Wirtschaft
anders denken.

Arme Kinder, Hartz in NRW und ein Unternehmer, der sagt: Keiner kann vom Mindestlohn leben

21.02.2018
Pexels / Pixabay

Ein Unternehmer, der sagt, seine Angestellten hätten ihn durch ihre Arbeit reich gemacht? Gibt es. Horrende Hartz-Quoten in NRW und unter Kindern? Gibt es auch. Neue Zahlen zur Ungleichheit – und was Linksparteichefin Kipping dazu meint. 

Besonders viele Schlagzeilen hat der Welttag der sozialen Gerechtigkeit der Vereinten Nationen in diesem Jahr nicht gemacht. Mag sein, dass über Ungleichheit, soziale Spaltung und die ökonomischen Ursachen von Armut und Reichtum auch sonst schon viel geschrieben wird. Aber um es etwas vereinfacht zu formulieren: Es bleiben jeden Tag Gründe genug, es wieder zu tun. Mindestens, solange sich nichts Grundlegendes ändert.

Was zum Beispiel? Nun, in einem Land mit einer derartigen Reichtumsproduktion wie der Bundesrepublik, in der die Rendite-Aussichten der Anleger in diesem Jahr bestens sind, in der die privaten Vermögen bestimmter Milieus immer weiter wachsen und man sich über die Gestaltung der Zukunft Gedanken macht, bleibt der sozialpolitische Status quo ein Skandalon.

Anteil der Hartz-Empfänger in NRW örtlich bis 25 Prozent

Neue Zahlen verdeutlichen dies. So liegt etwa der Anteil der Empfänger von Hartz-Leistungen an der Bevölkerung allein in Nordrhein-Westfalen inzwischen bei 9,2 Prozent (Dezember 2016). Die Quote lag 2014 noch bei 8,9 Prozent. In absoluten Zahlen: Es handelte sich damals um fast 1,6 Millionen Menschen, vor gut einem Jahr waren es schon fast 1,7 Millionen. Daten für 2017 liegen noch nicht vor.

Wie die »Rheinische Post« weiter unter Berufung auf Regierungsangaben schreibt, ist die Lage vor allem in einigen Städten besonders gravierend. »In Gelsenkirchen erhält fast ein Viertel (24,9 Prozent) der Bevölkerung die so genannte Grundsicherung nach dem zweiten Sozialgesetzbuch«, heißt es. In Essen sind es 20,3 Prozent, in Duisburg 19,6 Prozent, in Herne 19,4 Prozent und in Mönchengladbach 18,7 Prozent.

Kinder und Jugendliche im Hartz-System: regionale Daten

Noch ein Beispiel: Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe hat Daten über Heranwachsende ausgewertet, die von Hartz-Leistungen leben müssen – und das regional stark heruntergebrochen. Im Vergleich der Kreise, Städte und Länder zeigt sich ein krasses Gefälle: Von den unter 18-Jährigen sind regional bis zu 40 Prozent betroffen – es gibt aber auch Kreise, in denen die Quote nur bei 2,2 Prozent liegt. Ähnlich ist das Bild in den Großstädten, wo die Spanne zwischen 32,5 Prozent und 11,3 Prozent liegt, auf Länderebene tut sich der Graben zwischen 31 Prozent und 7,1 Prozent auf.

Zum Vergleich: Die Quote in der Altersgruppe unter 18 Jahre beträgt im Bundesdurchschnitt 14,8 Prozent; im Westen sind es 13,5 Prozent, im Osten 20,4 Prozent. Die Daten wurden auf Grundlage der erst Anfang 2018 veröffentlichen Bevölkerungsfortschreibung bis Ende 2016 und Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit errechnet. Es ist nur eine zweiseitige Tabelle – aber eine, aus der nicht nur große Differenzen sichtbar werden, sondern man auch eine Ahnung davon bekommt, wie viele Kinder und Jugendliche mancherorts unter Armutsbedingungen aufwachsen müssen.

Natürlich wären hier Forderungen wie die nach einer Kindergrundsicherung anzuschließen, auch grundlegende Kritik am Hartz-System ist nötig. Allerdings geht es hier um die sekundäre Verteilungsebene, das Problem liegt aber zuvörderst auf der primären – also dort, wo Arbeitseinkommen gezahlt werden oder eben nicht. Woran man in Sachen Entgelte an einem Welttag der sozialen Gerechtigkeit erinnern konnte? Ausgerechnet ein Unternehmer hat es getan.

Unternehmer: Keiner kann von einem Mindestlohn leben

Im Deutschlandradio Kultur hat der Besitzer der Öl- und Schmierstofffirmen Liqui Moly und Méguin ein paar eigentlich selbstverständliche Worte gesagt. »Das Vermögen, das ich erarbeitet habe, habe ich zum großen Teil auch meinen Leuten zu verdanken«, so Ernst Prost. »Diese 835 Menschen bei Liqui Moly haben mich durch ihre Arbeit reich gemacht. Und so ist es nur billig und recht, wenn diesen Menschen dann auch über Gewinnprämien, über vernünftige Löhne und Gehälter ein Teil des Gewinnes zufließt.«

Was der Unternehmer auch sagt: »Kein Mensch kann von einem Mindestlohn leben, geschweige denn eine Familie unterhalten. Da sind wir doch schon beim Existenzminimum angelangt.« Das ist deshalb interessant, weil immer mal wieder über die Höhe der Lohnuntergrenze gesprochen wird – und man Olaf Scholz, den SPD-Kommissar, durchaus daran erinnern darf, dass er noch vor ein paar Wochen einen Mindestlohn von 12 Euro als nötig ansah.

Prost repräsentiert ein Unternehmerselbstbild, das man irgendwie im Kopf mit den alten Zeiten der »sozialen Marktwirtschaft« zusammenbringt. Mag auch sein, das in der Kritik anderer Konzerne und deren Gebarens ein wenig Marketing steckt. Der Radiosender auf seiner Website: »Für Prost ist klar: Reichtum verpflichtet! Für Großkonzerne, die Steuerschlupflöcher nutzen und die Gehälter auf Mindestlöhne drücken, hat er deshalb kein Verständnis.« Die Spielregeln, die Prost anschlägt, lauten: »Vernünftige, den Leistungen und dem Kostenniveau des Arbeiters angepasste Löhne und Gehälter zu bezahlen.« Zudem sprach er sich dagegen aus, »nach allen Regeln der Kunst Gewinne« zu verschieben, »die dann auch dem Staat in Form von Steuern fehlen«.

Man findet bei Deutschlandradio Kultur dann noch den Hinweis, »seine Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen habe ihn auch für die Nöte der Geringverdiener sensibilisiert«. Dagegen ist nichts zu sagen, allerdings erübrigt sich der Hinweis nicht, dass die Problem kapitalistischer Reichtumsmehrung und Armutsproduktion nicht bloß eine Frage der Sensibilität ist, sondern des Systems.

Verteidigung im Vorwärtsgang?

Darauf hat am Welttag der sozialen Gerechtigkeit, der am Dienstag abgehalten wurde, die Linksparteivorsitzende Katja Kipping hingewiesen. Eines, schrieb sie auf Facebook, brenne ihr »auf der Seele« – die globale Ungleichheit. »Weltweit gibt es 2.043 Milliardäre, während 3,7 Milliarden Menschen in Armut leben. In Deutschland ist Umverteilung eine Frage von Gerechtigkeit – weltweit ist sie eine Frage von Leben und Tod.«

Wie lässt sich die Frage im Sinne kollektiver Solidarität und eines internationalen Universalismus beantworten? Kipping glaubt, dies erfordere »den Mut, sich mit Superreichen und Konzernen anzulegen« und sie sagt, »kleine Kurskorrekturen innerhalb des neoliberalen Kapitalismus reichen nicht. Es braucht eine Politik, die Konzernprofite zu einem reichen Gemeinwesen beitragen lässt und die Vermögenden endlich angemessen besteuert. Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenheit sind heute nur noch im Vorwärtsgang zu verteidigen.«

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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