Wirtschaft
anders denken.

Haltet den Dieb, diesmal ist es der Italiener: Über die Konstruktion des Anderen

04.06.2018

Haltet den Dieb funktioniert noch immer und immer wieder. Die Stoffe, aus denen Feindbilder gemacht sind, bleiben die Gleichen. Und bedürfen einer kollektiven Vorstellung über die Realität, die nichts mit der Realität gemein haben muss.

Wir müssen nicht mehr über den aktuellen »Spiegel«-Titel reden. Mit dem an einer Gabel hängenden und aus Spagetti geknoteten Galgen hat sich das Magazin – vornehm ausgedrückt – selbst ausreichend desavouiert. Seltsamerweise war die erste Assoziation die einer Werbebroschüre des Ku Klux Klan: Hängt sie, wenn sie es nicht selber tun wollen. Aber, in deutscher Lesart tun sie es ja, die Italiener, da muss man gar nicht nachhelfen, wie es der »Spiegel« macht.

Doch es lohnt sich immer wieder, nachzuschauen, wie die Konstruktion des Anderen, des Feinbildes, sprachlich funktioniert. Ganz einfach, möchte man sagen: Durch semantische Entwertung und eigene Aufwertung. Das stimmt und zugleich verwundert jedes Mal aufs Neue der mit Dummheit gepaarte Mut, mit dem das dann in die Medien und somit zu uns gelangt.

Die Taktik ist sehr schlicht, aber nicht erfolglos. Erst wird ein Feindbild geschaffen – in diesem Fall heißt unser neues europäisches Feindbild Italien, dann wird mit dem Finger draufgezeigt und gesagt, die Italiener würden gerade etwas ganz Schreckliches tun, nämlich Deutschland zum Feindbild erklären. Holla, denkt man, wie konnten wir so schnell auf »Haltet den Dieb« umschalten. Geht aber. Geht immer, wie wir an Griechenland gemerkt haben.

Die konnten uns noch nie leiden

»In Italien lebt das Feindbild wieder auf«, erzählte uns der Sender ntv vor einigen Tagen. »Die Regierungskrise in Italien schürt die Angst vor einer neuen Eurokrise, die Märkte sind in Aufruhr. In Italien lebt derweil ein altes Feindbild wieder auf: Deutschland. Die Verärgerung richtet sich gegen das sogenannte ›Spardiktat‹ und die wirtschaftliche Stärke des europäischen Nachbarn. Nicht ganz zu Unrecht, meinen Experten.«

Sprachlich ist der Teaser ein kleines Meisterwerk. Nicht die Italiener haben Angst vor irgendwas, sie schüren bei uns Angst. Noch schlimmer: Die Märkte sind in Aufruhr. Dieser Satz versetzt uns seit jeher in allerhöchste Alarmbereitschaft. Zwei Dinge dürfen nicht in Aufruhr geraten. Jetzt. Die Märkte und Jogi Löw. In Italien lebt derweil ein altes Feindbild wieder auf. Sagt uns: Die konnten uns noch nie leiden und jetzt zeigen sie es mal wieder offen.

Das »sogenannte Spardiktat« ist interessant, weil sich hier jemand seiner Sache gar nicht sicher ist und deshalb zum »sogenannten«, das gemeinhin die Tüddelchen ersetzen soll, auch noch Spardiktat in Anführungszeichen setzt. Doppelt hält besser, in dem Falle hebt es sich aber eigentlich auf. Schwamm drüber. Was wir hören und lesen sollen ist: Das Spardiktat ist gar keins. Und wenn es eins ist, dann eine richtige, notwendige, längst überfällige Maßnahme, die den Italienern zum Besten gereichen wird. Eltern sagen in solchen Augenblicken zu ihren Kindern: »Später wirst du mir mal dankbar sein.« Kinder besorgen sich im besten Fall an dem Punkt einen Hund, lassen sich einen Irokesen verpassen und gehen auf die Straße, um Hundefutter und Geld für Bier zu schnorren.

Mobilmachung im Land der Schwarzen Null

Die »Frankfurter Allgemeine« fragt in einem Interview mit der Bundeskanzlerin, in dem es um Italien geht: »Es wird mit dem Feindbild Deutschland mobilisiert. Wie erklären Sie sich das?«

Frau Merkel hätte sagen können, dass sie hin und wieder die Kolumnen des »Spiegel«-Autoren Jan Fleischhauer liest und deshalb mal mit einer noch nicht fertig unterlegten Erklärung aufwarten könnte. Nämlich der, dass die Mobilmachung vorher woanders stattgefunden hat. Nämlich hier, im Land der Schwarzen Null.

»Mit den Clowns kommen die Schulden„: Was man von einer Nation halten solle, die drauf und dran sei, zwei Kasperlefiguren mit der größten Macht auszustatten, wollte Fleischhauer zum Beispiel wissen. Ja was wohl, das sind mindestens Verrückte, eigentlich aber Schnorrer.

Und gar nicht lange ist es her, dass der Mann in einer Kolumne mit dem schönen Titel »Die Schnorrer von Rom« die Frage stellte, wie man eine Nation nennen soll, »die erst die Hand aufhält, um sich ihr schönes Leben von anderen finanzieren zu lassen – und dann ihren Geldgebern droht, wenn diese die Rückzahlung der Schulden anmahnen?«

Fleischhauer ist Kolumnist, Kolumnisten dürfen – und das zu Recht – erst einmal alles. Dass seine schlichte schwarz-weiß-Sicht auf die Dinge, gepaart mit wirklich üblem sprachlichem Bashing, nun aber zum Titel des Magazins reüssiert, ist doch bemerkenswert.

Die Sache mit dem Handelsüberschuss

Differenzierter widmete sich das »Handelsblatt« dem Thema, wenn auch unter der Überschrift »Kampf der Vorurteile – Deutschland wird in Italien zum Feindbild.« Eines allerdings mag man auch dort bei aller Differenziertheit nicht mehr hören: »Sogar kluge und normalerweise ausgewogene Kommentatoren wie Federico Fubini im ›Corriere della Sera‹ legen nun nach: Er vergleicht die aktuelle Situation in Italien mit Griechenland im Sommer 2015 und schreibt: ›Mit solchen Klischees soll die öffentliche Meinung (in Deutschland) vorbereitet werden auf die Haltung, die die Regierung einnehmen wird, wenn es zum Knall kommt: nur nicht zulassen, dass ein Land das System konditioniert mit der Drohung, den Euro zu verlassen.‹ Und dann erwähnt er – wie es immer die Italiener in diesem Kontext tun – den Handelsüberschuss Deutschlands. ›Dieses Deutschland ist nur mit den anderen streng‹, schreibt Fubini. Und dass die Auseinandersetzung das größte Geschenk für die Anti-Europäer in Italien sei. In dem Punkt hat er recht.«

Vielleicht erwähnen die Italiener immer den Handelsüberschuss, weil er wirklich eines, wenn auch eines von vielen Problemen ist. Wiederholung ist nicht unbedingt die Mutter der Weisheit, aber die Dinge verschwinden auch nicht, nur weil man sie nicht mehr benennt.

»Italien darf uns nicht erpressen«, schreibt »Focus«, was uns ganz sicher zu der Annahme verleitet, dass Italien genau das vorhat. Und was als Trigger immer funktioniert, deshalb in der Unterzeile des Artikels steht: »Das könnte für Deutschland teuer werden.« Wovor wir Angst haben sollten angesichts solch desparater Lümmel, wie es die Italiener sind: »Was sich in Italien anbahnt, ist brandgefährlich und kann zum Endspiel für den Euro werden. Die römischen Populisten spielen bewusst mit der Zukunft der Gemeinschaftswährung.

Eine Europapolitik des Durchwurschtelns seit Beginn der Euro-Krise 2010 hat uns in eine Situation gebracht, in der wir erpressbar sind. Denn Schuldner und Gläubiger haben ihre Positionen getauscht: Der Schuldner beginnt, die Gläubiger – das sind alle solideren Euro-Partner – massiv unter Druck zu setzen.«

Kollektive Vorstellungen und die Realität

Endspiel für den Euro – wir werden merken, dass sich, sobald die Fußball-WM beginnt, die entsprechenden Metaphern auch in der Wirtschaftsberichterstattung häufen werden. Und geben auf dem oxiblog.de ein heiliges Versprechen, da nicht mitzumachen.

Deutschland, der solide Europartner laut »Focus«, das Land, das am meisten von der Gemeinschaftswährung profitiert hat und profitiert, dessen Stärke sich seit der Einführung des Euro auch und wesentlich aus der Schwäche anderer nährt – es ist langweilig, aber tatsächlich muss immer mal wieder über Leistungsbilanz und Exportüberschüsse geredet werden – fühlt sich nun von seinen Schuldnern erpresst.

Tatsache ist: Haltet den Dieb funktioniert noch immer und immer wieder. Die Stoffe, aus denen Feindbilder gemacht sind, bleiben die Gleichen. Und bedürfen einer kollektiven Vorstellung über die Realität, die nichts mit der Realität gemein haben muss. Rationale Analyse ist, um ein Feindbild herzustellen, völlig kontraproduktiv. Das weiß nicht nur Jan Fleischhauer. Aber der weiß es besonders gut.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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