Geld, das vom Himmel fällt – das Helikopter-Geld der EZB
Der Storch bringt die Babys und der Helikopter das Geld. Mario Draghis vage Äußerungen zur Idee des Helikopter-Geldes haben die Wirtschaftspresse in Aufruhr versetzt. Woher kommt die Idee, und was ist dran?
»Stellen wir uns vor, dass eines Tages ein Hubschrauber über diese Gemeinde fliegt und Geldscheine über 1.000 Dollar vom Himmel regnen lässt…« Ein Gedankenspiel von Milton Friedman (1921–2006), marktliberaler Ökonom, Nobelpreisträger und Gegenspieler von John Maynard Keynes bei der Beurteilung der Frage, ob und wie weit Regierungen die Wirtschaft direkt beeinflussen sollten. Die Idee vom Helikopter-Geld spann er 1969 in dem Essay The Optimum Quantity of Money aus, um zu zeigen, wie die umlaufende Geldmenge die Preise beeinflusst.
Geldverschenken ist angesagt
Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), kennt seinen Friedman. Er selbst betreibt durch sein allmonatliches Gelddrucken zur Anregung von Wirtschaft und Inflation nichts ganz Anderes. Nur speist er das Geld über das Bankensystem in die Wirtschaft ein. Bei Friedmans Experiment kommt der Konsument direkt in den Genuss des aus der Luft geschöpften Geldes.
Herr Draghi scheint mit der Idee zu sympathisieren. Bei der Pressekonferenz zur Darlegung seiner 0,0-Prozent-Leitzins-Strategie am 13. März wurde er gefragt, ob er auch Helikopter-Geld zu seinem Instrumentarium zähle. Es sei ein interessantes Konzept, das »man beobachten müsse«, so die knappe, orakelhafte Antwort, auf die sich die Presse erwartungsgemäß stürzte. Musste die Idee auf wirtschaftshistorisch unbedarfte MedienvertreterInnen doch zugleich revolutionär, verzweifelt und absurd wirken.
Dabei diskutieren durchaus renommierte Fachleute die Idee. Zum Beispiel Adair Turner, bis 2013 Chef der britischen Finanzaufsicht, außerdem Investmentbanker und Hochschullehrer. Oder Ben Bernanke, ehedem Chef der US-Zentralbank, der aufgrund öffentlicher Spekulationen über das Geldverschenken den Spitznamen »Helicopter-Ben« verpasst bekam.
Ist Geldverschenken absurd?
Reden wir erst einmal nicht darüber, ob die märchenhafte Geldverschenkaktion erwünschte Wirkungen zeitigt. Prüfen wir den Absurditätsfaktor. Notenbanken pflegen Geld zu drucken. Wem sie es auf welche Weise zukommen lassen, ist nicht gerade beliebig. Aber so lange ein wirtschaftlich agierender Adressat (Banken, KonsumentInnen) davon in einigermaßen gleichmäßig verteilter Form profitiert, ist an der Sache nichts Absurdes.
Geldverschenken ist nur die logische Fortsetzung des Gelddruckens. Wenn das Geld der EZB seit Monaten nicht die KonsumentInnen erreicht, sondern in Aktien- und Immobilienkäufe fließt, muss es eben über andere Kanäle verbreitet werden.
Absurd ist am Geldverschenken auch nichts, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass jede staatliche Subventionspolitik eine Art verstecktes Geldverschenken ist. Fördert der Staat die ProduzentInnen von Steinkohle, Eiern oder Elektroautos, vergibt er Abwrackprämien oder Steuererleichterungen für Häuslebauer, dann verschenkt er Geld zur Förderung von Produktion und Konsumtion. Regt mithin also die Wirtschaft an. Waren werden billiger, als es unter unsubventionierten Marktverhältnissen der Fall wäre. Der Konsum der Einzelnen wird teils erleichtert, teils umgeleitet – bei der Abwrackprämie eben in die Autobranche.
Das wird durchaus schon lange so exerziert. Und sogar mit Erfolg. Wo stünde die deutsche Landwirtschaft ohne jahrzehntelange Subventionierung? Das direkte Geldverschenken hätte gegenüber der Subventionierung den Vorteil, dass die KonsumentInnen frei entscheiden können, wofür sie das unverhofft erlangte Geld ausgeben.
Natürlich könnte ein Staat die BürgerInnen auch über Steuererleichterungen subventionieren. Ein Geldgeschenk um die Ecke sozusagen. Das wegen geringerer Steuereinnamen benötigte Geld über müsste sich der Staat über eine Notenbank besorgen. Die müsste es dem Staat schenken. Noch mehr Schulden können sich die Länder der Euro-Zone schließlich kaum leisten. Der Staat darf die nicht eingenommenen Steuern keinesfalls durch eisernes Sparen ausgleichen, denn damit würde er den Konsum gleich wieder abwürgen, sein Ziel, die Wirtschaft anzuschieben, also konterkarieren.
Wichtig bei dieser Rechnung: Wir KonsumentInnen müssen das Geld auch ausgeben, wir dürfen nicht sparen wollen. Noch 2002 glaubte Herr Bernanke, Geldgeschenke könnten auch über den Umweg über Aktienkäufe die Wirtschaft ankurbeln, weil damit die Kapitalkosten für Unternehmen sinken und diese expandieren können. Doch Aktienkäufe sollen heute vor allem Spekulationsgewinne ermöglichen. Unternehmen reagieren kaum mehr auf billiges Geld zur Ausweitung der Produktion. Es klappt also nur mit direktem Konsum.
Wie viel Geld darf es sein?
Jetzt kommen ein paar Zahlenspiele:
Vor zwei Jahren war die Idee, jedem Bürger 10.000 Euro zu schenken, schon einmal im Umlauf. Diese Zahl kursiert auch heute. 10.000 (Euro) x 300.000.000 (BürgerInnen Europas) = 3.000.000.000.000 (verschenktes Geld). In Worten: drei Billionen. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Deutschlands lag 2015 bei ganz knapp über drei Billionen Euro.
Auf einen Schlag bekämen wir das Geld aber nicht. Verteilt auf fünf Jahre bedeutet es 2.000 Euro im Jahr. Oder (sanft aufgerundet) 167 Euro im Monat. Zum Vergleich: Das ist etwas weniger als das aktuelle Kindergeld für das erste und zweite Kind in Höhe von 184 Euro. Oder eine 9,2-prozentige Nettolohnerhöhung des deutschen Durchschnittsnettogehalts von etwa 2.000 Euro im Monat.
Nicht geklärt ist die Frage sozialer Gerechtigkeit. Nominell »gerechte« Geschenke sind immer ungerechte Geschenke, wenn sie auf der Basis extrem unterschiedlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse basieren. Beim Geldverschenken gelten also die gleichen Fragen wie bei Lohnerhöhungen und Steuererleichterungen: Profitieren diejenigen mehr, die ansonsten zu den Benachteiligten gehören?
Was bewirkt das Geldverschenken?
Nun die bange Frage: Hilft die Medizin? Das weiß keiner, weil es noch keiner gemacht hat. Und selbst wenn es so wäre: Wirtschaften samt Hunderten von Millionen an KonsumentInnen reagieren nicht immer gleich. Daher ist Ökonomie keine Naturwissenschaft, sondern eine Erfahrungswissenschaft mit eingebauten mathematischen Modellen, denen zu oft blind getraut wird.
Die Gilde der ÖkonomInnen und hochrangigen FinanzmarktmanagerInnen ist sich derzeit hochgradig uneins. Die Urteile sind so unterschiedlich, dass es nicht einmal lohnt, die ProtagonistInnen zu zitieren oder statistisch auszuwerten. Allein der Ton und die Differenzen sagen: Wir haben keine Ahnung, was passiert. Ängste und Hoffnungen prägen die Urteile.
Schauen wir daher in Milton Friedmans spekulativen Essay aus dem Jahr 1969, der Schritt für Schritt seziert, wie sich Menschen wahrscheinlich verhalten und Märkte reagieren würden:
Friedman geht von einem einmaligen Geldabwurf aus. Die EmpfängerInnen wissen nicht, ob sich das Geschenk wiederholt. Die KonsumentInnen haben nun mehr Geld in der Tasche. Mehr, als sie normalerweise im Alltag als Reserve für sinnvoll erachten. Das animiert kaum widerstehbar zum Konsum. Und schon setzt sich die Inflationsspirale in Gang. Wie und in welchem Tempo genau, weiß auch Friedman nicht. Er rechnet mit gemischten Verhältnissen: Manche AnbieterInnen werden sofort ihre Preise erhöhen, bei anderen dauert es länger. Das Resultat ist auf jeden Fall ein neues Gleichgewicht, wie es auch vor dem einmaligen Geldabwurf bestand. Ergebnis: Das Pendel schlägt zurück. Es kommen keine Geldgeschenke mehr, der Konsum geht auf das alte Niveau zurück, die ProduzentInnen müssen, wiederum verzögert, mit ihren Preisen zurückrudern. Fazit für Friedman: Einmalige Geldgeschenke haben nur Blendeffekte.
Lässt sich Friedman auf heute übertragen?
Lässt sich das Friedman-Gedankenspiel auf eine EZB-Abwurfaktionen übertragen? Wird das Geschenk über Monate gestreckt, verändern sich Erwartungshaltungen. Die Gelder der ersten Monate könnten für spätere größere Anschaffungen aufgespart werden. Das wäre nicht tragisch. Es würden bei den verschenkten Summen auf keinen Fall neue Konsumprofile entstehen (zum Kauf einer Yacht reicht es eh nicht). Irgendwie würde das Geld wie immer in Alkohol, Fernseher, Smartphone-Apps und Buchgeschenke umgesetzt. Gespart würde es wohl selten, da Sparen sich in Niedrigzinszeiten nicht lohnt. Die Rechnung ginge also wahrscheinlich auf:
Mehr Konsum. Und steigende Preise, weil die AnbieterInnen auf das Mehr an Geld mit höheren Preisen reagieren. Wie lang dauert es bis zur Preiserhöhung? Unterschiedlich lang. Weil wir in einer Mediengesellschaft leben, erhalten aber alle MarktteilnehmerInnen sehr zeitig Informationen über Veränderungen auf den Märkten. Das führt zu Spekulationen.
AnbieterInnen von Produkten könnten also alle Register ziehen, um rechtzeitig zum Mehr an Helikopter-Geld in den Konsumenten-Portemonnaies mit cleveren, weil kaum sichtbaren Preiserhöhungen das Mehr an Geld abzugreifen, ohne ein Mehr an Produktion aufbringen zu müssen. (Beliebter Trick: größere Packungen mit weniger drin zu höheren Preisen.) Das Resultat: kurzfristig höhere Gewinne.
Nach einem Jahr wird aber der Geldhahn abgedreht. Keine staatlichen Abwürfe mehr, weniger Geld in der Börse, dafür höhere Preise, die sich an der zuvor erhöhten Geldmenge orientieren. Was nun? Bei zeitig einsetzendem Arbeitskampf müssen Arbeitnehmer-KonsumentInnen dafür sorgen, dass die Spirale eine Ebene höher geht. Statt wie in Friedmans Kalkül, das mit einer Rückkehr zum alten Preisniveau rechnet, müssten Löhne und Gehälter sich so weit erhöhen, dass die nächste Preiserhöhungsstufe mehr als »eingepreist« sein muss. Die KonsumentInnen haben wieder, gemessen an den Warenpreisen, für kurze Zeit mehr Geld in der Tasche. Bis die AnbieterInnen wieder nachziehen. Ein Aufatmen ginge durch die Euro-Zone. Der Wachstumsmotor wäre wieder in Gang gekommen.
Was wäre damit gelöst? Der klassische Glaube an das Allheilmittel Wachstum würde (für beschränkte Zeit) wieder auferstehen. Was wäre mal wieder erfolgreich verdrängt? Das Nachdenken über ein grundsätzlich anderes Wirtschaften – sowohl fern vom Wachstumswahn wie fern von Spiralen, die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen fördern – könnte wieder in der Schublade verschwinden.
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