Wirtschaft
anders denken.

Die Zukunft braucht das Bedingungslose Grundeinkommen

15.01.2021
Ein altes Gebäude mit der verblassenden Aufschrift "Amt für Arbeit" steht vor einem PlattenbauFoto: Birgit Böllinger auf PixabayBald ganz verschwunden: Durch das Grundeinkommen werden Arbeitsämter überflüssig
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist umstritten. Ein Verein versucht es einfach mal – und macht so erste Erfahrungen. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Im Frühjahr 2014 gründete sich der Verein »Mein Grundeinkommen«. Schon im Herbst desselben Jahres wurde das erste Grundeinkommen verlost. 1000 Euro monatlich, ein ganzes Jahr lang. Dieses Grundeinkommen wird über Spenden generiert. Im März 2021 beginnt ein dreijähriges Pilotprojekt zum Grundeinkommen, begleitet vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Mit Michael Bohmeyer, dem Erfinder von Mein Grundeinkommen, sprach Gisela Zimmer.

Wäre das Bedingungslose Grundeinkommen gerade in diesen komplizierten Zeiten nicht ein gutes Mittel gewesen, um Menschen aufzufangen?

Das ist die Hoffnung. Wir haben schon den Sozialstaat, der die Leute auffängt. Aber damit geht die Stigmatisierung einher, die da heißt, wer vom Sozialstaat lebt, der hätte es nicht geschafft, sei selbst schuld, der käme da auch nicht raus. Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte vor allem auf der psychologischen Ebene helfen. Besonders jetzt, wo niemand weiß, wie lange die Durststrecke dauern wird.

Seit sechs Jahren verlost der Verein das Bedingungslose Grundeinkommen. Was machen die Gewinner damit?

Wir haben erlebt, dass die Leute, die dieses Grundeinkommen gewonnen haben, Jobs fanden, die besser zu ihnen passen. Allein schon, weil sie mehr Zeit beim Suchen hatten. Und die hatten sie, weil der Einkommensdruck weg war. Alle fanden Jobs, die viel besser bezahlt wurden, als sie es sich zuvor erhofft hatten. Das heißt, wenn ich Kapital im Hintergrund habe, dann ist es wie bei einem Unternehmen: Ich habe den längeren Atem, ich kann die besseren Investitionen tätigen, denn ich habe den größeren Kredit. Das Grundeinkommen ist ein Kredit für alle. Das würde in diesen Krisenzeiten besonders helfen. Es ist so eine Art neuer Keynesianismus, es wird direkt in die Menschen investiert.

War das Grundeinkommen wirklich von Beginn an bedingungslos oder doch an eine Bedürftigkeit oder ein Vorhaben geknüpft?

Mit unserem Verein vergeben wir die Grundeinkommen von Beginn an bedingungslos. Wir haben in Deutschland mit Hartz IV zwar eine Art Grundeinkommen, das mit dem Regelsatz, den Miet- und anderen Zuschüssen bei 1000 Euro im Monat liegt. Aber es ist alles andere als bedingungslos. Man muss im Voraus seine Bedürftigkeit begründen und im Nachhinein die Bedingungen erfüllen, damit man es weiterhin bekommt. Man muss zum Beispiel bestimmte Jobs oder Maßnahmen annehmen. Von dieser Idee des »Wenn ich dir geben soll, musst du tun, was ich sage« konnte ich mich anfänglich selbst nicht so richtig lösen. Die ist so tief verwurzelt in unserer Kultur. Zunächst wollte ich, dass nur diejenigen teilnehmen dürfen, die auch selbst Geld einzahlen. Ein sehr guter Freund hat mich aber davon abgebracht und gesagt, wenn, dann auch konsequent. Das war genau der richtige Weg. 150.000 Menschen geben mittlerweile freiwillig und ohne dass sie einen Vorteil haben, Geld, um für andere Menschen ein Grundeinkommen zu finanzieren. Schon allein das ist faszinierend. Es zeigt, dass Menschen durchaus bereit sind, für andere Menschen bedingungslos etwas zu geben.

Es soll kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Geld für die Bürgerinnen und Bürger sein. Es wird nicht kontrolliert, was damit gemacht wird. Es ist nicht wichtig, ob darüber hinaus gearbeitet wird. Geht das in einer Gesellschaft, in der es im Prinzip um mehr Geld und weniger um mehr Werte oder Verständnis geht?

Es klingt vielleicht idealistisch, für einige Ohren sogar utopisch. Aber ich glaube, dass die Ökonomie der Zukunft gar nicht mehr um ein Bedingungsloses Grundeinkommen herumkommt. Mit unserer bisherigen Vorstellung von Wachstum durch »Mehr, mehr, mehr« kommen wir an Grenzen, die Menschen sind erschöpft. So ein Grundeinkommen könnte ein entscheidendes Potenzial freilegen. Nicht nur, um mehr zu leisten, sondern auch, um besser zu leisten. Einfach weil es die Existenzangst nimmt. Es schafft den Sozialstaat nicht ab, sondern es ergänzt ihn um den entscheidenden Faktor. Menschen sind heute doch vor allem blockiert, weil sie nicht mutig genug Entscheidungen treffen können. Sich nicht an den richtigen Stellen fortbilden, nicht schnell genug für die digitale Welt umlernen können, weil sie ihren Einkommensplatz sichern müssen. Das Grundeinkommen gäbe ihnen die Freiheit und damit – glaube ich – entsteht ein riesiges wirtschaftliches Potenzial. Das wird nicht nur kurzfristig zu neuen Gewinnen führen, sondern auch dazu, dass die Leute sinnvolle Tätigkeiten ausüben. Das Grundeinkommen ist nicht zwangsläufig etwas Antikapitalistisches. Es macht aber Platz für mehr Menschlichkeit im Wirtschaften. Außerdem bedeutet Grundeinkommen in jedem Fall Umverteilung, und dafür ist die Zeit mehr als reif.

Das Pro und Kontra zum Grundeinkommen ist allerdings heftig.

Ich finde die politischen Debatten, wie sie zu Zukunftsideen ablaufen, wahnsinnig unproduktiv. Was bringt es, über etwas zu streiten, wovon beide Seiten nachweislich keine Ahnung haben können, weil es noch kein langfristiges Projekt dazu gab. Ausgetauscht werden eigentlich nur ideologische Glaubenssätze. Dabei hört einer dem anderen nicht zu. Das ist langweilig. Ich halte das Bedingungslose Grundeinkommen für eine charmante Idee, aber ich kann es natürlich genauso wenig wissen wie alle Gegner*innen. Darum versuche ich mein Bestmögliches, es mit unserem Verein einfach mal auszuprobieren. Auch, um diese ideologische Debatte auf ein rationales Fundament zu stellen. Wenn wir das haben, können wir weitersprechen. Was wir als Verein jedoch bisher gesammelt haben, ist die Praxis-Erfahrung von über 650 Menschen, die ein Grundeinkommen gewonnen haben. Ich habe mit der Lupe nach Faulheit, Dummheit und sonstigen Klischees gesucht. Ich habe nichts gefunden. Klar kann man sagen, die bisherigen Leute sind ein falscher Ausschnitt. Aber vielleicht liegt es ja doch eher an diesem grundsätzlichen Misstrauen.

Sagen Sie deshalb auch, man muss das Grundeinkommen nicht nur denken, sondern auch fühlen?

Ich glaube, das Bedingungslose Grundeinkommen ist eine echte Herausforderung, sowohl für den Kopf als auch für das Herz. Einfach weil es Dinge, die als gegeben in der Gesellschaft hingenommen werden, radikal in Frage stellt. Zum Beispiel die Idee des Homo oeconomicus, also dass jeder nur zu seinem eigenen Nutzen agiert. Das Bedingungslose Grundeinkommen sagt, du bist richtig, du darfst sein, für dich ist gesorgt. Und ab jetzt sorgst du eigenverantwortlich. Das hat es noch nie gegeben in der Menschheitsgeschichte. Ich finde, dass Menschen darüber mal nachdenken dürfen. Deshalb haben wir angefangen, es auszuprobieren. Und siehe da, es gab große Veränderungen. Aus unserem Vertrauensvorschuss entwickelte sich Selbstvertrauen und Vertrauen in andere. Vertrauen ist letztlich Kooperation und Kooperation ist der Wohlstandsfaktor Nummer eins. Um eine neue Form des Wohlstands zu erreichen, muss uns vertraut werden, damit wir vertrauen können. Bei politischen Maßnahmen wird diese Psychologie ausgeklammert. Wir Menschen werden noch zu oft als Maschine gesehen. Aber der Mensch scheint etwas mehr zu sein als eine Dampfmaschine. Darum sagen wir, man muss das Grundeinkommen fühlen dürfen.

Was hat Sie bislang überrascht?

Wir haben Berliner Hipster getroffen, einen Obdachlosen, eine CSU-Oma – am Ende stellten wir gar nicht so große Unterschiede fest. Alle wollen gesehen und gebraucht werden, zur Gesellschaft beitragen. Gleichzeitig gibt es den Vorwurf, sie seien faul und dumm und müssten gemaßregelt werden. Das Grundeinkommen hat sie zum ersten Mal in dem bestätigt, was sie als Mensch empfinden: Nämlich tätig sein zu wollen, nichts auf ihrem Weg verbaut zu bekommen. Unser Verein Mein Grundeinkommen hat es ihnen ermöglicht. Und plötzlich ist da eine neue Kraft. Das, was die Gesellschaft eigentlich von ihnen will, ihnen aber nicht zutraut. Das hat mich wirklich sehr fasziniert.

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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