zu verhindern, dass auf Ebene einzelner Haushalte und, Unternehmen die geringeren Preise energie- und ressourceneffizienterer Waren durch höhere Nachfrage nach eben diesen den Ressourcen- und Energieverbrauch gegen die Absichten der Politik unterm Strich steigen lassen. Auch soll ›Ökosozialismus‹ für gewöhnlich nicht eine bis auf die Ebene der Haushalte und Unternehmen hineinregierende Rationierung der Endprodukte und Dienstleistungen bedeuten. Doch dann hat auch er bislang keine Lösung dafür, dass die Einkommensverbesserungen, die einerseits durch Energie- und Ressourcenersparnis, andererseits durch höhere Gehälter zustande kommen am Ende auf eine Weise ausgegeben werden, welche die produktionsseitigen Ersparnisse wieder zunichtemacht. Zweifellos ist der Strukturimperativ der Kapitalverwertung ein Problem für die Ökologisierung der Wirtschaft. Allerdings ist bislang das Fragezeichen hinter der Annahme, dass eine sozialistische Ökonomie umweltfreundliche Konsummuster hervorbringt, bislang nicht geringer als hinter derjenigen, dass durch entsprechende Gebote, Verbote und Anreize profitorientiertes Wirtschaften zu einer ökologischen Betriebsweise hin gelenkt werden kann.

Abschließend seien hier zwei idealtypische Szenarien für die Ökologisierung der Wirtschaft genannt. Wenn trotz aller Zusicherungen, Ausgleichszahlungen, Subventionen und anderweitigen Hilfen den Einzelkapitalen der Umstieg zunächst zu riskant erscheint, haben sie die Macht, auch ohne ausdrücklichen Konflikt eine immer stärkere, verteilungspolitisch immer degressivere Risikoabsorption durch die Politik durchzusetzen, weil  »die Machtposition von Unternehmern bzw. Investoren die Fähigkeit einschließt, die Realität zu definieren. Das heißt, was immer sie als unerträgliche Last auflassen, ist tatsächlich eine unerträgliche Last, welche in der Tat zu einer abnehmenden Investitionsneigung führen wird«. Die Gewinnerwartungen der Unternehmen verdichten so zu einer Art selbsterfüllender Prophezeiung, die die Wirtschaftsaktivität insgesamt sinken lässt und die Politik zwingen kann, ihr Hochfahren zu einem immer höheren Preis (Steuersenkungen, Subventionen, Deregulierungen usw.) ›erkaufen‹ zu müssen. Im Lichte der o.g. Selbstschädigungsgefahren ist dies aber kein Szenario, was von der Kapitalseite aktiv gewünscht wird. Die Kapitalisten umwerben die Grünen, gerade weil sie ein Szenario wünschen entsprechend der Michal Kalecki zugeschriebenen Formel »Workers spend what they get; Capitalists get what they spend«. Als Beschäftigte und Konsument:innen würden die Leute die neue Wirtschafts- und Lebensweise annehmen, tüchtig arbeiten und einkaufen und damit eine selbsttragende Investitions- und Gewinndynamik am Laufen halten. Die Voraussetzung für dieses zweite, optimistische Win-Win-Szenario verrät aber ein ganz grundlegendes Dilemma der Kapitalseite: Die von ihnen favorisierte Regierung muss im Inneren finanz- und ordnungspolitisch durchsetzungsfähig sein, um die Transformation ko-finanzieren und gegen Widerstände umsetzen helfen zu können. Sie muss sich gleichermaßen außen- und außenwirtschaftspolitisch durchsetzen, damit international ein ›level playing field‹ herrscht und nicht Wettbewerbsnachteile durch die Ökologisierung entstehen. Jedoch könnte die Regierung eine Staatskapazität in diesem Umfang auch nutzen, um dem Kapital im politischen Tausch für die Absorption der Ungewissheit in der Transformation höhere Kosten der ökologischen Umwandlung als bisher aufzuerlegen: durch mehr Auflagen, mehr Umverteilung und mehr Mitbestimmung. Im Lichte dieser Möglichkeit wären die Kapitalisten geradezu fahrlässig, keine guten Beziehungen zu den Grünen als der Partei der Ökologie zu pflegen.

Geschrieben von:

Alban Werner

Politikwissenschaftler

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