Wirtschaft
anders denken.

Was hat Hartz gebracht? Und wem? Warum man die Kontroverse nicht mit »Basta« beenden kann

24.04.2018
Bernd Schwabe , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Rainer Hank würde gern die Debatte über Hartz IV stoppen, und das sogar mit einem »Basta«. Warum? Weil die Reformen angeblich so gut funktioniert hätten. Das ist nicht nur eine Frage der Studien, die man zur Begründung heranzieht. Sondern auch eine des Interesses, von dem man aus argumentiert.

In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« spricht Rainer Hank von einer »Geisterdebatte« und glaubt sogar, die Regierung »macht sich über die Hartz-Reformen her«. Bisher haben ein paar Sozialdemokraten entweder über eine Umbenennung der ebenso umstrittenen Reform oder über eine Art ABM-System für einen kleineren Teil der Langzeiterwerbslosen nachgedacht. Dass sich irgendwer wirklich über diesen Kern der Schröder-Agenda »hermacht«, kann man also nicht gerade sagen. Und wenn eine Regierung sich nach Jahren des Ausweichens und Zögerns einmal ein paar besonders fragwürdige Elemente wie das Strafsystem anschaut oder die von vielen Experten kritisierte Höhe des Regelsatzes, nun ja, dann wäre das eher in der Rubrik »wurde ja auch Zeit« abzubuchen.

Hank will stattdessen, dass alles so bleibt. Basta? Aufgefahren werden dazu auch »die öko­no­mi­schen Ar­gu­men­te«, wobei diese vor allem in der Aufzählung von Arbeitsmarktindikatoren besteht und auf die Pointe hinauswill: »Der ›erste‹ Arbeitsmarkt funktioniert bestens«. Ob Hank dazu die mit der überproportional angewachsenen Zahl von prekären oder atypischen Jobs bedachten Menschen einmal gefragt, wie sie das sehen, kann hier ebenso wenig beantwortet werden wie die Frage, ob man einen Arbeitsmarkt das Prädikat »bestens« verleihen kann, der weithin Einkommensarmut zulässt, in dem mit öffentlichen Geldern via Aufstockung Löhne subventioniert werden, also die Kosten der »Arbeitgeber«, die hier noch deutlicher als »Arbeitnehmer« auftreten als in den gut bezahlten Branchen. Und wer sagt, es gebe immer weniger Lang­zeit­ar­beits­lo­se, der sollte auch sagen, dass die Dauer der Langzeitarbeitslosigkeit immer weiter steigt. Da funktioniert also für viele nicht viel, nicht einmal mit »Fordern und Fördern«.

Worum es aber hier gehen soll, ist die Begründung für die Basta-Sehnsucht. Hank formuliert die Frage so: »Welche Faktoren sind für das deutsche Arbeitswunder des frühen 21. Jahrhunderts verantwortlich?« und sagt ganz richtig, wer der Behauptung aufstellt, dass das auch mit Hartz zusammenhängt, müsse den Nachweis führen. Hank tut dies nicht. Er verweist lediglich auf Forschungsarbeiten des Thinktanks der Bundesagentur für Arbeit, fragt also bei denen nach, die Hartz mit machten. Durch den stark ausgeweiteten Druck auf Erwerbslose, seien diese zur »Aufgabe der Statussicherung« gezwungen, heißt: mussten jede Lohnarbeit bei Drohung von Sanktionen annehmen – und diese Politik der Zumutbarkeitsausweitung habe dann auch das »Matching« verbessert – heißt: das Zueinanderkommen von offenen Stellen und Arbeitslosen.

Unter dem Strich kaum Effekte

Es gibt Expertisen, die ein ziemlich anderes Bild zeichnen. Nur drei Beispiele: Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat vor etwa einem Jahr erklärt, »unter dem Strich kann man sagen, der Effekt ist eher vergleichsweise bescheiden. Und ich wundere mich schon immer, dass in der öffentlichen Debatte, in der politischen Debatte, doch die Reformen sehr gelobt werden und darauf hingewiesen wird, dass sie sehr großen Arbeitsmarkteffekt haben«. Der DIW-Mann nennt andere Gründe: Mehr Jobs gab es vor allem wegen der konjunkturellen Erholung und der steigenden Nachfrage aus Schwellenländern nach Maschinen, Autos und sonstigen Produkten ›Made in Germany‹. Einen enormen Vorteil hat die deutsche Exportwirtschaft ferner durch den Euro. Gäbe es die D-Mark noch, wären deutsche Produkte auf den Weltmärkten teurer. Außerdem können die Unternehmen dank der Arbeitsmarktreformen heute flexibler und unverbindlicher Leute beschäftigen.

2014 zeigten Andrey Launov von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der dort forschende Klaus Wälde, »dass der Beitrag der Hartz-IV-Reform zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland insgesamt außergewöhnlich niedrig war. Tatsächlich führte Hartz IV zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um weniger als 0,1 Prozentpunkte. Der Grund dafür liegt in den tatsächlichen Änderungen der Lohnersatzleistungen durch die Reform«. Der eigentliche Erfolg liege in »Hartz I bis III begründet. Dabei sticht vor allem die Reform der vormaligen Bundesanstalt und jetzigen Bundesagentur für Arbeit hervor. Die Einrichtung von Jobcentern, die Einführung einer einzigen Kontaktperson für einen Arbeitslosen, die Reduktion der Zahl der Arbeitslosen pro Arbeitsvermittler in den Jobcentern und weitere Maßnahmen von Hartz III führten zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit um 1,3 bis 2 Prozentpunkten«, so Launov und Wälde.

Wir haben immer noch Massenarbeitslosigkeit

Die Wirtschaftswoche fasste einmal zusammen, Kritiker der »Hartz-Erfolgsstory« würden »monieren, dass vor allem der jahrelange Verzicht auf Lohnerhöhungen vieler deutscher Arbeitnehmer die Ursache sei und Hartz IV lediglich zu einer stärkeren Prekarisierung des Arbeitsmarkts führe«. 2014 machte Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation darauf aufmerksam, dass »es bisher niemandem gelungen« sei, »einen plausiblen Zusammenhang zwischen den Reformen und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit herzustellen. Zudem gebe es keinen Grund, mit der aktuellen Situation zufrieden zu sein: Als die Arbeitslosenquote 1982 zum ersten Mal das heutige Niveau erreichte, habe man nicht von wirtschaftspolitischen Erfolgen gesprochen, sondern von Massenarbeitslosigkeit«.

Knuth verweist sogar darauf, dass selbst die Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung, von den Kritikern oft der Hartz-Reform zugeschrieben, andere Ursachen habe. »Real stagnierende Durchschnittslöhne – nicht zuletzt infolge schwindender Tarifbindung –, immer mehr Billigjobs: All dies begann nicht erst mit den Hartz-Reformen, sondern schon in den späten 1990er-Jahren. Auch so genannte Aufstocker, die trotz Arbeit auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen sind, gab es schon vorher; sie waren nur statistisch weniger sichtbar, weil sie verschiedene Arten von Sozialleistungen bekamen.« Eindeutig der Deregulierung im Zuge der Hartz-Reformen zuzurechnen seien allerdings die »Wachstumsschübe bei Leiharbeit und Minijobs«.

Wenn von »vernünftigen Gewerkschaften« die Rede ist

Jedenfalls ist ein Satz wie »Hartz IV wirkt und schafft Be­schäf­ti­gung« mindestens eine Sache des Interesses, von dem man aus ihn schreibt. »Das ,deutsche Jobwunder‘ mag uns lehren, wie man Arbeitslosigkeit reduziert, aber nicht, wie man Normalbeschäftigung aufbaut«, haben Thomas Rothe vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Klaus Wälde von der Universität Mainz 2017 in einer Analyse formuliert. »Während es im Februar 2005 noch 5,2 Millionen Arbeitslose gab, waren es drei Jahre später nur noch 3,6 Millionen. Gleichzeitig hat die Zahl der Erwerbstätigen um 1,2 Millionen zugenommen. Häufige Schlussfolgerung: Die Arbeitslosen haben Arbeit gefunden – dank Hartz-Reformen.« Haben sie das?

Und wäre denn das Annehmen jeder nur denkbaren Lohnarbeit überhaupt etwas, das man verteidigen sollte? »Mehr als zehn Jahre nach Einführung der besser als ›Hartz IV‹ bekannten Grundsicherung für Arbeitsuchende lässt sich festhalten, dass das Ziel einer wesentlichen Verringerung der Armut bei gleichzeitiger Einsparung öffentlicher Mittel nicht im erhofften Ausmaß realisiert werden konnte«, schreiben Markus Promberger und Philipp Ramos Lobato 2016. »Offensichtlich ist mittlerweile auch, dass der Grundgedanke des SGB II, Armutsprobleme durch eine rigide ‚work-first‘-Strategie zu lösen, im Widerspruch zur Heterogenität der Lebenslagen von Hartz-IV-Empfängern steht. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass die Grundsicherungsreform die negativen Effekte flexibilisierter Arbeitsmärkte eher verstärkt, als sie zu kompensieren.«

Nun ist es eine Frage des Standpunkts, auf welche Ergebnisse man verweist, um politische Maßnahmen zu verteidigen oder zu kritisieren. Das wird hier auch getan – zitiert sind einige von vielen eher kritischen Studien über die Hartz-Wirkungen. Hank selbst merkt an, dass es auch andere Beiträge zum »Beschäftigungserfolg« gibt, etwa die »über mehrere Jahre anhaltende Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer«, die Dezentralisierung der Tarifpolitik, also die Abbrucharbeiten am Flächentarif, und die damit einhergehende »Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft«. Was aber hatten Beschäftigte hierzulande und auch in Europa wirklich von dieser Politik der »vernünftigen Gewerkschaften«, wie es Hank formuliert? Ungleichheit, Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen, Demokratiekrise? Um eine Antwort kommt man mit keinem Basta herum.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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