Wirtschaft
anders denken.

Hartz quattro, aber schlechter: Was wirklich hinter dem italienischen »Grundeinkommen« steckt

27.05.2018
Fondo Paolo Monti, BEIC / Civico Archivio Fotografico of Milan / CC BY-SA 4.0 Milano La nuova periferia 1958

Plant die neue italienische Regierung ein Bürgergeld? Verspricht so gar »den Himmel auf Erden«? Nein, sie nimmt Kurs auf ein Hartz-System, wie man es hierzulande ähnlich kennt. Mit Bedarfsprüfung und Arbeitspflicht. Die EU fordert das sogar ein. 

Landauf, landab wird dieser Tage vor den »teuren Versprechen der Populisten« in Italien gewarnt. Der FDP-Politiker Alexander Lambsdorff etwa sprach von »unrealistischen und nicht finanzierbaren Forderungen«, der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer befand die Ausgabenpläne für »gefährlich«. Und einer der Lautsprecher der wohlfeilen Italienkritik in Deutschland, Jan Fleischhauer, glaubt sogar, »die neue Regierung verspricht den Italienern den Himmel auf Erden«.

Neben den angepeilten Änderungen bei der Steuer und einer Rentenreform wird dann meist »ein allgemeines Grundeinkommen« als Beispiel »für die Wohltaten« genannt. Das »reddito di cittadinanza« findet sich auf Sei­te 34 des Ko­ali­ti­ons­ver­trags des Bündnisses aus Populisten und Rechtsradikalen. Es geht um einen Betrag von 780 Euro für Alleinstehende und maximal 1.950 Euro für eine Familie mit zwei Kindern. 17 Milliarden Euro im Jahr soll das ganze kosten, der Start ist für 2020 vorgesehen. Wohnkosten müssen aus dem Transferbetrag bestritten werden.

Aber mit dem »Himmel auf Erden« hat das Ganze wenig zu tun. Es handelt sich eher um »Hartz IV für Italiener«, wie Stephan Kaufmann in der »Frankfurter Rundschau« schreibt. Ein genauerer Blick zeige, »dass es sich dabei nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handelt, sondern lediglich um ein schlechteres Hartz IV, mit dessen Einführung die Regierung zudem einer EU-Forderung nachkäme.« Und umstritten ist es auch in Italien – Kritik wird oft mit Argumenten vorgetragen, die auch hier in der sozialpolitischen Diskussion gepflegt werden: eine staatliche Leistung entmündige, mache faul und nehme die Verantwortung von den Leuten.

Das »reddito« ist weder bedingungslos noch bedarfsunabhängig. Bezugsberechtigt ist, wer einJahreseinkommen unter 9360 Euro hat – das ist die Summe aus zwölf Mal 780. Die genannten Beträge werden ausgezahlt, wenn es keine weitere Einkommen gibt. Ansonsten stockt der Staat auf.

In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« zitiert Ralph Bollmann aus dem Koalitionsvertrag: »Um die Wie­der­ein­glie­de­rung des Bür­gers in die Ar­beits­welt zu er­mög­li­chen, setzt die Aus­zah­lung des Bür­ger­ein­kom­mens ein ak­ti­ves En­ga­ge­ment des Be­güns­tig­ten vor­aus«, das heißt »Job­an­ge­bo­te des Ar­beits­amts müs­sen an­ge­nom­men wer­den, sonst ver­fällt der An­spruch auf Un­ter­stüt­zung«. Kaufmann schreibt: »Man muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, man muss aktiv und nachweislich nach Arbeit suchen, man muss auf Anweisung gemeinnützige Arbeiten ausführen, sich weiterbilden. Und wer drei Jobangebote ablehnt, der verliert seinen Anspruch.«

Das klingt bekannt – nämlich nach dem deutschen Hartz-System. Der Unterschied ist, dass es in Italien bisher nur eine rudimentäre Absicherung für Erwerbslose gibt. Zwar führte »Tech­no­kra­ten­re­gie­rung des Öko­no­men Ma­rio Mon­ti vor un­ge­fähr fünf Jah­ren« eine Regelung ein, laut der »es ein Jahr lang, für Äl­te­re an­dert­halb Jah­re, ei­ne Un­ter­stüt­zung« gibt, »die sich am letz­ten Ein­kom­men ori­en­tiert – ver­gleich­bar dem deut­schen Ar­beits­lo­sen­geld I.«, so die FAS.

Aber, ergänzt die FR: »Die soziale Absicherung ist eher bescheiden. Das Arbeitslosengeld ist bei 1300 Euro gedeckelt. Maximale Bezugsdauer sind zwei Jahre, in der Realität allerdings erhalten es die meisten nur wenige Wochen oder Monate. Danach gibt es für die meisten Italiener vom Staat nichts mehr. Ein System wie Hartz IV ist dort unbekannt. Letzter Rückhalt ist daher die Familie. Von den 25- bis 29-jährigen Italienern wohnen zwei Drittel noch bei den Eltern.«

Eine der Wirkungen des »reddito di cittadinanza« nennt Spiegel online: »Im Detail werden Empfänger auf dem Land oder in strukturschwachen Städten aufgrund der dort niedrigen Wohnpreise wesentlich besser davon leben können als Empfänger in den teuren Städten wie Mailand oder Rom.« Hintergrund ist die starke soziale Spaltung des Landes, dem Norden geht es vergleichsweise gut, der Süden ist von starker Armut gezeichnet.

»In den Regionen Calabria oder Campania liegt die Arbeitslosenquote über 50 Prozent. Dort hat die Fünf-Sterne-Bewegung auch die meisten Stimmen bekommen, nicht zuletzt wegen des vorgeschlagenen Bürgergelds«, so Kaufmann. »Krise und Stagnation der vergangenen Jahre haben die Einkommen der italienischen Haushalte um durchschnittlich zehn Prozent gedrückt. Der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Personen liegt bei fast 30 Prozent. Etwa ein Fünftel aller Italiener lebt unter der Armutsschwelle – sie liegt für einen Single-Haushalt bei 9500 Euro im Jahr. Die Arbeitslosigkeit beträgt elf Prozent.«

Die Kritik an den Plänen für das »reddito di cittadinanza« hat noch eine andere Schieflage: Die Einführung wird von der Europäischen Union ausdrücklich empfohlen, ja sogar gefordert. In einem Papier der EU-Kommission kann man das nachlesen: »Der Grundsatz des Mindesteinkommens ist an mehreren Stellen des sozialen Besitzstands der Union verankert«, heißt es dort, Es gehe darum, »das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung« zu gewähren, »die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen«.

Und weiter: Ein Mindesteinkommen werde »ausdrücklich in einer Empfehlung des Rates von 1992 sowie in der Empfehlung der Kommission zur aktiven Eingliederung von 2008 erwähnt, in der die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert werden, eine angemessene Einkommensunterstützung mit einem Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen und integrativen Arbeitsmarktmaßnahmen zu kombinieren«. Auch in »jüngsten politischen Leitlinien der Kommission« sei das Ziel »hervorgehoben, unter anderem im Paket für Sozialinvestitionen aus dem Jahre 2013 und in der Empfehlung des Rates zur Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit aus dem Jahre 2016.«

2017 trat das »Reddito di inclusione« in Kraft, ein Einkommen zu Eingliederung. Die »Tageszeitung« schrieb vor der Einführung: »Wer davon profitieren will, muss alle persönliche Daten offenlegen, um dann entweder in eine Bildungsmaßnahme oder in Arbeit gebracht zu werden. Aber die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, wie schwierig sich solche Regelungen in der Realität gestalten – und wie leicht man aus der Falle der Armut in die der Bürokratie geraten kann.« Und die Zeitun erinnerte: »Bis vor Kurzem war Italien das einzige Land in der EU ohne ein staatliches System zur Absicherung gegen soziale Not. Die im Frühjahr 2017 beschlossene Leistung REI kommt bei Weitem nicht allen Bedürftigen zugute. Berechtigt sind nur italienische Staatsbürger, EU-Bürger, die seit zwei Jahren in Italien leben, und Ausländer mit unbegrenzter Aufenthaltsgenehmigung und festem Arbeitsplatz.«

aus einer Fotoserie von Paolo Monti, die in den 1950er Jahren entstand. Fondo Paolo Monti, BEIC / Civico Archivio Fotografico of Milan / CC BY-SA 4.0 

Geschrieben von:

Vincent Körner

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