Wirtschaft
anders denken.

Vom Kopf auf die Füße: Gute öffentliche Beschäftigung statt SPD-»Grundeinkommen«

08.04.2018
Björn Laczay Lizenz: CC BY-SA 2.0Anti-Hartz-Demonstration in München 2004

Was ist vom »Solidarischen Grundeinkommen« zu halten? Die Idee aus der SPD müsste vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Dann kommt ein Konzept für gute öffentlich geförderte Beschäftigung heraus.

Berlin SPD-Bürgermeister Michael Müller hat vor einigen Wochen die Idee eines »Solidarischen Grundeinkommens« in die politische Diskussion gebracht. OXI hat das Modell hier und hier schon zum Thema gemacht. Es sei an der Zeit, »Schluss zu machen mit dem bisherigen System und es zu ergänzen durch ein neues Recht auf Arbeit«, so der Sozialdemokrat. Das Grundeinkommen – nicht zu verwechseln mit dem »bedingungslosen« – solle ein Programm gegen Langzeiterwerbslosigkeit sein. Nun läuft die Kontroverse um das Modell.

OXI-Autor Axel Troost meint, »die Idee von Müller muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden und dann kommt man zu einem fertig ausgearbeiteten Konzept für gute öffentlich geförderte Beschäftigung«.

Was das heißt und wie man dahin kommt, hat der Wirtschaftsexperte schon Ende 2015 aufgeschrieben. Wir dokumentieren an dieser Stelle noch einmal seinen Beitrag. Zu einigen Daten wären heute neue Zahlen  zu berücksichtigen, hinter manchem in dem Text auftauchenden Name steckt heute eine neue politische Funktion. Auf der Basis der hier vorgestellten Überlegungen war im Bundestag 2015 bereits ein Antrag mit der Drucksachennummer 18/4449 gestellt worden.


Programm für gute öffentlich geförderte Beschäftigung auflegen

Seit dem Jahr 2011 stagniert die offiziell registrierte Anzahl der von Langzeitarbeits-losigkeit Betroffenen bei etwa einer Million Menschen. Tatsächlich liegt die Zahl der Betroffenen noch höher. Nicht alle Erwerbslosen werden erfasst, viele fallen durch kurzfristige Jobs oder andere Unterbrechungen vorübergehend aus der Statistik. Langzeitarbeitslose haben kaum vom vergangenen Beschäftigungsaufbau profitiert. Von 2009 bis 2014 ist ihr Anteil an allen Arbeitslosen von 33,3 Prozent auf 37,2 Prozent gestiegen. Langandauernde Erwerbslosigkeit hat sich verfestigt. Im vergangenen Jahr waren laut Bundesagentur für Arbeit 585.000 Menschen länger als zwei Jahre ohne Erwerbsarbeit.

Die Ursachen für Langzeiterwerbslosigkeit sind vielfältig. Es gibt zu wenige Arbeitsplätze. Bundesweit kommen drei Erwerbslose auf eine offene Stelle, in strukturschwachen Regionen ist das Verhältnis deutlich schlechter. Vielen Betroffenen fehlt ausreichende Unterstützung und Förderung. Arbeitgeber geben aufgrund von Vorurteilen Langzeiterwerbslosen oft keine Chance. Bisher wurde das Problem weitgehend verwaltet. Bekämpft wurde nicht die Arbeitslosigkeit, bekämpft wurden die Betroffenen durch Sank-tionen, mit Hartz IV-Leistungen unter der Armutsgrenze und perspektivlosen Ein-Euro-Jobs.

Im Zuge der Hartz-Gesetze und infolge der Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik sind Arbeitsmarktinstrumente, die öffentliche Beschäftigung längerfristig mit einer vollen Sozialversicherungspflicht und tariflicher Bezahlung sowie einer arbeitsmarktnahen Tätigkeit ermöglichten, weitgehend abgebaut worden.

Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung gefordert eine breite Initiative zur Schaffung von guter öffentlich geförderter Beschäftigung zu ergreifen. Gute öffentlich geförderte Beschäftigung kann Erwerbslosen neue Perspektiven eröffnen, soziale Teilhabe ermöglichen, aus Armut herausführen und ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung und Vermeidung von Langzeiterwerbslosigkeit sein. Sie kann zugleich jenseits und ergänzend zu bestehenden Beschäftigungsverhältnissen in vielen Bereichen gesellschaftliche Bedarfe aufgreifen und ermitteln. Der Bedarf an gemeinwohlorientierter Arbeit ist groß, vor allem im sozialen und kulturellen Bereich.

Das von der Bundesarbeitsministerin Nahles geplante Programm „Soziale Teilhabe“ ist unzureichend. Der Umfang von bundesweit 10.000 Stellen ist viel zu gering. Zusätzliche Mittel werden nicht bereitgestellt. Die zu schaffenden Stellen beinhalten nicht die Arbeitslosenversicherung. So fallen Betroffene bei Arbeitslosigkeit erneut in Hartz IV.

Zu Recht fordern Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und viele Bundesländer daher einen neuen Anlauf für öffentlich geförderte Beschäftigung. Dies setzt voraus, dass der Bund seine bisherige Verweigerungshaltung aufgibt. Er muss die Zusammenführung von verschiedenen Leistungen der Arbeitsförderung gesetzlich ermöglichen (Passiv-Aktiv-Transfer) und so den Weg für eine Grundfinanzierung von öffentlich geförderter Beschäftigung frei machen. Die Bundesregierung will entgegen anfänglicher Ankündigungen wegen möglicher Mehrausgaben nicht einmal den Passiv-Aktiv-Tausch im Rahmen von Modellprojekten erproben. Die Perspektiven der Langzeitarbeitslosen dürfen nicht der schwarzen Null im Haushalt geopfert werden. Gute öffentlich geförderte Beschäftigung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Sie zahlt sich gesellschaftlich und langfristig auch finanziell aus, wenn man die Folgekosten von Erwerbslosigkeit und verschenkten wirtschaftlichen Potentialen miteinbezieht.

Neben einer ausreichenden Grundfinanzierung und individuellen Möglichkeiten zur Begleitung und Unterstützung der Beschäftigung bedarf es für gute öffentlich geförderte Beschäftigung zudem klarer Kriterien, nach denen die Arbeitsplätze freiwillig, tariflich und existenzsichernd bezahlt, auf längere Zeit auszulegen sind und den Maßstäben einer regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung entsprechen. Nur dann kann tatsächlich soziale Teilhabe erreicht werden. Die Zielgruppe auf eine Mindestdauer der Arbeitslosigkeit von zwei Jahren oder länger einzugrenzen ist falsch. Öffentlich geförderte Beschäftigung soll helfen, längere Arbeitslosigkeit zu vermeiden und darf nicht zu spät ansetzen.

Öffentlich geförderte Beschäftigung kann aber nicht die alleinige Antwort auf das Problem der Langzeiterwerbslosigkeit sein. Dem Bundestag liegt ein Fünf-Punkte-Programm zur Vermeidung und Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit vor (Bundestagsdrucksache 18/3146), welches öffentlich geförderte Beschäftigung im Rahmen einer aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik neben der Schaffung regulärer Arbeitsplätze einfordert. Ferner sollen Weiterbildung und Qualifizierung sowie die Rechtsposition der Betroffenen gestärkt, Arbeitgeber finanziell wieder stärker zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit herangezogen und älteren Erwerbslosen der armutsfeste Übergang in die Rente ermöglicht werden.

Wir fordern deshalb ein Programm „Gute öffentlich geförderte Beschäftigung“ im Umfang von 300.000 Stellen aufzulegen und einen dafür notwendigen Gesetzentwurf vorzulegen. Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten:

Langzeiterwerbslosen neue Perspektiven eröffnen

  1. Die öffentlich geförderten Stellen stehen allen Erwerbslosen offen, die seit einem Jahr oder länger arbeitslos sind. Eine weitere Eingrenzung oder ein Auswahlverfahren über Voraussetzungen wie sogenannte Vermittlungshemmnisse findet nicht statt.
  2. Öffentlich geförderte Beschäftigung richtet sich an den Bedürfnissen der Erwerbslosen und an den regionalen Gegebenheiten aus. Langzeiterwerbslose können sich auf die ausgeschriebenen Stellen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor bewerben. Allerdings sind Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen vorrangig, wenn sie die Beschäftigungsperspektiven der Betroffenen nachhaltig verbessern. Bei den unter 25-Jährigen steht ausschließlich Ausbildung und Qualifizierung im Vordergrund, eine öffentlich geförderte Beschäftigung ist ausgeschlossen.
  3. Besteht bei den Beschäftigten im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor Bedarf an individueller Unterstützung, Begleitung, Beratung und Qualifizierung werden diese im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses begleitend angelegt. Notwendige Qualifizierungsmaßnahmen sollen dazu beitragen, die Übereinstimmung zwischen Arbeitsplatzanforderungen und persönlichen Arbeitsplatzvoraussetzungen herzustellen bzw. beständig aufrechtzuerhalten sowie Perspektiven für einen Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wenn nötig, soll passgenaue individuelle, familiäre oder psychosoziale Unterstützung gewährt werden.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, tariflich bezahlt, mindestens nach Mindestlohn und freiwillig

  1. Die neu zu schaffenden Arbeitsplätze sind voll sozialversicherungspflichtig, enthalten also auch die Arbeitslosenversicherung. Das Bruttoentgelt hat den tariflichen Regelungen, so vorhanden zu entsprechen und bei vollzeitnaher Beschäftigung mindestens 1.500 Euro im Monat zu betragen. Es gibt keine Ausnahmeregelung vom gesetzlichen Mindestlohn.
  2. Die Beschäftigungsverhältnisse sind zeitlich begrenzt, zwischen drei bis fünf Jahren, anzulegen. Verlängerungen müssen bei Prüfung des gesellschaftlichen und individuellen Bedarfs möglich sein. Bei älteren Erwerbslosen ist die Tätigkeit so anzulegen, dass der Übergang in eine abschlagsfreie Rente ermöglicht wird. Für die Gruppe der über 55-Jährigen wird der Übergang als Rechtsanspruch verankert.
  3. Die Beschäftigung ist freiwillig. Um dies sicherzustellen, werden ausdrücklich entsprechende Änderungen im SGB II vorgenommen. 

Neue Beschäftigung schaffen, Verdrängung verhindern, gute Umsetzung und Kontrolle sicherstellen

  1. Die Bedarfe und Einsatzfelder öffentlich geförderter Beschäftigung werden vor Ort festgestellt und ermittelt. Es muss sich um neue, zusätzliche Beschäftigung handeln. Bisherige und derzeitige von der öffentlichen Hand erbrachte Arbeiten dürfen nicht ersetzt oder verdrängt werden. Es handelt sich um gemeinwohlorientierte Tätigkeiten. Private Gewinnaneignung im Rahmen öffentlich geförderter Beschäftigung ist auszuschließen. Bei einem dauerhaften gesellschaftlichen Bedarf sollte das Ziel sein, öffentlich geförderte Beschäftigung in regulär finanzierte Arbeitsplätze umzuwandeln.
  2. Die Organisation öffentlich geförderter Beschäftigung erfolgt in Zusammenarbeit der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit den örtlichen Arbeitsmarktakteuren. Dazu werden regionale Beiräte für öffentlich geförderte Beschäftigung gebildet, in denen die zuständigen Gewerkschaften, Verbände und Kammern der Unternehmen mitwirken sowie Erwerbsloseninitiativen und weitere Akteure der lokalen Arbeitsmarktpolitik. Um eine funktionierende Arbeit der regionalen Beiräte zu gewährleisten, ist eine ausreichende Finanzierung ihrer Arbeit sicherzustellen.
  3. Die regionalen Beiräte entscheiden über Einsatzfelder der öffentlich geförderten Beschäftigung. Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die regionalen Beiräte, in denen ihre Vertreterinnen und Vertreter mitarbeiten. Um die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze sowie Wettbewerbsverzerrung zu verhindern, wird bei Entscheidungen über die förderungsfähigen Maßnahmen die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberseite mit einem Vetorecht ausgestattet. Die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsbedingungen und korrekter Bezahlung ist zu gewährleisten.
  4. Zur Organisation öffentlich geförderter Beschäftigung sind klare und eindeutige gesetzliche Regelungen zu erarbeiten, die die Erfahrungen bei der Herstellung von Öffentlichkeit, Transparenz und demokratischer Mitwirkung bei Organisation, Koordinierung sowie Kontrolle in den bisher durchgeführten Modellprojekten zu öffentlich geförderter Beschäftigung berücksichtigen. Durch geeignete Maßnahmen ist sicherzustellen, dass die Arbeitsplatzvergabe diskriminierungsfrei gestaltet wird. In Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, sind sie bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen.
  5. Die 300.000 Stellen werden entsprechend dem Anteil der Langzeitarbeitslosigkeit auf die Bundesländer verteilt. 100.000 Arbeitsplätze werden im ersten Jahr nach dem Programmstart, die anderen 200.000 in den darauffolgenden zwei Jahren aufgebaut.
  6. Das Programm und insbesondere die Finanzierung durch Passiv-Aktiv- Transfer werden durch eine wissenschaftliche Evaluierung begleitet. Ergebnisse und gesammelte Erfahrungen sind in einem jährlichen Rhythmus mit Schlussfolgerungen zu veröffentlichen und fließen in die weitere Programmumsetzung ein. Nach fünf Jahren erfolgt eine vorläufige Gesamtevaluation des Projekts.

Grundfinanzierung sicherstellen

  1. Der Bund stellt eine ausreichende Grundfinanzierung sicher, indem er es ermöglicht Gelder, die derzeit zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit aufgebracht werden, zur Schaffung gemeinnütziger Arbeitsplätze heranzuziehen und zu bündeln. Dazu zählen insoweit das Arbeitslosengeld II, Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) sowie die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge. Diese genannten Gelder der passiven Arbeitsmarktpolitik müssen in Mittel für aktive Arbeitsmarktmaßnahmen umgewandelt werden können (Passiv-Aktiv-Transfer) – etwa mit einem Haushaltsvermerk nach der Bundeshaushaltsordnung, der die gegenseitige Deckungsfähigkeit der verschiedenen Mittel der Arbeitsmarktpolitik sicherstellt.
  2. Der Bund stellt aus Mitteln der sogenannten passiven Leistungen und den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik eine Grundfinanzierung von 1.200 Euro pro Arbeitsplatz sowie die Finanzierung der notwendigen Begleitung der Beschäftigung sicher. Um existenzsichernde, tariflich bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen, bedarf es weiterer Mittel. Länder und Kommunen, die von den neuen Arbeitsplätzen profitieren, müssen sich ebenso beteiligen. Die Kommunen sollen mindestens die von ihnen durch die Beschäftigung eingesparten Unterkunftskosten als Finanzierungsbeitrag einsetzen. Finanzierungen durch Mittel des Europäischen Sozialfonds sind auf Landesebene möglich. Gemeinnützige Unternehmen, die als Träger öffentlich geförderter Beschäftigung aktiv sind, prüfen eine Beteiligung. Um der Einrichtung von Arbeitsplätzen in ausschließlich unteren Tarifgruppen entgegenzuwirken, erhöht sich die Bundesbeteiligung progressiv bis zum mittleren Bruttomonatsentgelt eines sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten auf 75 Prozent. Neben den Beschäftigungszuschüssen hat die Finanzplanung ferner die Kosten für Infrastruktur und Trägerfinanzierung zu beinhalten.
  3. Um das Programm „Gute öffentlich geförderte Beschäftigung“ zu finanzieren, ist die finanzielle Ausstattung in der Arbeitsmarktpolitik dahin gehend zu verbessern, dass der Eingliederungstitel von 3,9 Mrd. € auf 7,5 Mrd. € erhöht und zugleich von Arbeitgebern eine zeitlich befristete Sonderabgabe zur Bekämpfung der Langzeiterwerbslosigkeit in Höhe von 0,5% der Lohnsumme erhoben wird.

 

Geschrieben von:

Axel Troost
Axel Troost

Senior Fellow für Wirtschafts- und Europapolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung

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